Freitag, 29. Mai 2020

Mit Maß, ohne Ziel

Man kann, o bildungsbeflissene Lesehäschen, in gelockerten Zeiten nicht nur locker ein Bierchen trinken (vielleicht nicht gerade im Anzi, denn so, wie es dort dieser Tage zugeht, fehlt nur ein Superspreader, um die Schleifmühlgasse ins nächste Kitzloch zu verwandeln), nein, man kann auch wieder einmal was dazulernen. Heute widmen wir uns, und ich weiß auch nicht, warum ich dabei an unsere Bundesregierung denken muss, der Hybris. Wer im Gegensatz zu eurem Ergebenen klug genug war, nicht Altgriechisch zu wählen, dem sei auf die Sprünge geholfen: Die Hybris ist die Vermessenheit, infolge derer der Mensch sich gegen die Götter auflehnt. Um den jungen Menschen vor Vermessenheit zu bewahren, wurde das Textbeispiel erfunden. Angeblich soll es eine Brücke zwischen Lebenswirklichkeit und zu übenden Rechenoperationen schlagen, tatsächlich aber dient es der Vertiefung transzendentaler Sachverhalte.
In der Volksschule ist das noch einfach: Du hast eine Torte, die Mama schneidet sie in zwölf Stücke, von deinen fünf geladenen Gästen dürfen zwei keine Torte essen, weil Nüsse drin sind, wieviele Stücke bleiben übrig? Schon hat der kleine Fresssack gelernt, dass Völlerei der Planung bedarf.
Auch in der Oberstufe ergeben sich Textbeispiele wie von selbst: Ein Mathematiker sitzt im Lockdown und langweilt sich. Weil er nichts richtig Mathematisches forschen will, rechnet er im Kopf die Maturaaufgaben von vor zwanzig Jahren nach: Einer Kugel wird ein Würfel eingeschrieben, diesem wieder eine Kugel, und so ad inf. Berechne das Volumen … und so weiter.
Am interessantesten ist es aber dazwischen, mit Aufgaben wie dieser: „Ein Händler gewährt auf einen Fernseher 8 % Rabatt. Dieser beträgt 55 Euro. Wie hoch war der ursprüngliche Preis?“ Das hat offensichtlich nicht das Geringste mit der Preisauszeichnung im Mediamarkt zu tun, wo man mit solchen Rätseln garantiert keinen Riss machen könnte, aber sehr viel mit der elementaren Ungewissheit, in die uns die Frage stürzt, ob wir jetzt ein gutes Geschäft gemacht haben. Wir werden es nie erfahren. Uns bleibt nur die Entsprechung von 8 % und 55 Euro. Aber was kriegt man heutzutage schon für 55 Euro?
Vollends deutlich wird der wahre Zweck an Textbeispielen wie diesem: „Eine Säule mit quadratischer Grundfläche soll verfliest werden. Gegeben sind die Höhe der Säule und das Volumen. Berechne, wie viele Fliesen benötigt werden.“
In der Geschichte des Heimwerkertums war niemand jemals mit einem solchen Problem konfrontiert. Wie auch? Du misst ja nicht die Höhe, stemmst dann die Säule heraus, legst sie ins Wasserbad, bestimmst anhand des gestiegenen Wasserspiegels das Volumen und berechnest dann die Dicke.
Sinn ergibt dieses Textbeispiel erst, wenn wir es als Gleichnis im biblischen Sinne lesen:
In deinem Häschenbau steht eine solche Säule. Wie es in Coronazeiten schon so geht, denkst du dir, Fliesen wären eine gute Idee. Du misst die Höhe und schickst dich an, den Zollstock anzulegen, um die Dicke zu messen. Doch das wäre – na? Genau! Das wäre vermessen! Die Natur und auch die aus ihr entstandene Säule ist nicht dafür da, dass du dich messtechnisch an ihr zu schaffen machst. Um deiner Hybris einen Riegel vorzuschieben, erscheint vor dir eine menschenähnliche, aber von innen golden leuchtende Gestalt, die möglicherweise Flügel hat. Mit donnernder Stimme spricht sie also zu dir: Halt ein, vermessener Vermessender! Das Volumen der Säule beträgt 192 Kubikdezimeter. Die Höhe ist dir bereits bekannt. Berechne die Dicke und daraus die Oberfläche. Nun gehe hin und miss fortan nicht mehr.
Soviel zum tieferen Sinn von Textbeispielen. Schönes Wochenende!


Freitag, 22. Mai 2020

Wahlkampf


O allzu distanzierte Lesehäschen, euer treuer Kolumnator kennt sich nicht mehr aus. Wie dieser Tage der Presse zu entnehmen ist, wackeln anscheinend Wahltermine im Herbst. Denn es sei nicht gewährleistet, dass die Wahlberechtigten sich mit hinreichenden Informationen über die wahlwerbenden Parteien versorgen könnten, um eine qualifizierte Entscheidung zu treffen. Das ist Expertensprech für: „In Coronazeiten kann man keinen ordentlichen Wahlkampf führen.“ Darauf kann ich als Teilzeitexperte für alles, was sonst keinen interessiert, nur erwidern: „Habt ihr in letzter Zeit mal Nachrichten geschaut?“
Mindestens ein Parteihäuptling tut offensichtlich seit Anfang März nichts anderes als wahlzukämpfen. Allein der schöne Auftritt im Kleinwalsertal entschädigt für so manches, vom traurigen Papstsegen im Lockdownmodus bis zum Ausfall der Seeprozession in jenem Hallstatt, das zwar – auch interessant – weit mehr chinesische Touristen zu verzeichnen hatte als jedes andere Dorf der Welt, einschließlich chinesischer Dörfer, bis heute aber keine einzige Covid-Infektion.
Unser Bundeserlöser, das ist ja auch nicht unwichtig für einen Politiker, hat einfach ein glückliches Händchen dafür, im Grünen mit dem Wahlvolk Kontakt aufzunehmen. Unvergessen ist sein Ausflug im Juli 2019: Sebastian Jessasmaria Kurz wollte nur ein bisschen wandern, um sich von der Last des Nichtregierens abzulenken, und hastunichtgesehen, schon waren 800 treue Mitwanderer da, die ihm dabei Gesellschaft leisteten, eine Ruhe zu haben. In Wirklichkeit waren es, wir erinnern uns, nur 40, aber das war keine Übertreibung. Vielmehr wusste der nachmalige Erlösekanzler schon damals, dass uns einst das Distancing blühen würde. Wo heute 40 in seinem Namen beisammen sind, zählen sie ungeschaut für 800, und das war damals nicht anders.
Der große Unterschied zwischen der Bergpredigt 2019 und dem Virenkreuzweg 2020 liegt darin, dass Kurz damals nicht Kanzler war und großen Wert darauf legte, dass er sich auch nicht wahlkämpferisch betätigte, sondern sich einfach unschuldig (auch dies im Sinne Jesu: Wenn ihr nicht werdet wie die Kinder, werdet ihr nicht das Kanzleramt erlangen!) darüber freute, dass so viele Kumpaninnen und Kumpane mit ihm fürbass schritten. Heute hingegen ist er sehr wohl Kanzler, hat aber sich und uns die Peinlichkeit erspart, zu behaupten, dass die Coronakrise ihm kein willkommener Anlass sei, die Wiederwahl zu sichern. Man sieht daran, dass man durch Schweigen nicht nur lügen kann (indem man es unterlässt, eine bestehende unrichtige Auffassung zu korrigieren), sondern auch die Wahrheit sagen.
Ich für mein Teil sehe keinen Grund, irgendwelche Wahltermine zu verschieben. Es sollten sich halt die anderen Politikerinnen und Politiker ein Beispiel nehmen und sich ebenfalls bemühen, über ihre Ansichten und Ziele so zu informieren, wie Kurz das tut, wenn er zum Beispiel den Kleinwalsertalern großherzig verzeiht, dass sein Besuch schlecht vorbereitet war. Wenn sich die anderen da nur ein bisschen mitspielen, traue ich mir allemal zu, am Wahltag ein entschlossenes Kreuzchen zu malen.
Schönes Wochenende!

Freitag, 15. Mai 2020

Viel reden hilft viel

Es ist, o teure Lesehäschen, alles ganz einfach. Also, nicht ganz einfach. Aber ziemlich einfach. Das danken wir unserem lieben Herrn Bundeskanzler, der für uns alle darauf schaut, dass wir uns unsere (also vor allem eure, ihr unwiderstehlichen Flauschebällchen! Denn euer Kolumnator glänzt nur bedingt durch äußere Schönheit.) – dass wir also unsere hübschen Köpfchen nicht durch unnötiges Nachdenken überstrapazieren. Nicht umsonst zitiert der nicht genug zu schätzende Herbert Z. so gern: „Denken heißt zum Teufel beten!"

Daher steht es dem Chefchen einer Partei, die sich weiterhin „dem christlich-humanistischen Menschenbild verpflichtet“ sieht, wohl an, die Denkwerkzeuge seiner Schäfchen zu entlasten, wo es nur geht.

Denn einst wollte der Politiker seine Zuhörer durch wohlgesetzte Worte von seiner Sache überzeugen. „Nothing but blood, toil, tears and sweat“,  so verhieß Churchill einst seinen Zuhörern, werde ihnen der Kampf gegen Hitler bringen, und es war genug.

Unser Bundeserlöser seinerseits (hier muss ich einen zu Unrecht wenig bekannten Text des viel zu früh, wenn auch kaum überraschend verstorbenen Werner Kofler empfehlen: Erlösergebärerinnen im Gespräch, ein schönes Stück Bosheit, das man sich beim Lesen leicht auf Sebastian ummünzen kann, wenn einem der Sinn danach steht.), unser Bundeserlöser seinerseits will den Zuhörer keineswegs überzeugen, sondern ihn mit Blabla so lange niederknüppeln, bis das Denkwerkzeug sich geschlagen gibt. So jüngst auf die Frage, ob es im Kleinwalsertal schwierig gewesen sei, den vorgeschriebenen Sicherheitsabstand einzuhalten:

„Bei der Veranstaltung war es nicht schwierig,

weil wir eine große Halle hatten

zwei Meter Abstand hatten

uns in Kleingruppen nur getroffen hatten

zwei Runden gemacht haben, damit nicht alle gleichzeitig in diesem großen Saal waren.

Und da sind wir zu zwölft gesessen

mit über zwei Meter Abstand zwischen den Personen“.

Auf die Frage, ob ihm Eigenverantwortung oder staatliche Kontrolle wichtiger sind:

„Ich hab eine Videokonferenz gehabt

mit über tausenden Wirten,

die allesamt eigentlich sehr positiv sind,

die ihren Beitrag leisten wollen,

die natürlich arbeiten wollen,

mit dem Gast arbeiten wollen,

ihren Job machen wollen,

aber natürlich auch die Sicherheitsvorkehrungen einhalten wollen.“

Spätestens nach dem dritten Halbsatz ist man dermaßen zu Tode gelangweilt, dass einem die Demokratie auch schon wurscht ist, Hauptsache, man muss nicht mehr solchem Geschwafel lauschen. Wollte Herr Kurz uns davon überzeugen, gegen ein menschenverachtendes Regime ins Feld zu ziehen, dann würde er wohl sagen:

Wir haben eine gute Zusammenarbeit,

und wir sind mit dem Koalitionspartner uns einig,

weil wir gute Gespräche geführt haben mit den Verantwortlichen,

die alle sehr positiv sind, dass wir gemeinsam Blut spenden werden,

Schweiß spenden werden

auch gemeinsam Tränen spenden werden,

aber natürlich nicht alle gleichzeitig,

weil die Übertragung durch Körperflüssigkeiten tunlichst zu vermeiden ist,

da schauen wir auch in der Regierung sehr drauf

… und dann wäre Europa eh schon unterjocht. Schönes Wochenende!

Freitag, 8. Mai 2020

Reue

Schon wieder, o teure Distanzlesehäschen, sind gleich drei Wochen nur so verflogen! Der geübte Prokrastinator findet ja im Lockdown so recht zu sich selbst. Freilich müssen die Umstände dafür auch die richtigen sein. Wie letzte Woche schon angedeutet, ist es zum Beispiel nicht jedem gegeben, sich mit GNTM die Zeit zu vertreiben. Euer Kolumnator zum Beispiel assoziiert den Namen der Kandidatin Maribel aus rätselhaften Gründen mit einer Frischkäsemarke, und diese wieder mit dem, was aus dem eigenen Gehirn wird, wenn man lange genug nicht nur GNTM, sondern die folgende Dokumentation über die Hintergründe des GNTM-Geschehens auf sich wirken lässt, die in der GNTM-Sendung selber nicht hinreichend gewürdigt werden können – wie der faule Diplomand auch heute noch gern schreibt: Das würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen.
Andere kommen aus anderen Gründen nicht so viel zum Tachinieren, wie sie gerne würden. Manchmal wirkt hier ein Druckfehler erhellend, wobei „erhellend“ hier nur heuristisch, keineswegs aber moralisch zu verstehen ist, blickt man doch in jenen charakterlichen Abgrund, den das Coronabeben in einem bisher unauffälligen Menschen aufreißen kann. Es ging um einen – im Zivilberuf – Plattenladenbetreiber, der dem Plattenverkauf natürlich nicht nachgehen konnte. Was tat er stattdessen, so der Standard?
Etwas Schlimmes: Er bereute als Hauslehrer seine beiden Kinder.
Weit ist es gekommen! Früher waren Kinder unsere Zukunft, jetzt sind sie es immer noch, aber möglicherweise eine sehr kurze, wenn man nämlich zur Risikogruppe gehört und das Balg symptomfrei überträgt. Kein Wunder, wenn die Reue nicht weit ist.
Was tut man, wenn man keine Fortpflanzung zu bereuen hat? Wenn man den sozialen Medien glauben darf, gibt es zweieinhalb große Betätigungsfelder.
Das halbe ist die Erzeugung von ursuperen und voll professionellen Videos, die zeigen, was man zuhause für lässige Sachen machen kann, mit Stop-Motion, gemeinsamem Gesang und weißichwasalles – ganz ehrlich: Wem im Lockdown so schnell so fad wird, dessen Bekanntschaft entbehre ich gerne.
Die beiden ganzen Betätigungsfelder sind Sauerteigmanschen (eher männlich, und ja, auch euer Ergebener hat da seine Finger im Spiel) und Haarefärben (eher weiblich, auch hier durfte der Zweckdichter niedrige Hilfsdienste leisten).
Wenn man für beides zu faul, zu eitel (zu uneitel) oder zu glutenintolerant ist, springt man einfach auf den dritten großen Trendzug auf und ignoriert sein Haupthaar. Nämlich haben wir eine große Lüge gelebt, indem wir uns um Haarpflege bemühten. Viel gesünder, so haben es uns ja auch alle großen Friseurentbehrer von Robinson Crusoe abwärts vorgelebt, ist es, mit seinen Haaren einfach gar nix zu machen. Also, Kämmen oder so, das schon, aber sonst: einfach abwarten. Nach zwei Wochen sind die Haare gesund wie Nusskerne. Wenn der Lockdown noch lange genug dauert, erlangen sie ein Bewusstsein und beherrschen irgendwann Kreuzstichstickerei und Kurvendiskussion. Das werden herrliche Zeiten.
Bevor wir zum Schluss kommen, noch eine Frage: Warum hat die Wendung sich die Haare wachsen lassen zwei völlig konträre Bedeutungen? Da kennt sich ja keiner aus. In diesem Sinne: Schönes Wochenende!