Freitag, 21. Oktober 2022

Kopf ab

 

Kürzlich, o eigenverantwortliche Lesehäschen, geriet euer Ergebener unvermutet in eine Diskussion über die Abtreibung, welches Thema dank Trumps höchstrichterlicher Hinterlassenschaft wieder gar unerquicklich aufgepoppt ist. Hierzulande gilt ja seit bald 50 Jahren die sogenannte Fristenlösung, die einen Schwangerschaftsabbruch in den ersten drei Monaten straffrei stellt.

Das ist natürlich erfreulich im Sinne der Selbstbestimmung der betroffenen Frauen (sofern das überkommene binäre Konstrukt der „Frau“ in einer zeitgemäßen Diskussion überhaupt noch eine Rolle spielen darf, vielleicht sprechen wir besser von „gebärfähigen Menschen“?). Ins Grübeln kommt man aber, wenn man erfährt, dass sich in Österreich pro Jahr zwischen 12 und 20 von 1.000 „Frauen“ zu dem Eingriff entschließen, was 20.000 bis fast 40.000 Abtreibungen jährlich ergibt. Das scheinen mir angesichts der flächendeckenden Verfügbarkeit bewährter Verhütungsmittel nicht wenige zu sein. Ich weiß ja nicht, wie ihr dazu steht, aber der Zweckdichter hofft, dass Föten aus dramatischeren Gründen dran glauben müssen als „wir waren 16 und irgendwie doof“. In Deutschland, das, ohne ins Detail gehen zu wollen, in vieler Hinsicht ähnlich zivilisiert ist, sind es mit 5,6 auf 1.000 Frauen nicht einmal halb so viele, wie es in Österreich (wo keine Statistik geführt wird) mindestens sind, und es wäre vermessen, daraus zu schließen, dass die Deutschen höchstens halb so oft Sex haben. 

Nun ist so eine Abtreibung wahrscheinlich immer eine traurige Angelegenheit und ebenso wahrscheinlich viel zu oft eine, deren Klärung an der Frau hängen bleibt (beziehungsweise, damit sich niemand auf das Phallussymbol getreten fühlt, dem gebärfähigen Teil jener Menschenkombination, die gemeinsam einen Dritten hervorgebracht hat). Wie lässt sich einerseits mehr deutscher Ernst in die Überlegung bringen und andererseits der samenproduzierende Teil der Erzeugerschaft stärker in die Entscheidungsfindung einbinden? Da es, darum brauchen wir nicht herumzureden, um Leben und Tod geht, ist vielleicht dies der Ort für radikale Gedanken, womit folgender Vorschlag zu erörtern wäre:

Erstens bleiben natürlich Abtreibungen bei unmündigen Müttern, nach Vergewaltigungen und bei schwangerschaftsbedingten medizinischen Komplikationen sowieso außer Diskussion.

Zweitens aber muss in allen anderen Fällen, in denen die Schwangere sich (zweifellos schweren Herzens) für einen Abbruch entscheidet, alles Menschenmögliche unternommen werden, des Vaters (bleiben wir bei diesem handlichen, wenn auch unzeitgemäßen Begriff) habhaft zu werden. Wenn man sich seiner Person versichert hat, darf die Mutter (was soll’s) ihre Entscheidung bestätigen oder, gerne in Absprache mit ihm, revidieren. Zieht sie die Abtreibung durch, dann wird er hingerichtet. 

Nur in Ausnahmefällen, wenn es wirklich unmöglich scheint, den Vater aufzutreiben, ist eine Abtreibung ohne Hinrichtung (oder einen der oben erwähnten Ausnahmegründe) statthaft.

Damit stiege die Wahrscheinlichkeit, dass selbst überdurchschnittlich bescheuerte Hodenträger es sich zweimal überlegen, bevor sie „eh aufpassen“; die Geschwängerten müssten nicht alleine klarkommen (und zwar idealerweise schon, bevor es soweit ist); und der Ernst der Lage wäre allen klar.

Ich will nicht ausschließen, dass diese Lösung übers Ziel hinausschießt. Wem fällt was Besseres ein? Schönes Wochenende!

Freitag, 14. Oktober 2022

Preise

 

Wir sind wieder einmal Nobel, o forschungsbegeisterte Lesehäschen! Das sorgt in der Umgebung eures Ergebenen für die eine oder andere Welle („ich hätte doch zusagen sollen, als mir der Zeilinger ein Diplomthema angeboten hat“), aber nicht nur dort. Denn die Nobelpreise sind zuwenig divers, blöd aber auch, weshalb sie in diversen Kommentaren umgehend in den Verdacht geraten, unzeitgemäß, übertreiben weiß und sonst noch was zu sein.

Bei solchen Auslassungen lässt der Zweckdichter gern die FIS-Kristallkugelgewinner der letzten zehn Jahre Revue passieren und muss feststellen, dass aktuell so genannte Persons of Color dort nicht massiv unterrepräsentiert, sondern überhaupt nicht vorhanden sind. Ganz zu schweigen davon, dass die Schiverbände sturheil am binären Geschlechterschema festhalten und den Männern die einen, den Frauen die anderen Kristallkugeln überreichen wollen, während alles dazwischen kugellos ausgeht. Schlimm ist das, und wenn man glaubt, es hätte etwas mit dem Wintersport und vielleicht mit einem bergverseuchten, schröcksnadelig vererbten Menschenbild zu tun, der betrachte im Vergleich dazu etwa den olympischen Marathon (der Männer), wo von den letzten zwölf Stockerplätzen elf an obgedachte Persons of Color gingen. Anders, aber auch nicht besser. Es ist hoch an der Zeit, dass das olympische Komitee in sich geht und vorurteilsfrei hinterfragt, ob Regeln, die eine bestimmte Menschengruppe offensichtlich derart bevorzugen, heute noch zeitgemäß sind.

Nun sollen es also im Vergleich dazu Wissenschaft und Literatur richten. Die Frage ist, ob man mit dieser Forderung eventuell vom Regen in die Traufe kommt. Denn wie man weiß, ist nur etwa jeder 500. Mensch Jude, aber so zirka jeder fünfte Nobelpreisträger. Wer also fordert, dass die Nobelpreise diverser werden müssen, fordert damit auch, dass sie weniger jüdisch werden, was man jetzt so oder so verstehen kann. Nachdem heuer schon die documenta in Sachen Antisemitismus etwas geleistet hat, was mit der amerikanischen Redewendung shat the bed am treffendsten umschrieben ist, würde ich mir als Nobelkomitee eine Weile überlegen, was da am gescheitesten ist. Wenigstens hat man mit der heurigen Preisträgerin für Literatur nicht nur eine Frau gekürt, sondern auch gleich eine Frau, die zum Beispiel im Sinne der Völkerverständigung gegen den israelisch-französischen Kulturaustausch eingetreten ist, weil das „whitewashing“ sei, wobei jetzt bitte jeder selber googlet, ob sie dabei den Gazastreifen oder vielleicht doch das Vichy-Regime im Kopf hatte.

Wo aber Diversität zum Selbstzweck wird, wächst das Achtsame auch, und zwar bisweilen, wo man es am wenigsten vermutet hätte. Früher nämlich konnte man ein Dokument schreibschützen, ehe man es weiterschickte. Der Empfänger konnte es dann öffnen und lesen, aber nicht verändern. Man hatte als Urheber die Wahl, von dieser Möglichkeit Gebrauch zu machen oder nicht. Nun gibt es anscheinend eine dritte Option, denn als euer Ergebener neulich ein Doc öffnen wollte, poppte in einem Dialog der Satz auf: „Dem Autor wäre es lieber, Sie würden dieses Dokument schreibgeschützt öffnen.“

Man hat dann als User die Wahl, ob man auf diese passiv-aggressive Fopperei eingeht oder ob man drauf pfeift und sich ein ganz kleines bisschen schlecht fühlt. Besorgt stimmt unsereinen die Tatsache, dass es offenbar so viele Leute gibt, die sich nicht entscheiden können, ob sie einen Schreibschutz verhängen wollen oder nicht, dass sie für diese Unentschlossenheit eine Softwarelösung nicht nur erwarten, sondern auch bekommen. Was das für Waffenlieferungen an die Ukraine heißt, bleibe dahingestellt. Schönes Wochenende!

Freitag, 7. Oktober 2022

Anschaffen

Wann, o achtsame Lesehäschen, habt ihr eigentlich zuletzt jemandem etwas befohlen? Ein „Komm!“ in Richtung Vierbeiner zählt nicht, und wenn der Zweckdichterhund ein auch nur entfernt aussagekräftiges Beispiel liefert, wäre es auch meist vergebene Liebesmüh, wobei jener zusätzlich zum generellen Beagletum mittlerweile auch noch die Ausrede der partiellen Taubheit geltend machen kann.

Habt ihr aber in letzter Zeit einem anderen Menschen etwas, wie in Ostösterreich üblich, angeschafft (während man früher auch weiter nordwestlich jemandem etwas zu schaffen, allerdings nicht anzuschaffen, pflegte)?

Dachte ich mir. Und ehrlich: Man merkt’s. Der Imperativ ist, knallhart gesagt, der Genitiv der 2020er-Jahre, dem der Dativ bekanntlich längst den Garaus gemacht hat. Liegt es daran, dass sich niemand mehr traut, vom anderen etwas zu fordern, während wir stattdessen nur fragen, ob es vielleicht ginge, dass, oder ob man so nett ist (nicht „sei“, das wäre zu korrekt), oder mal Zeit hätte und so weite?

Dafür spricht, dass die besonders klaren Befehlsformen ohne Schluss-e immer seltener zu werden scheinen. „Nenne mich bei meinem Lieblingspronomen“, nicht aber „nenn“, „ruf-e“ mich an, „geh-e zur Impfung“ – anscheinend brauchen wir das vokale Abschiedsstreicheln des E am Ende, damit wir uns nicht auf den Schlips getreten fühlen. Wirklich erforderlich ist es ja nur bei Verben, deren Stamm auf -eln oder -ern endet: Natürlich kann man nicht „samml“ sagen, sondern „sammle“ („sammel“ ginge freilich). Und Verben auf -d oder -t befehlen sich mit e einfach shmoover: rede mit mir und rate mir. Ansonsten aber käme man auch ohne E aus, und euer Ergebener ist davon überzeugt, dass einem Befehl ohne E mehr Überzeugungskraft innewohnt. Deshalb kommt auch niemand auf die Idee, dem Flocki komme! oder sitze! zuzurufen, weil dann jedem Hundianer sofort klar wäre, dass man es eh nicht so ernst meint.

Noch erstaunlicher ist die Geschwindigkeit, mit der die starken Imperative sich in Luft auflösen, da kann mancher Gletscher nicht mithalten. Ob die Postbusfirma mit der Aufforderung „bewerbe dich“ neue Lenker sucht oder der Fastfoodriese mit der Aufforderung „vergesse nicht“ an uns herantritt – je nun, man muss wohl froh sein, dass man, brächte man es denn übers Herz, immer noch etwas „befohlen“ hätte anstatt „befehlt“. Dass freilich selbst einer studierten AHS-Lehrerin ein „Lese genau!“ in roter Korrekturtinte aus dem Stift rinnt, kann man nur zurückspielen: Tun Sie desgleichen, und zwar im Duden, allwo man die Formen unregelmäßiger Verben jederzeit recherchieren kann.

Beziehungsweise: Sieh im Duden nach, geschätzte Lehrperson, und finde dort heraus, dass der Imperativ von „lesen“ weiterhin „lies“ lautet. Gehabt euch wohl und genießt das Wochenende!