Freitag, 25. August 2023

Rechtsdrehend

 

Dies, o mit Recht enttäuschte Lesehäschen, ist nicht die Zukunft, die uns einst verheißen wurde. Dass nach Waldsterben und Ozonloch noch viel Schlimmeres gefolgt ist, nicht zuletzt dank einer Lobby, die aus ideologischen Gründen alles dafür getan hat, den Karren gegen die Wand zu fahren (wer ein mieses Wochenende haben will, lese Merchants of Doubt), wissen mittlerweile sogar manche FPÖ-Wähler. Dass es mit den fliegenden Autos und der Kolonie auf dem Mond mau aussieht, wissen alle außer Elon. Dass wir Erfahrungspunkte farmen sollten, um rechtzeitig geile Installateursskills zu erwerben, sodass wir im Bedarfsfall die Reparatur der Wärmepumpe selber craften können, weil wir sonst erfrieren oder beim Kaltduschen einen Herzkasper erleiden, ehe der einzige Fachkundige im Umkreis von 100 Kilometern Zeit für uns hat, ist uns schmerzlich bewusst.

Wie schlimm es aber selbst um Servicebranchen steht, in denen man nicht einmal wissen muss, wie ein 17er-Gabelschlüssel aussieht, geschweige denn, wie man ihn hält, daran müssen wir uns erst gewöhnen. Eventuell auch nicht, wenn die KI endlich einmal anfängt zu liefern, aber auch da sieht es bisher ja eher müde aus, weil, haha, die KI wieder dümmer wird, da ihr Trainingsstoff zunehmend ebenfalls KI-erzeugt ist, sodass die künstliche Doofheit sich potenziert, dass man dabei zuschauen kann.

Zum Beispiel hätte man gerne ordentliches Internet fernab der nächsten Ampel. Was man hat, ist Festnetz-Internet. Man hat sich dafür entschieden, weil „Festnetz“ so solide klingt. Tatsächlich ist das Kabel vielleicht fest, die Verbindung deshalb aber noch lange nicht. Der Kundendienst kann wenig ausrichten, weil sein Vorvorgänger einst vergessen hat, aufzuschreiben, wo das Kabel sich befindet. Ja, im Ernst: Es gibt einen Kasten an der Straße, dann folgen 50 Meter Rätsel, und schließlich ist in der Mauer eine Dose mit wieder einem Kabel drin. Was dazwischen geschicht, weiß niemand.

Man hätte gern das örtliche Drahtlos-Internetz, das über eine Richtfunk-Verbindung hergestellt wird. Das geht leider nicht, weil man zu nahe am Berg ist, der die Richtfunkstation verdeckt. Also nimmt man halt LTE. Hier verbringt man einige lustige Stunden mit dem Setup, weil der Router (von einem deutschen Markenhersteller) nicht nur den Anbieter nicht kennt (der ja auch erst seit 2005 im Geschäft ist), sondern weil auch nirgends in der Anleitung steht, dass man diesfalls Roaming freischalten muss.

Dann hat man endlich eine Verbindung, die aber nur ein Zehntel der verheißenen Bandbreite liefert. Eine SIM-Karte eines anderen Anbieters kommt im selben Netz auf das Zwanzigfache.

Der Kundendienst meint, man könnte schon ein „Technik-Ticket“ eröffnen. Aber man solle doch lieber die SIM-Karte einschicken, zwecks Prüfung. Möglicherweise bekomme man dann „auf Kulanz“ eine neue. Liebes Yesss: Wenn ihr mir eine defekte SIM-Karte verkauft, ich die die dann einschicke und ihr mir dafür eine funktionsfähige liefert, hat das mit Kulanz nichts zu tun.

Also tritt man vom Vertrag zurück und schaut sich anderweitig um. Währenddessen hat der Rasenmäher Rhythmusstörungen, weil das Messer lose sitzt. Man will dieses demontieren, doch dreht sich die Welle mit. Man ruft den Rasenmähermann an. „Ich bin ziemlich sicher, das ist ein Linksgewinde.“

Erstens: Wenn sich die Welle mitdreht, ist es egal, ob links oder rechts.

Zweitens: Es ist ein Rechtsgewinde. Noch nie war der Satz „Was man nicht selber macht, ist nicht gemacht“ so wahr wie heute.

Schönes Wochenende!

Freitag, 18. August 2023

Es ist, wie es ist

 

Die Caritas, o mildtätige Lesehäschen, sucht aktuell per Plakatkampagne eine*n „Pressesprecher*in für Armutsbetroffene“. Das ist erstens ein löbliches Unterfangen und erinnert zweitens an die hieramts am 13. März 2020 (hach, da war doch noch irgendwas!) behandelte Frage, warum man von manchen Fährnissen „betroffen“ ist und von anderen nicht. Schon damals stieß uns auf, dass man dieser Tage zwar nicht arm ist, sondern allenfalls armutsbetroffen, jedoch niemals reichtumsbetroffen, sondern reich. Das mutet inzwischen noch unfairer an. Die „Betroffenheit“ will ja vermutlich sagen, dass die Armen nichts dafür können, während die Reichen selber schuld sind. 

Euer Ergebener hat den Eindruck, dass die Sprachregler in Sachen Betroffenheit sich damit als Opfer des einen oder anderen Trickbetrugs empfehlen. Denn die Antwort auf die Frage, wie gestandene Geschäftsleute auf solche Schlingel hereinfallen können, liegt laut David Maurer, der vor bald 100 Jahren das entsprechende Buch (The Big Con, Empfehlung, Bildungsauftrag erfüllt) geschrieben hat, oft darin, dass sich erfolgreiche Menschen einen zu großen Anteil an ihrem Erfolg zuschreiben. Weil sie meist an die Richtigen geraten sind, halten sie sich für Menschenkenner, während wir weniger Erfolgreichen wissen, dass zum Erfolg auch Glück gehört. Man muss hinzufügen: ebenso, wie zum Armwerden Pech gehört. Dass einer reich ist, beweist keineswegs, dass er irgendwas draufhat, sondern nur, dass er mehr Kohle hat als unsereins. Wer also den den Armen die Betroffenheit zugesteht, während er sie den Reichen versagt, behauptet damit, dass Letzere mehr Einfluss auf ihr Schicksal hätten als Erstere. Tatsächlich ist der durchschnittliche G’stopfte ebenso jungferngeburtlich vom Reichtum betroffen wie der durchschnittliche Notleidende von der Armut. (Von der Erbengeneration haben wir da noch gar nicht angefangen. Mark Mateschitz hat nichts dazu beigetragen, dass sein Vater mit Gummibärchenplörre Milliarden gescheffelt hat. Frau Engelhorn, die bekanntlich sehr dafür ist, Erbinnen wie sie kräftig zu besteuern, hat sich nicht ausgesucht, dass ihr Ururgroßvater BASF mitbegründet hat und ihr Großvater bei Boehringer wichtig war.) Man möchte fast sagen: Irgendwie sind alle von allem betroffen, weil niemand komplett dafür verantwortlich zu machen ist, wie es ihm geht. Könnte man sich also das „-betroffen“ gleich schenken? Das möge die Nachwelt entscheiden.

Weil wir schon dabei sind: Kann mir jemand den Unterschied zwischen einem Zustand, einer Betroffenheit und einer Opferrolle erklären?

Aktuell scheint es nämlich so zu sein:

Attribute, die genetisch bedingt sind oder zumindest sein könnten (Hautfarbe, sexuelle Orientierung, aber auch Übergewicht oder Deppertsein) sind einfach. Man ist weiß, trans, bodypositiv und so weiter.

Von Dingen, für die „die Gesellschaft“ verantwortlich zu machen ist (Armut, geringer Bildungsstand), ist man betroffen, vorzugsweise dann, wenn das entsprechende Fährnis als unerfreulich gilt (siehe Reichtum).

So weit, so gut.

Wenn ein Unwetter dein Haus abtransportiert oder die Hitze deine Ernte vernichtet, bist du ein Opfer (ein Unwetteropfer, ein Opfer der Klimakatstrophe, whatever).

Seltsamerweise bist du aber ein Unfallopfer oder ein Diskriminierungsopfer, wenn dich einer über den Haufen fährt oder unterbuttert, weil er seinerseits deppert ist. Ist es nicht seltsam, dass wir die gleiche Rolle übernehmen sollen, wenn uns der Blitz trifft wie wenn uns ein Nazidepp prügelt? Mir scheint das ungerecht gegenüber den Blitzen. Schönes Wochenende!

Freitag, 11. August 2023

Unsichtbare Konzertbesucher

 

Habt ihr, o trendbewusste Lesehäschen, euren Barbenheimer schon absolviert? Natürlich, und gewiss was Pinkes dabei getragen, wie es sich gehört! Man ist ja in diesen nachcoronesken Zeiten (erinnert sich eigentlich jemand an die Pandemie? Ihr wisst schon: Das, weshalb wir jetzt alle Teams verwenden) immer dankbar für Erlebnisse, die man mit Wildfremden teilen kann, und kultisches Kinogehen ist dafür ideal.

Nicht ganz so ideal sind anscheinend kultische Konzertbesuche. Bestand der größte gemeinsame Nenner (nicht etwa der kleinste, denn dieser existiert nicht – soviel zum heutigen Bildungsauftrag) unter Stadiongig-Adepten früher im kollektiven Abhotten zu den Hits der Stars, so ist diesbezüglich mittlerweile Vorsicht geboten. Denn obgleich sich niemand mehr so recht erinnern kann, was zwischen März 2020 und dem vergangenen Frühling genau los war, juckt die verlorene Erinnerung wie ein amputiertes Bein. Euer Ergebener hat aus verlässlicher Quelle erfahren, dass zum Beispiel bei Harry Styles im Happelstadion nix mit verschwitzten Körpern war, die selbstvergessen in der Abendsonne zuckten. Vielmehr galten hier die strengen Regeln von your dance space – my dance space, die wir einst von Jennifer Grey und Patrick Swayze gelernt haben. Die Liebe, die Harry stets und löblicherweise predigt, erstreckt sich nicht bis zum Verständnis für die Körperlichkeit des Nebenmenschen. Die Gewährsperson des Zweckdichters tanzte nämlich mirnixdirnix mit, als gäbe es kein Morgen. Dann erfuhr sie, was auf den Bildern vom Konzert zwischen den ixtausend Besuchern nicht zu sehen war: Die ixtausend Babyelefanten dazwischen. Denn schon nach kurzem Hopsen stupste ihre Nebenfrau sie an und ersuchte, sie doch bitte nicht zu berühren.

Zufällige Berührungen in einer Menge sich rhythmisch Bewegender sind also nicht mehr angängig. Bei näherem Hinsehen ist das kaum verwunderlich, weil das mit der Menge und dem Rhythmus schon nicht so ganz hinhaut. Sobald nämlich der Star loslegt, filmen alle drauflos. Natürlich ohne Shaken, man will ja keinen verwackelten Mitschnitt haben. So stehen Tausende mit gerecktem Arm stocksteif da und begehen gemeinsam, aber distant im Namen allseitiger Verständigung einen Reichsparteitag der Populärmusik, um später ein Video auf TikTok zu stellen, das genauso aussieht wie zehntausend andere Videos auf TikTok, um einander nachher zu versichern, wie super es war.

Solche Erlebnisse sind für Menschen ab 40 ganz schön Demolition Man. Ihr wisst schon: Jenes großartige Werk, in dem Herr Stallone aus dem Kälteschlaf erwacht und feststellt, dass mittlerweile niemand mehr Schimpfwörter verwendet, Fleisch isst oder Sex hat. Wer es nicht kennt, gönne sich zwei unterhaltsame Stündchen!

Erfreulicherweise hat auch das Zweckdichterbalg erkannt, dass kein Unterschied zwischen den 10.000 ohnehin verfertigten Videos und dem 10.001., selbstgemachten bestünde, und hat deshalb aufs Mitfilmen verzichtet. Gerade die kleinen Dinge machen die geglückte Aufzucht so erfreulich. Schönes Wochenende!


Freitag, 4. August 2023

Voyeure

 

Die Natur, meine teuren und schamgesunden Lesehäschen, ist keine Peepshow. In einer Zeit, da humanoide Roboter lernen, wie man an der Stange tanzt (und wer jetzt glaubt, das sei zu Blade Runner, um wahr zu sein, der googlet zur Strafe eine Runde und schweigt dann beschämt), ist es anscheinend nicht mehr statthaft, in den Zoo zu gehen, um die Tiere zu sehen. (Dass sie keine Namen mehr kriegen sollen, oder höchstens solche wie die Kinder von Elon Musk, hätte einen da auch nicht mehr überrascht, war aber doch nicht so gemeint.) Denn der Ethiker und Theologe Kurt Remele erklärt in einem Standard-Gastkommentar, es sei moralisch schwer haltbar, sich die Tiere im Zoo anzuschauen.

Warum das so sein soll, wird leider aus dem Artikel nicht recht klar, beziehungsweise erschöpft sich die Argumentation weitgehend darin, dass früher auch Menschen zur Schau gestellt wurden, was heute nicht mehr okay ist. Inwiefern daraus die Verwerflichkeit des Zoos als Anstalt zur – unter anderm – Befriedigung der Schaulust folgt, bleibt offen. Die Rechnung, die Tieren die gleichen Rechte zubilligt wie Menschen, geht ja leider nicht auf. Denn aus diesen Rechten folgt nicht nur, dass wir keine Tiere essen sollen, sondern dass wir sie überhaupt nicht gebrauchen dürfen, um Bedürfnisse oder Wünsche zu befriedigen. Es folgt daraus weiters (da es keine Rechte ohne entsprechende Pflichten gibt), dass auch Tiere keine Tiere verzehren dürfen. Dies dürfte eine Kluft aufbrechen lassen, die vermutlich (ohne dass sich euer Ergebener da jetzt zu weit aus dem Fenster lehnen will) entlang der Pflanzenfressergrenze verlaufen dürfte. Damit wäre auch in der Tierwelt der worst case, nämlich die Spaltung der Gesellschaft, eingetreten, und genau wie bei den Menschen würde dabei übersehen, dass solche Spaltungen immer schon Faktum waren.

Denn unsere Schaulust ist ja nur eines von vielen Bedürfnissen, die wir mit Hilfe von Tieren befriedigen. Wer eine Katze hält, damit schon jemand zuhause ist, wenn man abends heimkommt, hat dafür nicht das Einverständnis der Katze eingeholt. Der Hundewelpe wird nicht gefragt, ob er eine Karriere in der Sehbehindertenunterstützung anstrebt oder lieber im Körbchen chillt. Wenn er dann ein Blindenhund geworden ist, wird er für seine größere Verantwortung nicht besser bezahlt als der lästige Buschbrunzer, der den lieben langen Tag nichts tut als den Staubsauger zu verbellen und dafür Leckerli zu kassieren.

Das Problem ist ja auch nicht die Schaulust an sich. Allerlei Stuntmen, Stangentänzerinnen und Zirkusmenschen verdienen mit deren Befriedigung ihren Lebensunterhalt. Freilich in der Regel aus freien Stücken. Doch wer wollte einen Orang-Utan fragen, ob er lieber vor der Palmölindustrie zittert oder in Schönbrunn ein Bild malt, um den Preis, sich dabei zuschauen zu lassen?

Kurz: Euer Zweckdichter hat das Gefühl, wir könnten auf dieser Pandorabüchse eventuell den Deckel drauflassen, weil das mit der Befriedigung, die wir uns bei Tieren holen, halt ein weites Feld ist. Vielleicht bescheiden wir uns stattdessen damit, dass im Zoo nicht nur wir die Tiere betrachten, sondern auch die Tiere uns, mit dem Unterschied, dass die Tiere freie Kost und Logis bekommen, während wir dafür bezahlen. Schönes Wochenende!