Freitag, 29. September 2017

Leichte Muse

Das Wichtigste, o Herr- und Häschenschaften, zuerst: Es gibt eine neue Definition von First World Problems. Denn irgendwann im Sommer ward mir das Glück zuteil, einen TV-Spot zu sehen. Das allein wäre noch nichts Besonderes, doch beworben wurde ein rezeptfreies Medikament, und eine der wichtigsten erwünschten Wirkungen des Pulvers, so ließ ich mich belehren, ist ein stärkerer Harnstrahl. Da kann ich nur sagen: Eure Sorgen und Rothschilds Geld! (Der Slogan zu dem Mittel lautet übrigens Weniger müssen. Besser können. und sei euch hiermit zur Anwendung in praktisch allen Lebensbereichen empfohlen.)
Nun zur Kultur. Ein Sommernachtstraum ist ja nichts, was man groß vorstellen müsste: Hochgestelltes Volk heiratet in Athen, und einfache Leute machen sich sympathisch lächerlich, indem sie ihren Teil zu den Feierlichkeiten beizutragen versuchen. Neu ist: Man kann sich jetzt wie die Fürsten im Sommernachtstraum fühlen, um den Preis eines Tickets für Die Fledermaus in der Volksoper. 
Denn das Zweckdichterbalg, müsst ihr wissen, schätzt die Musik, weshalb es mich zu einer Darbietung obgedachten Operettenklassikers verschlug. Eine Operette bietet ja den theoretischen Vorteil, dass auch Schweinsohreninhaber wie euer Kolumnator dabei ihren Genuss finden: Wenn es mit der Wertschätzung der gesanglichen Darbietung hapert, bleiben immer noch die Dialoge! Kennt man ja aus der Filmfassung mit Otto „Otti“ Schenk und Peter Alexander.
Doch heutzutage, belehrte mich (zu spät) Wikipedia, haben es Operettenregisseure schwer. Die Sängerinnen und Sänger wollen entweder gleich richtig Oper singen, oder sie wollen gleich richtig Musicalstars werden. Weil man Operetten anscheinend nicht mit Musicalistinnen besetzen kann, findet sich euer Zweckdichter dann auf einem ziemlich guten Platz und staunt, wie eine Riege international gefeierter Soprane, Tenöre und Baritone sich der Fledermaus-Dialoge unterwindet. Die resultierende Hilflosigkeit ist so echt wie jene der Athener Handwerker, weil nämlich die einschlägigen politischen Kleingeldwechsler es bislang versäumt haben, einen Integrationskurs als Voraussetzung einer internationalen Opernkarriere zu fordern. Das Deutsch mancher Stars ist von einer Qualität, dass sie Mühe haben, ihren Text wenigstens in korrekter Satzstellung zu bringen. Von einer pointierten Darbietung des Wiener Klassikers (womöglich mit adäquatem Akzent) ist man so weit entfernt wie Matthias Strolz von elder statesmanship.  Auf gut Deutsch: Wenn Strauß’sche Operettentexte mit dem Zungenschlag einer ostösterreichischen Baustelle geboten werden und damit Applaus zu holen ist, ist auch die Operette als Genre offensichtlich zu einer solchen geworden.
Weil wir (also ich)schon beim Herummotschkern sind: „Irmgard Griss pocht deshalb bereits seit längerem auf eine ‚Politikerhaftung’, wie sie es nennt“, behauptete Der Standard vor ein paar Tagen. Eben nicht! Irmgard Griss hätte gerne eine Politikerhaftung, auf die sie pochen könnte. Da es aber keine gibt, muss sie jene erst fordern, und kann dann vielleicht irgendwann im Anlassfall auf sie pochen. Denn pochen kann man nur auf etwas, was schon da ist. Sonst vergilbt das Sprachbild, kriegt Risse und wird in die Lade verräumt, weil sich keiner überwinden kann, es wegzuschmeißen.
Schließlich gab es noch einen Supradyn-Spot, in dem es hieß, dass 86 % der Frauen in Deutschland sich manchmal müde und erschöpft fühlen. Wenn das so ist, Herrschaften, will ich bitte kein Supradyn. Ich will das, was sich die andern 14 Prozent reinpfeifen. Schönes Wochenende!

Freitag, 22. September 2017

Wirtschaftsoffensive

Es ist, o flauschige Lesehäschen aller Art, immer noch Wahlkampf. Und wieder einmal wird sich um die drängenden Probleme nicht gekümmert. Herrschaften, wir werden überrannt, genauer gesagt: überrollt! von Ausländern und Ausländerinnen, und weder die etablierten Parteien noch die Möchtegerndurchstarter scheren sich darum. Hier haben wir eine Migrationsbewegung, die ausnahmsweise einmal jedes Sprachbild aus Naturgewalt und Militär rechtfertigt. Wo man hinschaut, machen sich die Fremden breit und nehmen uns, UNS! schon vorher Dagewesenen den ach wie dringend benötigten Platz weg. Sie haben nicht den geringsten Respekt vor unseren Frauen, sie sprechend kein Wort Deutsch, ihr Teint geht ins Gelbe oder Schwarze (mitunter auch beides). Mit Christentum haben sie nichts am Hut, unsere abendländischen Werte könnten ihnen nicht gleichgültiger sein. Niemand hat sie gerufen, und gekommen sind sie doch, gleich einer Sturmflut, die Wien unter sich begräbt. Das Stadtbild ist bereits flächendeckend überfremdet, an jeder Ecke fläzen ein oder zwei von ihnen und betteln. Die autochthone Bevölkerung macht einen Bogen nach dem andern um sie, doch das schert sie einen Dreck. Kurz, ihr süßen Hoppler und Hopplerinnen, das kann nicht so weitergehen mit diesen Leihfahrrädern. Ja genau: mit den Leihfahrrädern.
Es ist nämlich so: Der Businessplan Chinas bestand bisher, so mein Eindruck, darin, in atemberaubender Geschwindigkeit Ressourcen zu verbrennen in der Hoffnung, es gelinge der Sprung zu High-Tech und Dienstleistungsgesellschaft, ehe das Land sich in Mordor verwandelt hat. Nun ist der chinesischen Führung anscheinend klargeworden, dass es auch Konkurrenz gibt. Was also tun? Ganz einfach: Dem alten Europa müssen ein paar Knüppel zwischen die Beine geworfen werden. Diese Knüppel sind die neuen China-Leihfahrräder, mit denen europäische Städte zugemüllt werden als seien es Verpackungschips.
Bis vor Kurzem waren die Wiener Citybikes ohne Konkurrenz. Die stehen an ihren speziellen Ständern, zum Entriegeln braucht man eine Bankomatkarte, und sie werden regelmäßig wieder aufgesammelt und sinnvoll auf die Ständer verteilt. Sie wurden und werden gern benutzt, auch wenn eilige Radler sich mitunter in Geduld üben muss, weil ein Citybiker vor ihm unterwegs ist. Die Dinger sind halt eher auf Haltbarkeit optimiert.
Für die neuen Pseudoräder gibt es keine eigenen Ständer, und um sie zu benützen, braucht man angeblich nur eine App. Wichtig aber: Es benützt sie niemals jemand (jedenfalls habe ich noch nie jemanden auf einem solchen Rad gesehen), und trotzdem verteilen sie sich über sämtliche ohnehin schon knappen Fahrradabstellplätze. Sogar zwischen parkenden Autos stehen sie mittlerweile herum, wie Hundstrümmerln oder herbstliche Laubhaufen.
Fertig ist der gefinkelte wirtschaftspolitische Schachzug (das ab sofort so genannte Fahrradgambit). Denn wer fährt Rad? Werdende Eliten, Studenten, nachhaltige Denker (darunter euer Kolumnator), kurz: Leistungsträger! Ihnen macht das ihm Weg stehende, den Fahrradständer versperrende chinesische Nutzlosrad das Leben täglich schwerer, sodass ihnen immer weniger Energie bleibt, um die Wirtschaftskraft der westlichen Hemisphäre wenigstens noch die eine entscheidende Nasenlänge vor der chinesischen zu halten. Kein Wunder, dass sich die chinesischen Fieslinge in ihren chauffierten Langversionen von Luxuslimousinen aus süddeutscher Fertigung zurücklehnen, damit sie sich besser ins Fäustchen lachen können!
Hiermit schreibe ich wieder ein Leberkässemmelforschungsprojekt aus: Es versuche jemand ein solches Gambitrad zu benützen und berichte der Häschenschaft, wie es gelungen ist.
Schönes Wochenende!

Freitag, 15. September 2017

Metaplakate

Teure Häseriche, kluge Lesehäsinnen, wir in der Wolle gefärbten Linkswähler-und-Rechtsverdiener, a.k.a. „grüne Stammwählerzielgruppe“, ich bringe euch, lange vor Weihnachten, gute neue Mär! Denn ihr wisst, euer Kolumnator ist sich für keinen Job zu schade, wenn es der Wahrheitsfindung dient: Ich habe einen Blick auf die Wahlplakate geworfen, damit euch das erspart bleibt. Das Ergebnis ist verblüffend: Die Grünen haben die beste, klügste, großartigste Kampagne der Welt geliefert.
Wenn man als Partei eine anspruchsvolle Zielgruppe anpeilt, erzeugt man damit ja eine Aporie (das ist sowas wie ein logisches Umspringbild) die den Grünen immer schon bewusst war: Frei nach Groucho Marx, der meinte, er würde niemals einem Club beitreten, der einen wie ihn als Mitglied aufnähme, ist den Grünen einerseits kein Wähler recht, der sich von Wahlplakaten beeinflussen lässt. Andererseits wird hier Parteienförderung verheizt, da muss das Wohl des Landes, also die Maximierung grüner Stimmen, im Vordergrund stehen. Deshalb gilt auch die beliebte Ausrede nicht, dass Wahlplakatkampagnen ja nur der Selbstvergewisserung der eigenen Parteikader dienten. Was tun?
Die Antwort ist genial. Man betrachte die grünen Plakatsujets und staune.
Da gibt es zum Beispiel Jedes Kind ist sehr gut. Schöner Spruch, kluges Wortspiel. Noch klüger aber ist die Zielgruppe Eltern mit schulpflichtigen Kindern. Die wissen nämlich, dass das eine fette Lüge ist: Manche Kinder sind sehr gut, manche sind sehr fies, und die meisten sind irgendwo dazwischen. Als einzige Konstante bleibt, dass die eigene Brut nie zur zweiten Kategorie gehört.
Dann haben wir Wo die Liebe hinfällt, fallen wir nicht um. Noch ein kluges Wortspiel, aber mit prekärer Verneinung und, entschuldigen, mittlerer Relevanz.
Als nächstes, und für mich das gelungenste Sujet, Kein Artenschutz für Miethaie, mit dem Bild eines Haifischs. Interessant daran ist, dass man nicht weiß, ob und wie weit die Text-/Bild-Schere hier geöffnet ist. Denn ich kenne mich mit Haien nicht aus, aber mir sieht das Viech wie ein Weißer (Carcharodon carcharias) aus, der sehr wohl Artenschutz vertragen kann.
Heißt das jetzt, dass Weiße Hai dem Kabeljau für eine Substandardbude mit indischem Klo („jenseits des Ganges“) in drittklassiger Rifflage achthundert im Monat abknöpft und womöglich vorher eine illegale Ablöse eingesackt hat?
Oder ist eine Kontrastwirkung zwischen dem schützenswerten Fisch und dem Gemeinen Miethai beabsichtigt?
Auf jeden Fall ist der Betrachter nachher gescheiter als die Macher des Plakats, und darauf kommt es an.
Dies nämlich ist die grüne Lösung für das Wahlkampagnendilemma: Jedes einzelne Sujet kommt oberflächlich brillant und wahr daher, sodass man sich nicht genieren muss. Auf den zweiten Blick tut sich ein gedanklicher Abgrund auf, sodass die denkende potenzielle Grünwählerin weiß: Die befassen sich mit Wichtigerem als mit Schmarren wie Wahlplakaten! Die kann man noch und wieder wählen! Wer kluge Wähler erreichen will, der muss, und diese Logik haben erst die Grünen erst 2017 erkannt, eine Plakatkampagne fahren, die sich selber demontiert. Auch die Basis darf sich verstanden fühlen, wenn sie eine kulturhygienische Selbstverständlichkeit wie die Ehe für alle erfolgreich auf die Plakatstellen reklamiert hat, während der Klimawandel schauen muss, wo er bleibt.
Selbst das letzte Sujet tut das Seine dazu: Zwar haben die Grünen Sei ein Mann. Wähle eine Frau im Paket als Draufgabe bekommen, weil der Front National und die AfD es mangels Inhaltsdichte nicht haben wollten. Doch gerade deshalb dürfen die Grünwählerinnen sicher sein: Sie werden ihr Kreuzerl nicht für Frau Lunacek gemacht haben, weil sie auf derart halbschlaue Werbeschmähs hereingefallen wären.
Glückwunsch dazu!

Freitag, 8. September 2017

Geisteswissenschaft


Es ist, teure Häschinnen und Häseriche, die stillste Zeit im Jahr: Frühherbst, a.k.a. Altweibersommer, also ideal, um sich den großen Fragen zu stellen: Woher kommen wir, wohin gehen wir, und ist wir weiblich, männlich oder sonstwas?
Kurz: Der Genderforschungs-Hype fegt durch die Lande, niemand hat mehr was anderes im Kopf, und ich schon gar nicht. Denn ich habe wieder etwas Neues in Sachen Genderologie gelernt, und weil ich weiß, dass ihr fingernagelkauend auf dem Sesselrand hin- und herrutscht wie sonst nur in den letzten fünf Minuten einer Game-of-Thrones-Folge, spanne ich euch nicht länger auf die Folter, sondern verrate euch, wie das mit der Genderei einerseits und dem Feminismus andererseits ist. Glaube ich.
Also: Erstens ist mir mittlerweile klar, warum die Schwestern Oberinnen der Genderistik, Frau Butler und Frau Hark, die Abstraktion so unerfreulich finden: Weil sie gestandene Poststrukturalistinnen sind. Der Poststrukturalismus (kleiner Exkurs für alle, die im Unterschied zu mir was Gescheites gelernt haben) ist mit sich selber im Unreinen. Merken muss man sich aber, dass im Poststrukturalismus erstmals so richtig klar wurde: Sprache bildet nicht nur Realität ab, sie kann auch Realität sein und schaffen (wie wahr!).
Nun ist, was sprachlich der Fall ist, immer konkret, niemals abstrakt-verallgemeinert. Es ist ein Unterschied, ob es ein Unterschied ist, ein Unterschied besteht, es einen Unterschied macht oder noch etwas anderes. Deshalb sind die beiden von so tiefem Misstrauen gegenüber der Abstraktion beseelt: weil sie darin Gefahr für die Grundfesten poststrukturalistischen Denkens wittern.
Das Schöne am Poststrukturalismus ist, dass er so viele interessante Fragen an Texte aufwirft. Das Dumme ist, dass man die Sache nicht zu wörtlich nehmen darf. Im Wikipedia-Eintrag von Frau Butler lese ich zum Beispiel, dass ihr zufolge Worte auch den biologischen Körper schaffen und ändern können. (Lernt man so etwas am Minerva-McGonagall-Institut für Transformation der UC Berkeley? Hab nicht gewusst, dass Hogwarts jetzt dort eine Expositur hat.)
Vielleicht ist die Butlersche Geschmacksrichtung der Genderforschung aber auch eher religiös geprägt? Denn so wie Jesus gekommen ist, den Menschen zu entzweien mit seinem Vater und die Tochter mit ihrer Mutter und die Schweigertochter mit ihrer Schwiegermutter, so hat auch Frau Butler in der feministischen Theorie Zwietracht gesät, weil diese das binäre Geschlechtersystem weiter festschreibe, indem sie Frauen Merkmale einer Gruppe zuweist. Stimmt, tut sie. Muss sie sogar. Denn der Feminismus ist immer auch politisch, während die Genderomantik dem Feminismus einen Bärinnendienst erweist, wenn sie sich zu politischen Aussagen hinreißen lässt. Politik ist nämlich eine Frage der Mobilisierbarkeit. Wer keine Wählerinnen an die Urnen bringt, keine relevanten stakeholder an die Maustasten, die wird politisch nichts reißen. Auf die Größe der Gruppe kommt es mithin an, und für eine Gruppe braucht es – na? Genau: Jene gemeinsamen Merkmale, deren Festschreibung Frau Butler am Feminismus kritisiert. Ich kann sehr gut verstehen, dass sie sich für gemeinsame Merkmale wie etwa den strukturellen Einkommensnachteil von Frauen gegenüber Männern nicht so brennend interessiert. Bezöge ich ein professorales (oder muss das genderastisch professorinal heißen?) Jahresgehalt von fast 300.000 Dollar, ginge es mir bestimmt ähnlich.Wenn also der Feminismus bereit ist, einen guten Rat von einem mittelalten Hodensack anzunehmen, sage ich euch: Bewundert die Genderforschung, denn der Poststrukturalismus ist eine spannende Angelegenheit. Aber bewundert sie von ferne, und lasst euch mit Worten keine Körperteile zaubern, die ihr nicht haben wollt.
Gern geschehen!

Freitag, 1. September 2017

Erkenntnisgewinn

Willkommen zurück, teure Häschinnen, Häsen und MGs (mitgemeinte Genders). Wisst ihr noch, was letzte Woche war? Genau: Wissenschaft härtester Gangart. Denn das Feld der Mineralogie ist von bitteren Differenzen geplagt: Auf der einen Seite steht die empathische Schule, die sich dem einzelnen Kristall widmet und die Unterschiede zwischen komplexen Formen feiert. Die geometrische Schule andererseits sucht nach den Bauprinzipien, die ebendiese Formen entstehen lässt. Sie trachtet danach, im Verschiedenen das Gemeinsame zu erkennen und so den Ursachen der Verschiedenheit auf den Grund zu kommen. Die Empathiker finden dies rüde und werfen den Geometrikern vor, sie handelten nach einem Mechanismus, der auf die Beseitigung von Binnendifferenzen und empirischer Komplexität, dafür umso mehr auf Homogenität, Abstraktion und Vergleichgültigung im Inneren von Differenz abzielt.
Schmäh! Es geht gar nicht um Gesteine, es geht immer noch um die beiden Genderologie-Professorinnen, die sich auf den Schlips (ha! Diesen billigsten aller Witze musste endlich jemand reißen, und wenn ich es selber bin!) getreten fühlten. Warum? Unter anderem, weil die Gegenseite zur Abstraktion neige. Denn Abstraktion ist für die beiden Heldinnen gewaltvolle Gleichmacherei und Beseitigung von Binnendifferenzen.
Uuuund schon weiß ich mehr über die Genderforschung, als ich je wissen wollte.
Es ist nämlich so: Als Newton den legendären Apfel fallen sah, da hat er sich nicht gefreut, dass er zufällig Zeuge geworden war, wie dieser eine Apfel seinem plötzlichen Streben Richtung Mutter Erde nachgab, sondern weil ihm etwas Grundlegendes über das Wesen der Beziehung zwischen Äpfeln und Planeten klargeworden war.
Emmanuel Leroy Ladurie wollte nicht nur möglichst viel über das Dorf Montaillou und seine Bewohner herausfinden, er hoffte dadurch auch mehr über die französische Landbevölkerung im 14. Jahrhundert zu erfahren.
Dass Frau Butler ihren Derrida gelesen hat, ist bekannt. Doch sie hat seine Leidenschaft für sprachliche Performanzen gegen die beinahe katholische Überzeugung eingetauscht, dass sich das biologische Geschlecht gesellschaftlich konstruieren lasse. (Wer Kleists Über das Marionettentheater noch nicht gelesen hat, hole das alsbald nach, kommt zur Prüfung!)
Aber ich schweife ab, verehrte Genderforscherinnen. Die wichtigste Bedeutung von Abstraktion ist gemeinhin: die Übertragung von Erkenntnissen und Methoden vom Einzelnen auf die Vielheit der Fälle. Es ist lieb von euch, dass ihr der einzelnen Person ihren Wert lassen wollt. Wenn ihr aber einer jeden gewalttätige Neigungen unterstellt, die sich nicht mit der Sammlung von Einzelfällen begnügt, sondern irgendwann einen größeren Zusammenhang ins Auge fasst, dann drängt sich mir die Frage auf, ob die Genderforschung überhaupt Fragen nachgeht oder sich mehr als Jägerinnen-und-Sammlerinnen-Fachrichtung sieht. Worüber trachtet sie mehr zu erfahren, wenn sie sich niemals vom Individuum und den feinen Unterschieden zwischen mehreren davon lösen darf?
Mir scheint es sehr bequem, sich als Wissenschaft zu gerieren und gleichzeitig Leuten, die einem auf den Pelz rücken, nicht etwa Mangel an Wissenschaftlichkeit, sondern an Empathie vorzuwerfen. Reality call: Dass der Gegenüber nicht nett ist, beweist nichts für den Wert des eigenen Tuns.
Und ja, ich weiß inzwischen auch, dass Abstraktion in Tiefenpsychologenkreisen eine spezielle, unerfreuliche Bedeutung hat. Wenn die Genderforschung aber beschließt, sich der tiefenpsychologischen Fachsprache zu bedienen, muss sie das bitte vorher sagen. Eine Elektrikerin darf von Männchen und Weibchen reden, ohne dass die Genderistinnen aufheulen, aber nur, weil man schon weiß, dass Männchen und Weibchen in Elektrikerinnenkreisen etwas anderes bedeuten als in der Genderei.