Freitag, 31. Oktober 2014

Es ist kompliziert


Liebe Lesehäschen, hochverehrte Leserammler, mir sehr teure Leselangohren von hier nicht eigens angeführter sexueller Orientierung: Es gibt Neues von der Genderfront. Treue Leserinnen erinnern sich vielleicht an die hieramts seither gern zitierte Dozentin Silvia Stoller und ihren Beitrag zur Diskussion um die gendergerechte Sprachnormung. Sie, weder Linguistin noch Typographin, sondern Philosophin, hat sich im vergangenen März für den Unterstrich als Königsweg stark gemacht, also z.B. für die „Philosoph_innen“. Dabei ist sie leider die Antwort darauf schuldig geblieben, wie das im Schriftsatz oder in gesprochener Sprache adäquat umzusetzen sei.

Nun hat sich das Österreichische Normungsinstitut vernünftigerweise dagegen entschieden, die gendergerechte Sprache zu normieren. Nein, halt: Nicht die „gendergerechte“, vielmehr die „geschlechtersensible“ Sprache bleibt ungenormt. Was in diesem Unterschied steckt, möge eine jede für sich entscheiden und es mir dann am Klavier vorspielen. Warum wird es keine Norm geben? Weil kein „breiter Konsens“ zu erzielen sei. Da muss man den Damen und Herren recht geben. 

Nur: Was machen wir jetzt? Ich für mein Teil als angehender Berufsjugendlicher des noch frischen 21. Jahrhunderts täte ja nichts lieber, als für jeden Anlass die geschlechtskorrekte Formulierung parat zu haben. Nicht umsonst lest ihr hier in der Regel (d.h.: wenn ich dran denke) nur die weibliche Form.

Dabei hat mich jedoch schon bisher irritiert, dass die Diskussion sich meist nur um die beiden handelsüblichen biologischen Geschlechter drehte. Und Genders soll es ja noch ein paar mehr geben - Facebook stellt Dutzende zur Auswahl, je nach Quelle irgendwas zwischen 53 und 71. Wie um Himmels willen soll ich dem textlich gerecht werden?

Noch schwieriger wird es infolge der Kluft, die sich zwischen allgemein sprachlicher und individuell gelebter Wirklichkeit auftut. Denn die deutsche Sprache kennt nun einmal nur drei Genera (viele andere haben gleich nur eines). Dafür finden die nicht nur in Substantiven statt, sondern auch in Pronomina wie „sein/ihr“ – Frau Dozentin Stoller, wie gendern wir das mit einem Unterstrich? Und fühlen sich die andern 51–69 (haha) Genders da wirklich adäquat mitgemeint?

Ich fürchte, uns bleibt nur ein Ausweg, wenn wir diese Gendersensibilitäts-Chose wirklich ernst nehmen: Wir müssen uns von Femininum und Maskulinum verabschieden und diese beiden ebenso unzureichenden wie konfliktaffinen grammatischen Zuschreibungen eliminieren, auf dass wir dann endlich in friedlichem und vollständig inklusivem Neutralität formulieren können, wie uns das Schnabel gewachsen ist.

Einzige Alternative, und hiermit schreibe ich ein Forschungsprojekt aus: Die allseits bekannte Rule 34 lehrt, dass es von allem, was ist, auch Pornographie gibt. Wenn die 53-71 Facebook-Genders relevant sind, muss

1. entsprechende Pornographie aufzufinden sein;

2. diese für den Konsumenten aufgeschlüsselt sein.

Da lässt sich sicher alles finden, was man für die adäquate Formulierung geschlechtlicher Wirklichkeit braucht. Bitte recherchieren und mir mitteilen, ich überreiche im Gegenzug eine Leberkässemmel. Los geht’s!

Im Übrigen verlange ich, dass nur Jobs mit vollständig ausgefülltem Reinzeichnungskleber die Agentur in Richtung Fulfillment verlassen. Venceremos!


Freitag, 24. Oktober 2014

Trauerarbeit


Meine hochverehrten und mir sehr teuren Lesehäschen und –rammler! Ich kann nicht sagen, dass ich mich freue, euch heute hier versammelt zu sehen. Ist doch der Anlass, der uns hergeführt hat, ein zu betrüblicher, um von Freude zu sprechen. Ich darf euch aber versichern, dass eure geschätzte Anwesenheit zumindest meinen Schmerz zumindest lindert, zumindest so sehr, wie es eine mittelständische Portion guten Whiskys täte.

Nun denn, ihr Schätzbaren, wir haben uns zusammengefunden, um dem nie erhaltenen Briefing die letzte Ehre zu erweisen. Vielleicht ist es auch die erste Ehre, denn wie gesagt: Dieses Briefing haben wir nie erhalten. Dabei gab es einst zu den schönsten Hoffnungen Anlass. Der Anfang von einem schönen Ende hätte es sein können, das Sprungbrett zu einer Trophäe, vielleicht sogar – man darf schließlich Träume haben – zu einem Lob vom Kunden!

Doch ach! das Briefing haben wir nie erhalten. Stattdessen ward uns das Zweitbeste, und selten spürt man so wie hier die Wahrheit der Sentenz, dass der Zweite der erste Verlierer ist. Denn das Zweitbeste war eine Idee. Ideen vom Kunden gibt es, wie man weiß, in zwei Geschmacksrichtungen: schlecht (schlimm) und gut (vielleicht noch schlimmer). In diesem Fall war es eine schlechte. Doch eine schlechte Idee auf Kundenseite ist wie ein Kuckucksküken. Liegt sie erst einmal im Nest, haben die andern Insassen bald nichts mehr zu lachen. Hinten schubst sie mit ihrem kräftigen Bürzel die berechtigten Einwände in den Abgrund, während sie vorne den Schnabel weit aufsperrt und herzzerreißend „Budget! Budget!“ piepst.

Das Briefing hätte diese traurigen Szenen verhindern können. Doch ach! Wir haben es nicht erhalten.

Stattdessen ist die Kuckucksidee groß und fett geworden und hat sich zum (pro Stück) teuersten Mailing des Jahres ausgewachsen.

Darum, liebe Freundinnen und Freunde, lasset uns kurz in Stille verharren und hoffen, dass das nächste Briefing bis zu uns durchkommt.

Freitag, 17. Oktober 2014

Dass ich das noch erleben darf!


Erinnert sich noch jemand an die erste oder zweite hieramtliche Kolumne, so ungefähr vor einem Jahr? Die verriet einen Trick, um leicht und schnell zu erkennen, ob es sich bei einem Leser um einen Kunden handelt: Man verwende in einem Text das Stilmittel der Wiederholung, um durch diese Wiederholung dem Gesagten besonderes Gewicht zu verleihen oder den Leser einzuladen, erst einen Schritt mitzugehen, dann einen Schritt voraus.

Wenn der Leser die Wiederholung eingedenk des in der Volksschule Gelernten rot anstreicht, womöglich noch mit einem vorwurfsvollen Rufzeichen dazu, dann, so euer Kolumnator damals, handelt es sich um eine Kundin oder eventuell auch einen Kunden. Auf diese Regel war Verlass, seit ich zum ersten Mal „HL“ zwischen Schrägstriche gesetzt habe.

Doch nun, liebe Lesehäschen, ist es Zeit: Zeit, den roten Teppich auszurollen. Das Licht zu dämpfen. Einen Trommelwirbel bitte!

Denn jetzt kommt er: Mein unbekannter Kunde, der eine Wiederholung nicht moniert hat, sondern nur verständnissinnig gefragt: „Ist das beabsichtigt?“ Ja, mein Bester, es ist! Und du hast mir die größte Freude gemacht, die ich mit einem PDF-Kommentar je hatte, seit ich auf bash.org von dem Typen gelesen habe, der Pornobilder nur im Acrobat schaut, damit er mit dem kleinen Händchen drüberfahren kann.

Danke, mein Bester! Schau doch einmal in der Agentur vorbei, dann gebe ich dir einen aus. 

Bis dahin: Auf das Wohl des verständnisvollen Kunden!

Freitag, 10. Oktober 2014

Nicht alles, was glänzt


Willkommen zurück, liebe Lesehäschen! Fad war es diese Woche ohne euch. Aber jetzt, jetzt machen wir uns ein schönes Viertelstündchen. Was machen wir? Fies sein! Nämlich Leute ausrichten, die eurem Kolumnator mit einer kleinen Eigenheit unangenehm auffallen.

Unser heutiges Thema ist nicht spezifisch werbeaffin, es betrifft eher die Journalistinnen. Sie sind es, die sich gerne mit einer Wendung schmücken, die ihnen preziös scheint: 

des nächtens 

Wie glänzt dieses kleine Goldstück so hübsch! Wie klingelt es nostalgisch à la Praterkarrussell, wie elegant schwenkt es seinen Genitiv! Wie neckisch gucken die ä-Punkterln einen an! Gerne kramt die Schreiberin dieses scheinbare Kleinod aus einer hinteren Stilschublade, um einer kleinen Glosse das gewisse je-ne-sais-quoi zu verleihen.

Doch ach!, das Gold ist jenes, das Onkel Dagobert schon am Geruch erkennt und danach wieder in die Gosse kickt, nämlich Katzengold, aka Pyrit, aka Schwefelkies. Denn des nächtens ist eine Chimäre wie ein Kalb mit zwei Köpfen – durchaus interessant, aber schön ist anders.

Die Sache scheint mir kompliziert zu liegen. Denn natürlich ist nächtens ein einwandfreies Wort, ein Synonym zu nachts. Nur dass nächtens eben diesen altertümelnden Gout verbreitet, auf den nachts nur neidisch schielen kann. Wie kommt es zu dem seltsamen des nächtens, wo sich Artikel und Temporaladverb so schlecht vertragen, als schriebe man des tagsüber? Das hässliche Ding entsteht aus einer gebräuchlichen und einer unrichtigen Analogiebildung.

Denn es gibt ja nicht nur nachts, es gibt auch die gleichbedeutende Wendung des Nachts. Diese ist in Analogie zum ebenfalls altväterischen des Tages (meint: tagsüber) entstanden – „Des Nachts, wenn alle Veneri aus Gold sind“.

Irgendein Schlaumeier hat sich wohl gedacht, wenn des Nachts schon mehr Bling hat als nachts, wieviel mehr Bling muss dann erst des nächtens statt nächtens haben! Doch das ist ein Rezept für Vierjährige: Wenn Schnitzel gut ist und Nutella gut ist, wie gut muss dann erst ... ersparen wir uns das.

Der springende Punkt ist: nachts ist ein Adverb, (des) Nachts hingegen ein Substantiv, das analog zu Tages entstanden ist und nur zufällig gleich aussieht wie nachts.

Nächtens seinerseits ist ebenfalls ein Adverb, das genau dasselbe bedeutet wie nachts. Es gibt aber kein Substantiv Nächten, dessen Genitiv nächtens sein könnte. Das spüren sogar die halbseidenen Stilistinnen, die gerne des nächtens auf ihren Text pappen wie ein gefundenes Futzerl Goldfolie: Sie schreiben es fast immer klein und geben damit zu, dass ein trauriger Unterschied besteht zwischen des Nachts (gut so, groß) und des nächtens (schlecht erfunden, klein).

Soviel dazu. Jetzt zum 

Feedback der Woche

Jan Belik ist der einzige, der meiner Einladung zum Einsenden zahlreich gefolgt ist. Applaus bitte für Herrn B.!

Sein Kandidat für das Feedback der Woche ist: 

Von meinem iPhone gesendet 

Diese automatisch angefügte Floskel ist mitunter der einzige Mehrwert, den der Weg durch die Beratung dem Kundenfeedback angedeihen lässt. Bedauerlich!

Ich steuere außer Konkurrenz ein Bleamerl vom Rand des Feedbackackers bei:

großes Interesse an den „attraktiven“ Preisen - erwähnenswert dank der graziösen Anführungszeichen, und das im Herbst 2014.

Freitag, 3. Oktober 2014

Semantik für Melancholiker


So meine Lieben, bitte Ruhe, wir haben ein volles Programm. Erstens als Nachtrag zur letztwöchigen Kolumne eine hübsche Syllepsis, geliefert vom gestrigen Standard: „Zum Start der Messe wird eine eigene Games-Beilage in der Tageszeitung erscheinen und unter den Besuchern verteilt.“ 

Na, haben alle die Syllepsis entdeckt?

Genau: Das „wird“ wird hier über Gebühr beaufschlagt. Mit „erscheinen“ bildet es das Futur, mit „verteilt“ gleichzeitig das Passiv, jedoch im Präsens. Das klappt so nicht. Korrekt müsste die Formulierung entweder lauten „erscheint ... und wird verteilt“ oder aber „wird erscheinen ... und verteilt werden“. 

Zweitens bedarf ein Satz aus dem Briefing eines hoffentlich baldigen Kunden der näheren Betrachtung – etliche kennen ihn schon:

Gemeint ist kein Motto im Sinne eines Promotion-Slogans, sondern ein Motto im Sinne einer deskriptiv verbalisierten „Gedanklichkeit“.

Die scheinbar so unschuldige Erläuterung erweist sich bei näherem Hinsehen als sehr betrüblich, weil aus ihr ein tiefes Misstrauen gegenüber unserem Tun spricht. Ist hier doch ein Gegensatz konstatiert zwischen einem „Promotion-Slogan“ und einer „deskriptiv verbalisierten ‚Gedanklichkeit’“. Sollte ein Promo-Slogan nicht vielmehr genau das leisten? Verständlich ausdrücken, worum es geht, wie die Promo gemeint ist? Beinah noch bedenklicher sind die Anführungszeichen, in denen sich Zweifel daran zu malen scheint, dass eine Promo Gedanken enthalten kann.

Ich glaube, dass die Verfasserin* dieses Satzes von der Werbung einmal tief enttäuscht worden ist und dieses Trauma noch nicht hinreichend verarbeitet hat. Wie gesagt, sehr betrüblich. 

Drittens schließlich begrüßen wir mit einem höflichen Applaus unsere neue Rubrik, für die ich recht herzlich um eure Einsendungen bitte. Gesucht ist 

DAS FEEDBACK DER WOCHE! 

Ich eröffne mit der Frage:

„Eisbär ist doch keine Jahreszeitenbezeichnung oder doch?“

Erhalten habe ich diese beistricharme Reaktion auf die Wendung „von Eisbär bis Hochsommer“.

Nun ist es schon bemerkenswert, dass jemand diese Synekdoché** nicht aufzulösen vermag, besonders, wenn die Jemandin sich einen Hochschulabschluss umgehängt hat. Es drängt sich wieder einmal die Frage auf, ob man es hier mit genuiner Dummheit, mit schlecht verhohlener Bosheit oder doch mit Wald-und-Wiesen-Betriebsblindheit zu tun hat. Das schnippisch nachgesetzte „oder doch“ lässt mich auf Bosheit tippen. Genauso gut könnte sich ein Immobilien-Brand-Manager beklagen, dass „die eigenen vier Wände“ keine geeignete Bezeichnung für eine Eigentumswohnung seien, weil eine Wohnung ja Böden, Decken, Installationen und überhaupt mehr als vier Wände hat.

Zum Feedback der Woche wird der Satz aber erst durch zwei von obgedachter Kundin mitgelieferte Gegenvorschläge:

„Von eiskalt bis Hochsommer“ und „Von bitterkalt bis Hochsommer“.

Jaja, wie wir in der Volksschule schon gesungen haben: 

Es war eine Mutter, die hatte vier Kinder:

den Frühling, den Sommer, den Herbst und bitterkalt. 

Das toppt ihr jetzt mal schön!

*Genderklausel bitte in der BamF vom 11. April nachlesen.

**Die Synekdoché ist jene Redefigur, die einen Begriff durch einen anderen, thematisch verwandten ersetzt. Der bekannteste Spezialfall ist wahrscheinlich das pars pro toto, d.h. es vertritt, wie im Beispiel von den vier Wänden, ein Teil das Ganze.