Freitag, 19. März 2021

Sushis

 

Kann mir, o fußballaffine Lesehäschen, jemand die Chose mit diesem Dahlmann erklären? Denn so ganz checkt euer Kolumnator das nicht.

Für alle, die es auch nicht checken, hier das executive summary: Jörg Dahlmann scheint ein ziemlich weißer älterer Mann zu sein, der bisher als Sportkommentator für Sky regelmäßig mit Sprüchen auffiel, die man als sensibler Mensch eher nicht bringen sollte, indem er etwa wissen ließ, wie gern er mit einer prominenten Frau kuscheln würde, mit der er nicht näher bekannt ist.

Der Tropfen, der nun das Fass zum Überlaufen gebracht hat, war ein Satz, in dem er erwähnte, dass ein bestimmter Spieler, der bis vor Kurzem für einen japanischen Club gewirkt hatte, sein letztes Tor „im Land der Sushis“ geschossen habe.

Das, so die Stimme des Shitstorms, sei rassistisch und daher untragbar.

Weil warum? Inkriminiert wurde, so brachte es die taz auf den Punkt, dieses: Er hatte Japaner’innen als „Sushis“ bezeichnet.

Daraus lernen wir erstens, dass es den Genderapostroph gibt. Und zweitens – ja, was eigentlich? Immerhin gibt es – gerade in Japan ­– nicht nur ein Sushi, sondern viele, viele verschiedene Sushis, und dass mancher bei Lachs und Thunfisch steckenbleibt, beweist nicht, dass die Reise zu Butterfisch, Meeresschnecken oder Muscheln nicht lohnen könnte.

Woher weiß die taz also, dass mit den Sushis Menschen gemeint waren und nicht Reiswälzchen mit Fisch drauf? Schließlich hat Dahlmann, seiner alten weißen Männerschaft unbeschadet, nicht behauptet, dass der Betreffende für die Sushis in seiner Mannschaft ein Tor geschossen hätte. Die Identifikation von Nahrungsmitteln mit Menschen, die klar zutagetritt, wenn Engländer Deutsche Krauts oder Franzosen Engländer rosbifs nennen, liegt hier wohl eher im Auge des Betrachters, also der taz. Euer Ergebener fragt sich, was in der taz vorgegangen wäre, wenn der Spieler vorher im Land der 1.000 Seen oder gar im Land der Schnitzel  gekickt hätte.

Jetzt kommen drei gefährliche Worte. Sie lauten Und selbst wenn. Und selbst wenn der Herr Dahlmann tatsächlich Menschen mit Essen in eins gesetzt hätte, ähnlich wie bei den schon erwähnten Schnitzeln, dem Kraut, dem Roastbeef und wasweißichwasesdanochallesgibt: Wie sicher sind wir, dass so etwas rassistisch ist?

Die einschlägige Redefigur ist, wie treue Lesehäschen wissen, das pars pro toto, in dem ein Teil das Ganze vertritt – die vier Wände die Wohnung, Tisch und Bett das Zusammenleben, die Nase den Menschen, die zu stopfenden Mäuler den Nachwuchs und das landestypische Gericht das Land samt seinen Bewohnern. Woher der Rassismusvorwurf? Die einzige Erklärung, die euer Ergebener findet, ist die Befürchtung, dass die Hervorhebung eines Merkmals die anderen unzulässig verkürze, dass also zum Beispiel wir Österreicher auf Schnitzel „reduziert“ würden, womit freilich nicht mehr gesagt ist, als dass wir nicht selten paniert sind.

Die sogenannte Verkürzung ist aber durch die Auswahl bedingt. Es ist halt nicht immer alles gleich wichtig. Selbst wer von Japaner’innen samt Genderapostroph spricht, lügt sich in den alten weißen Männersack, wenn er behaupten wollte, er sei damit allen Bewohnerinnen und Bewohner in ihrer menschlich-historisch-sozialen Totalität gerecht geworden. Er hat auch nur festgehalten, wo sie herkommen. Natürlich gibt es Beleidigungen. Dass aber, selbst wenn die Gleichsetzung stattgefunden hätte, diese Beleidigung kündigungswürdiger sei als wenn man Englänger als Roastbeefs bezeichnet, scheint mir eine kulturelle Herablassung gegenüber Asien zu implizieren, die der taz schlecht ansteht.

Wahrscheinlich ist Dahlmann eh ein Unsympathler. Aber nicht wegen dem Sushi-Satz. Schönes Wochenende!

Freitag, 12. März 2021

Deutschstunde 4

 

Die Schule, meine lieben und hochgebildeten Lesehäschen, ist ja viel besser als ihr Ruf. So haben sich nicht wenige, um ein Zentnerwort des Bundeskanzlers anzubringen, „Kulturverliebte“ echauffieren zu müssen geglaubt, als klar wurde, dass man für die aktuelle Deutschmatura  den Unterschied zwischen einer Erörterung und einer Meinungsrede kennen muss, sich aber aber jenen zwischen Faust und Mephisto, Thomas und Heinrich Mann (oder, wir sind schließlich in Österreich, Doderer und Drach) wurscht sein lassen kann.

Das ist richtig, hat aber seine Richtigkeit, weil alle, denen das ein Bedürfnis ist, ihren Trakl auch noch in der Pension buchstabieren können, während man sich im Erwerbsleben plötzlich der Notwendigkeit ausgesetzt sehen kann, eine der nunmehr so wichtigen Textsorten erneut zu beackern. Wer gäbe ein besseres Beispiel dafür ab als unser geliebter Kanzler selbst? Hat er doch einen Brief an die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft geschrieben und dabei seine für die Matura erworbenen Kompetenzen gut brauchen können. Denn offenbar hat Sebastian immer gut aufgepasst und konnte deshalb noch Jahre später abrufen, wie man laut Leitfaden im Deutschbuch für die achte Schulstufe eine Erörterung schreibt. Sein Brief passt jedenfalls perfekt dazu. (Dank gilt an dieser Stelle dem Zweckdichterbalg für die zeitweilige Überlassung von Deutschstunde 4.)

Nämlich beginne man mit einer Einleitung, die höchstens vier Sätze umfassen soll. Hier wecke man das Interesse durch Bezugnahme auf ein aktuelles Ereignis. Der Kanzler hat das perfekt umgesetzt und weckt Interesse durch die mittlerweile zu Recht berühmt gewordene Formulierung von den fehlerhaften Fakten, ehe er weisungsgemäß zum Hauptteil überleitet mit der Behauptung, dass er „gerne klarstellen würde“. Warum er das im Konjunktiv würde, weiß nur er selbst, aber so kleinlich muss man ja nicht sein.

Nun rät das Deutschbuch, man solle zuerst die abgelehnte Seite darstellen, mit deren Argumenten in absteigender Reihenfolge der Beweiskraft. Sieh an: Es kommen nacheinander der Termin mit Novomatic, während Kurz live im Fernsehen war; dann noch ein Termin mit Novomatic, den aber eine andere Kurzperson hatte, und schließlich der Hinweis, dass die übrigen Termine „im größeren Kreis“ stattgefunden hätten.

Als nächstes soll der Schüler den eigenen Standpunkt mit Argumenten in aufsteigender Reihenfolge der Beweiskraft darstellen. Sebastian weiß, was er zu tun hat: Dass der Rechnungshof 2017 und 2018 keine Spenden von Novomatic an die ÖVP gefunden hat, genügt zum Einstieg. Schwerer wiegt nach Ansicht des Kanzlers, dass er „täglich mehrere Stunden beschäftigt“ ist (ohne „damit“), Medienanfragen zu beantworten.

Am allerschlimmsten aber, deshalb bringt Kurz es als drittes Argument, ist natürlich der „Reputationsschaden für die Bundesregierung und damit für die gesamte Republik Österreich“.

Es ist möglicherweise nicht jedem gegeben, die Regierung so umstandslos mit der Republik zu identifizieren, wenn aber ein Kurz den Sonnenkönig in sich spürt (l’etat c’est moi), dann wollen wir ihm den Spaß einstweilen gönnen, zumal er recht brav nicht nur den Aufbau der einzelnen Aufsatzteile, sondern auch die „Formulierungshilfe Erörterung“ studiert hat. „Weise darauf hin“, „erlaube mir beizulegen“, „habe daher die Hoffnung“ – das ist alles sehr schön umgesetzt. Am allerbesten, weil für eine gelungene Viertklässler-Erörterung am wichtigsten, ist natürlich das wohlgesetzte „ich bin der Meinung“, nämlich, dass man sich als Kanzler nicht in eine Ermittlung einmischen solle, es sei denn, es ist opportun, weil der eigene Pressesprecher ein derartiger Tachinierer ist, dass man selber vor lauter Medienanfragen gar nicht mehr zum Regieren kommt, sodass man wohl oder übel einen offenen Brief an eine Justizbehörde schreiben muss, damit die dort merken, wie sehr man sich nicht in ihre Ermittlungen einmischt.

Schönes Wochenende!

Freitag, 5. März 2021

Schweigen

 

Kann man, o teure Lesehäschen, nur über Dinge sprechen? Oder auch über Wörter? Bisher dachte euer germanistisch vorbelasteter Kolumnator sogar über Wörter sprechen zu müssen. Wir lernen jedoch, dass man dabei, wenn es blöd hergeht, seinen Job verlieren kann. So erging es, wie ihr woken Häschen bestimmt schon wisst, einem Redakteur der New York Times namens Donald McNeil, der mit einer Schülergruppe auf Bildungsreise in Peru unterwegs war. Es ergab sich ein Gespräch mit einer Schülerin über ein Video eines Buben, der darin das Wort „Nigger“ verwendete. Natürlich ist das ein schiaches Wort, mindestens so schiach wie „Judensau“ oder „Funzn“ oder ganz viele andere Wörter. Ich vertraue jedoch darauf, dass euch klar ist: Euer Zweckdichter sieht a priori keinen Unterschied zwischen Menschen, ungeachtet ihrer Hautfarbe, ihrer Religion oder ihres Geschlechts, behält sich aber freilich das Recht vor, einen jeden nach näherer Untersuchung als Arschloch zu klassifizieren. If it walks like a duck …

Jedenfalls erkundigte sich Herr McNeil in gedachtem Gespräch näher, wie denn der Knabe das Wort „Nigger“ verwendet habe. Damit war die Sache gegessen, denn nach einigen Umwegen verlangten 150 seiner geschätzten Kollegen von ihm öffentlich eine Entschuldigung, weil das Wort „Nigger“ immer schon eine Beleidigung sei und man es daher keinesfalls auch nur zitieren dürfe.

Einmal ehrlich, o teure Häschen: Ist es für so etwas nicht ein bisschen spät? Hätten wir noch die Ursprache Adams, in der jedes Ding genauso hieß, wie es ihm frommte, dann wäre da vielleicht was dran. Doch seit der babylonischen Sprachverwirrung müssen, nein: dürfen wir mit einer Kluft zwischen Zeichen und Bezeichnetem leben. (Wer sich zu diesem Thema gepflegt unterhalten lassen will, der lese Embassytown vom nicht genug zu preisenden China Mieville.)

Die Karte, Herrschaften, ist nicht das Territorium, das Wort ist kein Übergriff und die Waffe kein Mord! Man braucht keinen Derrida gelesen zu haben, um zu wissen, dass je nach den Umständen Arzttochter eine geringere, aber auch eine schwerere Beleidigung sein kann als Nigger, sonst wäre das sogenannte N-word privilege (das Recht, jemand einen Nigger zu heißen, ohne dass man deshalb seine langjährige Arbeitsstelle aufgeben muss) nicht denkbar.

Dass jede Nennung und jede Darstellung von etwas Unerwünschtem automatisch Zustimmung bedeute, das kannte man bisher eher von den Bewertungen der katholischen Filmkommission der 1970er Jahre als von einem Leitmedium des Abendlandes.

Denn leider ist es so: Der Rassismus geht nicht weg, wenn man Leute zur Kündigung mobbt, die ein rassistisch konnotiertes Wort nicht etwa in rassistischer Absicht verwendet, sondern es nur zitiert haben. Um ihn zu bekämpfen, ist es wahrscheinlich nützlich, möglichst viel über ihn zu erfahren. Ob Sprechverbote der geeignete Weg dafür sind, bleibe dahingestellt. Ich frage mich aber schon, was einer der 150 als Nächstes tut, wenn er zum Beispiel gottbehüte eine Krebsdiagnose kriegt. Sucht er sich dann einen Onkologen, der die Proben nicht unters Mikroskop, sondern in den Schrank legt, in der Hoffnung, dass das Übel dann verschwindet?

Wahrscheinlich nicht. Denken wir also daran, dass man nicht nur sprechen kann, sondern sich auch mit Sprache befassen (es sei denn, man ist einer von jenen in Embassytown). Schönes Wochenende!