Freitag, 28. April 2023

Zauberhaft

 

Mit den Geschlechtern wird es bekanntlich immer schwieriger. Nicht nur ist die Genderei eine heikle Geschichte, weil wir halt im Deutschen leider mit grammatischen Genera geschlagen sind, die – Überraschung! – nur bedingt etwas mit Gender oder gar Sexus zu tun haben. Als Charles III. (was ist eigentlich ein König, der noch nicht gekrönt ist? Ist der „designierter König“? Immer noch „Thronfolger“? Antwort: Er wurde mit dem Ableben der Queen automatisch König, die Krönung ist mehr so eine amtliche Stampiglie auf das Königtum), als also Charles III. bei seinem kürzlichen Deutschlandbesuch mit „Majestät“ angeredet wurde, wollte ihm gewiss niemand eine Vulva unterstellen, da kann die Majestät so weiblich sein, wie sie will.

Manchmal begegnen einem aber weibliche Wesen, wo man jetzt echt nicht damit gerechnet hätte. Feen zum Beispiel. Die kennen wir ja aus dem Märchen: aufgetakelte Tanten, von denen man sich drei Dinge wünschen darf, aber „unbegrenzte Wünsche“ zählt nicht als Wunsch. Und das sind noch die guten Feen, böse gibt es auch. Die wünschen einem dann was an, das man nicht brauchen kann, Warzen oder eine GIS-Anmeldung.

Es gibt aber noch eine dritte Sorte, wie euer Ergebener kürzlich gelernt hat: Es handelt sich um die Handlingfee. Schaut ruhig zweimal hin.

Na? Genau. Die Handlingfee erfüllt weder Wünsche noch flucht sie dir. Stattdessen musst du zahlen, nämlich die Bearbeitungsgebühr, die auf Englisch „handlingfee“ heißt. Duden hat entschieden, dass die Handlingfee, wenn sie im Deutschen als Fremdwort auftritt, weiblich ist, nämlich in Analogie zur Gebühr. Ich kann mir nicht helfen, mich dünkt das kurios. Falls euch die Handlingfee ganz normal vorkommt, solltet ihr euch von meiner Verwirrung freilich nicht beirren lassen, war ich doch jahrzehntelang überzeugt, Protegé sei sächlich (Spoiler: männlich).

Ganz auf dem Holzweg ist der Zweckdichter aber doch nicht. Denn es gibt ja noch weitere Feen wie die Greenfee, die du abdrücken musst, um in einem Golfclub zu spielen, zu dessen erlauchtem Mitgliederkreis du dich nicht zählen darfst. Laut Duden kannst du in diesem Fall ebensogut das wie die Greenfee zahlen, ehe du dich in sorgfältig ziselierter Kunstlandschaft verlustierst. Nicht zu verwechseln ist die Greenfee mit der Grünen Fee, also dem Absinth, wobei die Grüne Fee immer weiblich ist, während Greenfee ein preferred pronoun hat. Am besten erkundigst du dich im Einzelfall. Schönes Wochenende!

Freitag, 21. April 2023

Qual

Ich weiß, es ist noch eine Weile hin. Aber wie haltet ihr es eigentlich mit dem Wählen, o mitbestimmungsbeflissene Lesehäschen? Es ist ja derzeit nicht ganz einfach. Einerseits weiß man: Wählen gehört sich, denn dafür haben unsere Vorväter bekanntlich ihr Blut gegeben, damals, am 12. Februar oder so.

Andererseits dürfen erstens auch Leute wählen, deren Vorväter am 12. Februar gerade was anderes zu tun hatten (Kühe melken zum Beispiel) oder vom Wahlrecht generell nicht so überzeugt waren. Und zweitens, da packen wir jetzt ein bestenfalls lauwarmes Eisen ungescheut an, wen wählen?

Unsereiner schaut sich die Grünen an, die Roten, die Blauen, die Schwarzen (oder sind die noch türkis?) und die Pinken und denkt sich: Das Wahllokal ist zwar keine fünf Minuten zu Fuß entfernt, aber eigentlich ist es fast schade um die Zeit.

Die Grünen: waren zehn Jahre in der Wiener Stadtregierung, und wohin man blickt, wurde anscheinend alles getan, damit die Stadt möglichst rasch eine möglichst hohe Kuscheltemperatur erreiche. Ob man sich die die Asphalt- und Pflasterwüsten auf dem Gelände des ehemaligen Südbahnhofs anschaut oder die Kiesflächen im Schwarzenbergpark, wo vor wenigen Jahren noch uralte Baumriesen standen: Chlorophyll scheint mit „grün“ nicht gemeint zu sein.

Die Blauen: Scherz, oder?

Die Schwarzen/Türkisen: Wie die Blauen, nur schwächer.

Die Pinken: einige ungeheuer kompetente und engagierte Persönlichkeiten, aber die Themen sind wahrscheinlich nicht die dringendsten.

Die Roten könnte man schon ankreuzeln. Man hätte aber dabei ein bisschen ein schlechtes Gewissen, weil man sich vorkäme, als störe man sie bei etwas Wichtigem.

Tja, und damit sind wir auch schon durch. Klar gibt es noch Nischenangebote, aber ist es wirklich wahr, dass einem urbanen Zweckdichter mittleren Einkommens und Alters keine der herkömmlichen Parteien ein halbwegs überzeugendes Angebot macht?

Yep, ist es.

Man könnte fast neidisch werden, wenn man an die Trumpisten und ihren Sturm auf das Kapitol denkt. Da waren vor gut zwei Jahren Leute allen Ernstes bereit, gewählten Volksvertretern werweißwas anzutun, weil sie ihren eigenen Vertreter für noch wesentlich gewählter erachteten. Das ist Hingabe, Herrschaften! Diese Menschen haben lange Wege und hohe Risken auf sich genommen, um nach ihrer Fasson die Demokratie zu retten. Dass der Demokratie nach unserem Verständnis damit nicht gedient war, steht auf einem anderen Blatt. Aber sie hatten immerhin eine politische Heimat und etwas, wofür sie den Arsch hochkriegten.

Unsereiner wählt eventuell ungültig, was soviel heißt wie: „Das Wahlrecht ist etwas Gutes, und hoffentlich weiß ich irgendwann wieder etwas damit anzufangen.“

Schönes Wochenende!


 

Freitag, 14. April 2023

Erinnerung

 

Nemo manet sua forma, keinem bleibt seine Gestalt, hat schon Ovid gewusst, wie ihr, o klassisch gebildete Lesehäschen, natürlich im kleinen Finger habt. Zumindest habt ihr damals ohne Zweifel euren Ransmayr gelesen. Wie ist Die letzte Welt eigentlich gealtert in den letzten 30 Jahren? Ist das immer noch gut? Euer Ergebener fragt deshalb, weil er vor einem Weilchen Eternal Sunshine of the Spotless Mind gesehen hat, ein 2004 hochgelobtes Wie-wirklich-ist-die-Wirklichkeit-Vehikel mit All-Star-Cast und einem Buch von Charlie Kaufman, einem der wenigen Drehbuchstars in der Geschichte des Films. Leider muss ich berichten, dass man sich das heute sparen kann. Was einst innovativ und überraschend war und uns einlud, die Liebe neu zu denken, ist heute ein langatmiges Machwerk, das nicht aufhören kann, seine eh nette Grundidee immer noch einmal am Publikum vorbeizutreiben.

Weil euer Ergebener Die letzte Welt in den späten 1980ern sehr geschätzt hat, hat er aber Hemmungen, nachzuschauen, ob sich das Buch ähnlich schlecht gehalten hat. Man darf ja durchaus auch nette Erinnerungen behalten, ohne immer wieder zu prüfen, ob sie eh noch stimmen. Wer „Was war da?“, den diesbezüglichen Artikel in der Zeit, noch nicht gelesen hat und die Bezahlschranke nicht scheut, schaue hinein. Auf das Gedächtnis ist offenbar noch weit weniger Verlass, als wir eh schon vermutet hatten. Vielleicht müssen wir die Aussagen von Sebastian „Ich habe dazu keine Wahrnehmung“ Kurz und Konsorten vor dem Ausschuss ganz neu bewerten.

Was hingegen ganz sicher so war, ist das mit dem Schifahren. Früher, so ungefähr bis in die 1990er, musste man in Österreich Schi fahren können. Also, man durfte natürlich auch andernfalls dableiben. Aber man wurde dann gefragt, wie es denn dazu gekommen sei, ob man es überhaupt schon einmal probiert habe, was man denn im Winter stattdessen mache und so weiter. Kurz: Nicht Schi zu fahren war damals so wie heute, wenn jemand nichts trinkt.

Beim Schifahren gab es im Gegensatz zum Trinken allerdings noch eine Zwischenstufe, das Langlaufen. Langlaufen war okay, so lange man es als Ergänzung zum Alpinen machte. Langlaufen allein war (zumindest unterhalb des Weltcupniveaus) so, als ließe man es am Freitagabend mit Clausthaler so richtig krachen.

Heute dagegen ist Schifahren knapp überm Golfspielen. Gibt noch Leute, die das machen, aber manche stehen ja auch auf Squash. Getrunken wird freilich immer noch. Wochenende!

 

Freitag, 7. April 2023

Panta rhei

 

Muss man, o lebenssatte Lesehäschen, wirklich noch was über Roald Dahl schreiben?

Man kann zumindest festhalten, dass aus der Debatte eine gewisse Unbedarftheit im Umgang mit Fiktionen spricht.

Für alle, die in letzter Zeit mediengefastet haben: In neuen Ausgaben von Kinderbüchern des einschlägig mit Recht berühmten Roald Dahl mögeerinfriedenruhen wurden Dinge bereinigt, dergestalt, dass Figuren nicht mehr als „fett“ oder „hässlich“ bezeichnet werden, weil man daas heutzutage nicht mehr tut. Wo man schon dabei war, wurden Frauenfiguren aufgewertet, weil es anscheinend ehrenrührig ist, von einer Supermarktkassierin zu schreiben, wenn es doch nichts kostet, stattdessen von einer Unternehmerin zu schreiben.

Sonderbar ist daran zunächst die Ansicht, dass es heutzutage „nicht mehr akzeptabel“ sei, jemanden als fett und hässlich zu bezeichnen. Damit wird die Generation Schneeflocke zur Ära Schneeflocke. Denn wenn man in den 80ern zu jemandem hingegangen wäre und gesagt hätte: „Du bist aber fett und hässlich“, dann hätte man eine Watschen kassiert. Es war nämlich, Überraschung!, auch damals nicht akzeptabel, sondern eine bewusste Provokation, die der Autor eingebaut hatte. Möglicherweise triggert das manche Gen-Z-er hart, aber auch vor 40 Jahren gab es so etwas wie Höflichkeit.

Noch seltsamer wird es, wenn man sich fragt, wessen Ausdrucksweise hier eigentlich modernisiert wird. Schon klar, dass der Herr Dahl der Autor ist. Wenn ich aber in einem Film von Buchundregietarantino sehe, wie jemandem ein Ohr abgeschnitten wird, wäre es vorschnell, zu unterstellen, dass Herr Tarantino gern Leuten die Ohren abschneidet. Denn nicht jede Darstellung ist affirmativ. Noch wichtiger: Der Autor ist nicht mit dem Erzähler identisch. Das ist offensichtlich bei Erzählungen in der Ich-Form (wobei es damit wohl bald vorbei sein wird, weil es nicht mehr statthaft ist, sich Traumata oder Benachteiligungen zu eigen zu machen, die man nicht tatsächlich durchgemacht hat). Es ist aber auch bei jeder anderen Erzählung der Fall. Wenn Herrn Dahls Erzähler jemanden als fett und hässlich bezeichnet, sollte man zumindest in Betracht ziehen, dass der Autor einen Erzähler zu schaffen beabsichtigte, der nicht so hundertpro der Sonnenschein des Lebens ist. Dass der Erzähler nicht mit dem Autor identisch ist, war schon eine 100-jährige Binsenweisheit, als der Text geschrieben wurde.

Doch nicht nur Kinderbücher werden modernisiert, auch Romane von Agatha Christie oder Ian Fleming. Die Verantwortlichen vermuten anscheinend ein Zielpublikum, das zwar des Lesens mächtig ist, dem aber jegliches Bewusstsein dafür abgeht, dass sich die Zeiten ändern. In der Spatzenpost gab es früher (apropos: gibt es eigentlich die Spatzenpost noch?) die Rubrik  Wie es früher war – wie es heute ist. Da lernte man zum Beispiel, dass der Opa noch mit langen Eschenholzschiern und nur einem Stecken am Berg zugange war und dass zwischen jenem Zustand und unseren damaligen Kästle samt Dachstein-Vollplastikbock der Fortschritt lag. Wenn der James Bond der 60er Jahre eine Ansicht über „persons of color“ (sagt man noch so?) äußert, die ein ordentlicher Mensch heute nicht mehr äußern würde, erkennt man daran in erster Linie, dass das schon ziemlich lange her ist. Es sei denn, man macht sich nicht klar, dass manche Dinge schon länger her sind als andere. Wer die Maßstäbe der Gegenwart an Artefakte der Vergangenheit anlegt, hat es nicht mehr weit zur Geschichtsvergessenheit. Und was mit Leuten geschieht, die vergessen, was schon war, wissen wir (zumindest einstweilen noch): Sie sind verurteilt, es zu wiederholen. Schönes Wochenende!