Freitag, 29. Juni 2018

Verrechnet

Heraus mit der Sprache, ihr rechnerisch ausgeschlafenen Häschen: Wie ist es euch bei der Mathematura ergangen? Mittel, mau, gehtso oder mussja? Keine Angst, Harald Zierfuß, der Bundesschulsprecher, ist auf eurer Seite. Hat er doch bereits Ende Mai seine Bedenken an dieÖffentlichkeit getragen, weil die Textbeispiele unter den schriftlichen Aufgaben ein „mathematisches Grundverständnis“ voraussetzten.
Wo kämen wir hin, wenn so etwas Schule machte? Wenn zum Beispiel die Führerscheinprüfung darauf ausginge, sicherzustellen, dass der Prüfling ein Grundverständnis dafür entwickelt hat, wie die Vorrangregeln funktionieren und warum man bei Schneefahrbahn nicht mit 90 ins Ortsgebiet tschundern soll?
Mir ist schon klar, dass es mit unserem Schulsystem so eine Sache ist. Aber wenn dem obersten Vertreter der Schülerschaft nicht wohl dabei ist, dass im Rahmen der Feststellung der Studienreife das Vorhandensein des obgedachten Grundverständnisses geprüft wird, dann frage ich mich, wozu wir uns das mit der mittleren Bildung überhaupt antun. Hand hoch, wer sich von einem Anwalt in einer Schadenersatzsache vertreten, von einem Arzt eine Medikamentendosierung vorschreiben, von einem Statiker einen Dachstuhl planen lassen würde, dem jeweils mathematisches Grundverständnis fehlt!
Man mag einwenden, dass euer Zweckdichter, dieser alte Motschkerant, sich mitreißen hat lassen. Vielleicht hat Herr Zierfuß das Wort Grundverständnis gebraucht, um die halbwegs begabten Mathematiker, die die Sache „von Grund auf“ gneißen, von jenen zu unterscheiden, die das Zeug halt pauken müssen.
Ich halte dagegen, dass Herr Zierfuß auch bemängelt hat, die Texte seien komplex gewesen. Ach so! Die Prüflinge haben, nach Erlernen der Grundrechnungsarten, ja auch erst acht weitere Schuljahre Mathematikunterricht genossen, vom Deutschunterricht nicht zu reden. Da darf es ruhig etwas schlichter sein, ohne dass man befürchten muss, die Betreffenden seien den Herausforderungen eines Studiums nicht gewachsen.
Herr Zierfuß ist mit seiner Kritik nicht allein. Gernot Schreyer, Obmann des Bundeselternverbands, hat verkündet (oder gar mitgeteilt?), es sei falsch, Mathematik zu verwenden, um Deutschkompetenzen abzufragen. Ah ja. Ich hoffe, dass hier nicht je nach Fach mit zweierlei Maß gemessen wird und dass also z. B. auch im Fall eines Geschichtematuranten, der Spanien in Asien verortet, der Bundeselternoberpumuckl verlässlich seine Stimme erheben und darauf hinweisen wird, dass im Rahmen der Geschichtematura nicht die Geographiekenntnisse zu überprüfen sind.
So ganz überzeugt ist Herr Schreyer von der strikten Fächertrennung aber eh nicht.  Denn im selben Atemzug fordert der gute Mann, die Aufgaben der Mathematikmatura müssten berücksichtigen, ob der Prüfling an einem neusprachlichen oder humanistischen Gymnasium zu maturieren trachtet. Sonst werde „durch die Zentralmatura die Schulvielfalt torpediert.“ Wünscht er sich Textaufgaben auf Französisch oder Latein? Zu schwierig soll es jedenfalls nicht sein, sondern verständlich, darauf legt Herr Schreyer Wert.
Auch hoffe ich für die frischgebackenen Maturanten, dass der Herr Schreyer im Herbst noch ein offenes Ohr für sie hat. Dann dürfen sie bei ihm anrufen und sich bitter darüber beklagen, dass in der Einführungsvorlesung oder im Proseminar Römisches Recht/Anatomie/Einführung in die Wissenschaftstheorie/Geologie oder was auch immer verwendet wird, „um Deutschkompetenzen abzufragen“. Denn leider ist Deutsch halt immer noch die Default-Sprache für das Meiste, was an der Uni so abgeht. 
Kurz: Als Elternteil einer Gymnasiastin fühle ich so allerlei. Aber von Herrn Schreyer vertreten – das fühle ich mich nicht.

Freitag, 22. Juni 2018

Die Lösung für eh alles

O teure Häschen, jubilate! Das ist lateinisch und heißt: Frohlocket, ihr Flauschigen, denn euer Zweckdichter hat es geschafft. Ich teile mit, dass ich es zum Gottkaiser auf Lebenszeit gebracht habe, mit nachmaliger Darbringung hochwertiger Opfergaben in einer noch festzulegenden Form. Ich teile weiters mit, dass der Weltfrieden heute Nachmittag beginnt, dass Donald Trump mit sofortiger Wirkung zu meinem persönlichen Krawattenbügler und Schleppenträger befördert wird und dass das mit den 72 Jungfrauen für Selbstmordattentäter Blödsinn ist. Abschließend teile ich mit, dass ein Gottkaiser oft seine Ruhe braucht und dass die Klopapierrolle IMMER mit dem losen Ende auf der wandabgewandten, userzugewandten Seite im Halter anzubringen ist.
Ja, das alles teile ich mit, und weder ihr könnt etwas dagegen machen (nicht, dass ich euch unterstellte, ihr wolltet widersprechen) noch Donald, Kim oder sonstwer. Woher ich das weiß? Aus dem Feedback der ... Woche? Nein, des Jahres, was sage ich, des Jahrhunderts! Es lautet schlicht:
Einer Mitteilung kann man nicht widersprechen.
Das wusste ich bisher nicht, aber es scheint mir ungeheuer praktisch. Wenn man das schon unter Grasser gewusst hätte, hätten wir uns viel Geld sparen können!
Der kleine Haken an der Sache ist natürlich, dass es Blödsinn ist. Klar kann man einer Mitteilung widersprechen, genauso wie einer Aussage, einer Behauptung, einer Anschuldigung oder dir selber, wenn du nämlich zu der Sorte Häschen gehörst, die sich gelegentlich Behauptungen, Aussagen oder ähnlich Schlüpfriges auskommen lassen. Aussagen können einander sogar widersprechen, wenn gar niemand dabei ist und die beiden Aussagen miteinander noch ganz andere Sachen machen könnten, wären sie weniger streitsüchtig und deutlich lüsterner.
Richtig ist nur, dass es tatsächlich Dinge gibt, denen man nicht widersprechen kann. Anklagen zum Beispiel, Gesetzen (es sei denn, zwei Gesetze sind zueinander widersprüchlich, dann widersprechen sie einander) oder Preisänderungen. Denn solche Dinge schaffen Fakten: Nach einer Anklage ist jemand angeklagt. Auch wenn er damit nicht einverstanden ist. Ein Gesetz zieht eine Grenze zwischen Erlaubtem und Verbotenem. Ähnlich ist es mit Preisänderungen: Nach einer Preisänderung ist der Preis höher, dem kann man nicht widersprechen.
Man kann eine Preisänderung anfechten, man kann dagegen Einspruch erheben, man kann sie sogar rückgängig machen, wenn man ein ganz, ganz lieber Onkel ist. Aber widersprechen – das geht leider nicht. Wenn der Kaufmann sagt Die Leberkässemmel kostet jetzt vierfünfzig, dann hat es keinen Zweck, dass du darauf Nein erwiderst. Sie kostet trotzdem vierfünfzig. Du kannst natürlich motzen Diesen Preis finde ich nicht gerechtfertigt, oder Dann gehe ich lieber zum Schachtelwirten, aber dann hast du nicht widersprochen, sondern eine anderslautende Meinung geäußert, was etwas Ähnliches ist, aber nicht dasselbe.
Wollt ihr noch raten, was als Korrektur nach der Belehrung Einer Mitteilung kann man nicht widersprechen folgte? Genau: ... können Sie dieser Preisänderung widersprechen. Leider.
Aber trotzdem schönes Wochenende!

Freitag, 15. Juni 2018

Falsche Freunde

Fremdwörter, sagt man, sind Glückssache, es sei denn, man ist ein richtiges Topcheckerbunny unter den Latein- und Griechisch-Häschen. Wenn nicht, scheitert man leicht am Substantiv zu heroisch und das verbale Imprägniergehabe wird zum Rohrkupierer, oder so ähnlich. Ihr steht natürlich über solchen Ausrutschern und nippt verständnisvoll lächelnd an einem Tässchen Darjeeling Super Fine Tippy, wenn jemand versucht, ein Exempel zu stationieren.
Doch gibt es Zartheiten, bei denen, da wette ich, auch ihr ins Grübeln kommt, von meiner Wenigkeit gar nicht zu reden. Wie steht es zum Beispiel mit effektiv und effizient? Keine macht einen Unterschied zwischen den beiden, aber bedeuten sie wirklich dasselbe? Und warum sind aktiv und Akzent dann ganz verschiedene Dinge?
Wenn du mit drei Pokebällen drei Pokemons fängst, war das dann effizient, effektiv oder ein Zeichen, dass du im Jahr 2016 hängen geblieben bist? Wenn du dir eine Watschen fängst, weil du mit deiner Häschennase in fremden Angelenheiten herumgeschnüffelt hast, tut dir dann effektiv oder effizient die Backe weh?
Schauen wir ins Deutsche Wörterbuch! quieksen da alle Häschen, die immer gut aufgepasst haben. Doch leider: Als das DWB entstand, war es noch wichtiger, ein Wörterbuch mit über 320.000 Stichwörtern zu erstellen, als darüber zu schnattern, wie effizient (oder effektiv?) das geschehen sei. (Nur Effect kennt das DWB, rät aber davon ab.)
Also gehen wir einen Schritt zurück, zum immer ein bisschen anrüchigen Duden. Er behauptet, effektiv bedeute soviel wie wirksam, nutzbringend, feststellbar. Man braucht kein Vollzeitkorinthenkacker zu sein, um festzustellen, dass wirksam und feststellbar nah verwandte Bedeutungen tragen, während nutzbringend etwas ganz anderes meint. Die ersten beiden stellen fest, dass etwas vorgefallen ist, letztere bewertet es.
Kein Wunder, dass in Dudens Synonymenliste nachhaltig, vorteilhaft, gut genauso auftauchen wie tatsächlich, unbestreitbar, wahrhaftig. Auch effizient soll ein Synonym von effektiv sein, zumindest in der „Fachsprache“, so Duden. Naja.
Effizient war das nicht, also schlagen wir effizient nach. Sieh da: Effizient hat nur eine Kernbedeutung, nämlich wirksam und wirtschaftlich, geeignet, günstig, zweckmäßig undsoweiter. Deshalb ist (immer laut Duden!) effizient ein Synonym von effektiv, aber nicht umgekehrt.  
Je länger man sich die Sache durch den Kopf gehen lässt, desto klarer wird, dass die beiden trotz oberflächlicher Ähnlichkeit nicht dasselbe meinen. Effektiv ist nichts mehr als ein wichtigtuerisches Füllwort. Ob du einen Kuchen oder effektiv einen Kuchen gebacken hast, macht keinen semantischen Unterschied. Nur muss dein Zuhörer neben dem Kuchen auch noch das nutzlose effektiv verdauen.
Effizient hingegen lobt den sparsamen Umgang mit Ressourcen, die Fähigkeit, ein Ziel mit angemessenem Aufwand zu erreichen, also zum Beispiel einem Gedanken Ausdruck zu verleihen, ohne dabei effektiv zu sagen.
Deshalb sind die beiden nicht nur nicht synonym, sondern stehen einander mitunter sogar polar gegenüber: Wenn dein Kunde eine ganze Stunde damit verbringt, dir am Telefon ein Briefing von drei Seiten vorzulesen, dann ist diese Stunde deines Lebens effektiv perdu. Aber effizient ist anders. In diesem Sinne wünsche ich ein effizientes Wochenende!



Freitag, 8. Juni 2018

Abflug

Häschen, es ist Zeit, dass wir uns wieder einmal besinnen, weshalb wir überhaupt hier sind. Genau, da war was mit Bildung! Heute lernen wir deshalb, warum unsere Gesellschaft den Flugverkehr braucht wie einen Bissen Brot. „Wie bitte?“, „hä?“ und sogar „spinnt er jetzt komplett?“ höre ich es aus euren schütteren Reihen murmeln. Denn gar manches von euch wollte nur mal eben per Düsenmaschine nach Barcelona hüpfen und hat stattdessen ungeplant in Frankfurt übernachtet (Oder, nicht Main).
Doch mit den Flugreisen ist es wie mit der Schulbildung: Nur dass sie manchmal mühsam sind, beweist noch nicht, dass nichts Gutes darin stecken kann. Beziehungsweise ist vielleicht gerade die Mühe das Gute! Es ist nämlich längst kein Geheimnis mehr, dass sich in Führungsebenen mehr Psychopathinnen und Psychopathen finden als darunter. Nicht, dass jeder Chef ein Irrer wäre. Aber die Wahrscheinlichkeit ist doch drei- oder viermal so hoch wie im Bevölkerungsdurchschnitt. Sagt die Wissenschaft.
Schlimm, aber nicht hoffnungslos. Denn wir (oder unsere geheimen Oberen) haben offenbar erkannt, dass es einerseits gefährlich wäre, Verrückten zuviel Freiheit zu lassen, während es andererseits nicht zu verhindern ist, dass sie eher in Machtpositionen aufrücken als andere.
Deshalb haben wir den Flugverkehr erfunden. Denn mit steigender Wichtigkeit eines Funktionsträgers geht verstärkte Reisetätigkeit einher: Je wichtiger einer ist, desto öfter muss er nach Frankfurt, Des Moines oder Guangzhou, um potenziell katastrophale Entscheidungen zu treffen.
Das Gute ist nun, dass Entscheidungsträger gezwungen sind, viel Zeit in Flughäfen zu verbringen. Und was geschieht dort mit ihnen? Sie warten stundenlang auf Dinge, die in fünf Minuten eintreten sollen (aber jetzt wirklich!), sie entledigen sich auf Kommando Teilen ihrer Kleidung und ziehen sie ordentlich wieder an. Sie hetzen, nach stundenlangem Warten, plötzlich und auf Weisung eines Uniformträgers irgendwohin, um dort wieder zu warten. Sie essen hastig irgendwas. Sie kommen doch nicht dorthin, wohin sie ursprünglich kommen sollten, und schlafen an Orten, die sie sich nicht ausgesucht haben. Sie warten erneut lange, bis plötzlich ganz kurz Stress aufkommt.
Damit sind wir bei dem, was Historiker Fundamental- oder auch Sozialdisziplinierung nennen: Die Staaten der frühen Neuzeit trachteten sich ihrer Untertanen in einem Ausmaß zu bemächtigen, das bis dahin nicht vorstellbar war (und heute banal scheint). Zu diesem Zweck mussten die Betroffenen erst gefügig gemacht werden, unter anderem im Rahmen einer militärischen Ausbildung: Adlige Offiziere ordneten ihre Körper den Regeln des Reitens, Fechtens und Tanzens unter. Die Gemeinen mussten exerzieren, und zwar länger, als angenehm ist. Dieses Prinzip gilt auch in heutigen Armeen. Der frisch rekrutierte Soldat wird einer sogenannten Grundausbildung unterwunden, deren Hauptzweck darin besteht, ihn einerseits ständig unter Stress zu setzen und ihm andererseits jede Entscheidung abzunehmen, denn fürs Befehleerteilen sind die andern zuständig. Nach einigen Wochen oder Monaten erhält man brauchbares Material, aus dem sich ein kampffähiges Subjekt formen lässt, das im Gefecht nicht auf eigene Faust irgendetwas anstellt.
Was dem Rekruten das boot camp, ist dem Manager der Flughafen. Hier lernt er, dass er in Wahrheit nichts zu reden hat und dass Warten gescheiter ist. Er trifft deshalb am besten erst einmal gar keine Entscheidung, was immer noch besser ist als eine katastrophale. Gefährlich wird es erst, wenn ein Dummbär Zugang zum Firmenjet bekommt. Er steigt ausgeruht und voller Tatendurst in Astana aus dem Flieger, und dann gnade uns Gott. Schönes Wochenende!