Gestern,
meine teuren Lesehäschen, haben es Lara Croft und ich wieder nicht von dieser
verfluchten Insel geschafft (kurze Offenlegung: Ja, euer Kolumnator ist
gewaltverherrlichenden Computerspielen keineswegs abgeneigt. Ich habe an den
bösen Wesen dieser und anderer Welten über die Jahre Hekatomben verübt – also,
wenn das jeder wüsste, hätte ich im Zug immer ein Abteil für mich.) Denn mein
geliebtes Weib ging gestern Abend entgegen früherer Pläne doch kein Bier
trinken – das Treffen hatte sich kurzfristig abgesagt.
Damit
sind wir beim Thema Steinzeit. Damals
saßen alle im Dunkeln, kauten rohes Mammut und hatten Angst. Man traf sich nicht
an der Flussgabelung auf einen Schluck schlechtgewordene Trauben oder so – wie hätte
man sich das ausmachen sollen?
Irgendwann
später wurde das Fortgehen erfunden.
Man machte sich was aus, und dann gab man sich gemeinsam die Kante, oder
zumindest den verstärkten Rand. Ich selbst habe einst einen Telefonanschluss
bei der Österreichischen Post- und
Telegraphenverwaltung beantragt, und schon knapp drei Jahre später ward mir
der Bescheid, dieser könne nun hergestellt werden. Unnötig zu sagen, dass ich
in der Zeit dazwischen meine Telefonate in der Telefonzelle erledigte.
Praktischerweise wusste ich alle Telefonnummern meiner Freundinnen und Freunde
auswendig, so wie heute mein Handy. Die Telefonzelle hatte allerdings den
Nachteil, dass sie 100 Meter von meiner Wohnung entfernt lag, und anrufen
konnte man dort, anders als in Hollywoodfilmen,
nicht. Also, wenn ich mir etwas ausgemacht hatte, galt es dort auch
aufzukreuzen. Ihr merkt schon, dass alles war kurz nach dem Krieg, so um 1992 herum.
Wie
ihr wisst, wurde es dank cooler technischer Innovationen immer leichter, seine
sozialen Kontakte am Brummen zu halten. Man konnte sich immer kurzfristiger was
ausmachen (weil der Weg zur Telefonzelle entfiel). Freilich konnte man auch
immer leichter absagen (wenn zum Beispiel das Sofa brannte). Mittlerweile, so
mein altersbedingt kulturpessimistischer Eindruck, nähern wir uns dem Begegnungshorizont, jenem Punkt, wo man
mit niemandem mehr auf ein Bier geht. Es ist einerseits so einfach geworden,
jeden Eindruck instanter online mitzuteilen, dass die andern immer schon alles
wissen, wenn man sich endlich mal sieht. Andererseits ist es ebenso einfach
geworden, vereinbarte Treffen abzusagen (weil das Sofa brennt, weil was im
Fernsehen ist, weil der Chat auf Facebook grade so spannend ist). So haben wir
eine zwischenmenschliche Singularität
geschaffen, an der die soziale Interaktion durch ihre völlige Verfügbarkeit
abgelöst wird. Das ist wie mit Lachs, Schuhen oder Schokolade. Früher war Lachs
rar, und jeder fand ihn toll. Es gab ihn ja auch nur zweimal im Jahr. Jetzt
kriegt man Lachs an jeder Ecke nachgeschmissen, und die jungen Menschen
entdecken ihre Liebe zum kale oder,
wie man hieramts sagt, dem Kööch. Vier
Paar Schuhe, die man abwechselnd trägt, halten so lange wie sieben Paar, die
man nacheinander zuschanden tritt. Damals nach dem Krieg wären wir froh um ein
Paar gewesen! Und wenn ich dir jeden Tag eine Tafel Schokolade kaufe, hast du
nach zwei Wochen vierzehn Tafeln aufgefressen. Stelle ich dir aber ein ganzes
Kilo hin, ist nach zwei Wochen noch die Hälfte übrig. So ist das.
Und
jetzt ist es eben mit geselligen Alkoholmissbrauch so weit. Stell dir vor, du
bist durstig, und keiner geht hin. Letzter Ausweg: Du findest noch eine
Telefonzelle.