Freitag, 13. Dezember 2013

Groß- und Kleinschreibung


Auf Wunsch einer mir besonders teuren Leserin (also, ihr seid mir ja alle besonders teuer, schon weil ich so wenige von euch habe) widmen wir uns heute dem Thema der Groß- und Kleinschreibung. Eilige lesen nur die Kurzfassung:
"Wer zu faul ist, in E-Mails Wörter groß zu schreiben, die groß geschrieben gehören, der frisst auch kleine Kinder, hat wahrscheinlich einen kleinen Penis (gilt auch für Frauen) und ist überhaupt ein kleinkarierter Kleingeist von der Sorte, die als erste an der Wand stehen, wenn eine Revolution kommt, und sei es nur eine kleine."
So.
Die Langfassung ist, leider und natürlich, komplizierter. Seit ungefähr 350 Jahren gibt es im Deutschen das, was wir als Groß-/Kleinschreibung kennen: Große Eigennamen und Satzanfänge, große Substantive und substantivierte Wörter, und so weiter. Kleinschreibung (bis hin zur völligen Kleinschreibung ganz ohne Großbuchstaben) blieb fortan Künstlern vorbehalten. Christian Ide Hintze schrieb klein, Ernst Jandl kam oft gut ohne Versalien aus, Stefan George desgleichen.
 So weit, so gut, so analog. Dann bekam plötzlich jeder von uns eine Tastatur vor den Latz geknallt, und alsbald erwies sich wieder, was eh schon altbekannt war: Die Menschen sind schon recht, nur die Leut' sind ein G'sindel. Immer seltener fanden Schreibende den Weg zur Shift-Taste, E-Mails versanken in einem brei aus kleinbuchstaben, durch den sich der empfänger mühsam durchessen musste wie der arme kerl im märchen.
Ist es das wirklich wert? Ersparen wir uns mit der Kleinschreiberei so viel Mühe, dass es dafür steht, dem ebenfalls geplagten Nebenmenschen die Lektüre dieses Minuskelmorastes aufzuhalsen? Ich erspare es mir, hier die gut abgehangenen Beispiele anzuführen, von wegen dem „gefangenen floh“ und „die spinnen“ und so weiter. Genügt es doch zu sagen, dass die deutsche Großschreibung das Lesen und damit das Leben leichter macht.
Deshalb ganz klar: Nein, die Kleinschreibung ist es NICHT wert. Gepflegte Groß-/Kleinschreibung ist eine höchst schätzbare Form der Höflichkeit, sie schmeidigt die Kommunikation, ja, ich stehe nicht an zu sagen: Sie zeugt von Herzensbildung. Strecken wir (als zehnfingrige Tippsler) den kleinen Finger im richtigen Moment, bemühen wir (als Adler-Suchsystematiker) den freien Zeigefinger, und nicken wir so unserem Nächsten freundlich zu, im stummen Einverständnis, dass wir einander als Menschen wertschätzen. Hurra!

Und wer jetzt in die andere Richtung kippt und ein ALL-CAPS-SCHREIHALS wird, der kommt gleich ohne Umweg in die Wurst.

Freitag, 6. Dezember 2013

Nutzloses Wissen


Das Jahr neigt sich dem Ende zu, die Präsentationsschlachten sind geschlagen, Völlereien liegen vor uns. In gut drei Wochen werden wir uns wieder fragen: Was haben wir heuer eigentlich getrieben? War da irgendwas Erinnernswertes?
Das soll nicht heißen, dass wir nichts erlebt haben. Mein Leben zum Beispiel ist, wie männiglich bekannt, ein einziger versauter Traum. Wenn ich hier in der Produktion etwa erzähle, was ich neulich erlebt habe, schallt es mir gleich entgegen: "Ha, genau wie Schwarzenegger mit der einen Tante auf dem Mars in Total Recall. Oder so ähnlich, das war jetzt nur beispielhaft gemeint. Worauf ich hinauswill: Irgendwann gerinnt das alles rückblickend zu einer vagen Masse ohne unterscheidbare Konturen. In der Erinnerung ist es, als hätte man nichts Besonderes erlebt. Das ist dann am Jahresende sehr schade, weil man glaubt, man habe das Jahr vertan, während es doch von Tag zu Tag eh super war.
Damit das nicht geschieht, gibt es nutzloses Wissen. Man kann sich dann zufrieden zurücklehnen und sich denken: "Ja, 2013 war wie immer extrem geil und außerdem habe ich was über Altgriechisch gelernt". Nur so als Beispiel.
Ich für mein Teil hatte ja das Vergnügen, Altgriechischunterricht in der Schule genießen zu dürfen, und kann euch versichern: Ihr habt nicht viel versäumt. Das Wichtigste über Altgriechisch erfahrt ihr in den nächsten vier Minuten.
Das Coole an Altgriechisch ist nämlich, dass es von allem ein bisschen mehr hat, genau wie die eine Tante auf dem Mars in Total Recall. Also, eigentlich noch viel ärger, den Altgriechisch hat nicht nur einen dritten – äh – Mops, sondern außerdem noch allerlei andere Zusatzorgane. (Da lasst jetzt einfach mal eurer Fantasie freien Lauf.)
Es hat nicht nur Präsens, Imperfekt, Futur usw., es hat außerdem noch den Aorist: eine Zeitform, die punktuell darauf fokussiert, dass etwas getan wurde.
Es hat nicht nur Singular und Plural, sondern auch den Dual: die Zweizahl (genau das, was die Tante auf dem Mars nicht braucht).
Es hat nicht nur Indikativ, Konjunktiv und Imperativ, sondern auch den Optativ, der einen Wunsch oder eine Möglichkeit ausdrückt.
Und schließlich hat es nicht nur Aktiv und Passiv, sondern das Medium. Wofür zum Geier das gut war, habe ich leider, wie das meiste mir mühsam beigebrachte Altgriechisch, vergessen.


Ihr aber könnt nun dem Jahreswechsel beruhigt entgegensehen und euch überlegen, ob ihr zum Karpfen lieber Weißen oder Roten trinkt. Oder gleich ein Stefanibock. Prost!

Freitag, 29. November 2013

Schön wär’s



Texter, bleib bei deinen Sätzen, rufe ich mir heute selber zu. Beziehungsweise: Riefe ich mir zu, wenn ich dazu imstande wäre. Damit sind wir beim Thema. Es geht um den Konjunktiv, genauer gesagt, die Konjunktive. Denn gäbe es nur einen, wäre die Sache einfach. Es gibt aber bekanntlich mehrere, und da fangen die Schwierigkeiten an. Man schlage eine beliebige Zeitung auf, und trinke bei jedem nicht regelkonformen Konjunktiv einen Schnaps. Bis du die Möpse auf Seite 7 zu Gesicht kriegst, bist du schon fett wie die russische Erde. Ein Beispiel aus dem gestrigen Standard: "Das Unternehmen würde es bedauern, 'dass es durch Mitarbeiter zu Falschmeldungen gekommen ist.'"
Wie jetzt? Entweder gab es Falschmeldungen, und das Unternehmen bedauert dies, dann muss es heißen: "Das Unternehmen bedauere, dass es ...". Der Konjunktiv "bedauere" drückt aus, dass das Bedauern nicht vom Redakteur stammt, sondern ein Zitat ist.
Oder es gab keine Falschmeldungen: "Das Unternehmen würde es bedauern, wenn es durch Mitarbeiter zu Falschmeldungen gekommen wäre." Hier drückt "würde bedauern" den irrealen Charakter aus, die Hypothese. Der Journalist wollte sich wohl auf die sichere Seite schlagen, hat aber die Sache nur furchtbar kompliziert gemacht: Er hat sich über den Konjunktiv I (bedauere) nicht drübergetraut und sich deshalb in den Konjunktiv II geflüchtet. Dieser, also "bedauerte", sieht aber aus wie der Indikativ, weshalb er noch ein "würde" anflicken musste, um ihn kenntlich zu machen. W
Warum sind Zeitungen dafür so anfällig? Weil das Problem eben besonders gern im Zusammenhang mit indirekten Zitaten auftaucht. Neu ist es nicht – ich hatte kürzlich Gelegenheit, die Kinder von Bullerbü wieder einmal zu lesen (also: vorzulesen). Zumindest der deutsche Übersetzer hat bei fast jedem Konjunktiv den Absprung knapp verpasst, indem er meist den Konjunktiv II setzt, wo der Konjunktiv I die normgerechte Wahl gewesen wäre.  (Für interessierte Einsteiger: Den Konjunktiv I bilden wir von der Gegenwartsform, z.B. "stehen – stehe", "sagen – sage"; den Konjunktiv II von der Mitvergangenheit: "ging – ginge", "sagen – sagte".)
Doch wie ist das nun wirklich mit dem Konjunktiv? Wer zum Schmied geht anstatt zum Schmiedl, findet bei Karl Kraus ein Beispiel aus Schillers Wallenstein:

"Mir meldet er aus Linz, er läge krank,
doch hab' ich sichre Nachricht, daß er sich
zu Frauenberg versteckt beim Grafen Gallas."

Im "läge" ist erstens ein Zitat ausgedrückt (als Paraphrase von "er hat mir gesagt, dass er liegt"), zweitens der Zweifel daran. Würde ich ihm glauben, dann schriebe ich: "er liege krank". Dieser Konjunktiv I ersetzt einfach den dass-Satz im Indikativ. Der Konjunktiv II "läge" teilt den Zweifel mit. Dieser ist berechtigt, denn ich habe gehört, dass er sich "versteckt". Stünde hier "dass er sich verstecke" (also: ein dass-Satz, in dem auch noch ein Konjunktiv steckt), dann wäre auch dieses angezweifelt, und ich müsste ihn anderswo suchen.
Kurz: Im indirekten Zitat ohne dass-Satz drückt der Konjunktiv I Glauben ans Gesagte aus, der Konjunktiv II Misstrauen am Gesagten. Im dass-Satz kommt das Misstrauen schon mit dem Konjunktiv I, weil zur reinen Wiedergabe der Indikativ genügte.
Ausgenommen sind natürlich Fälle, in denen der Konjunktiv I genauso aussieht wie der Indikativ – "er sagte, dass sie gehen müssen". Hier wäre "müssten" angebracht.
Beim nächsten Mal bohren wir die Bedingungssätze (unter Freunden: Konditionalsätze) an und schauen, was da unter der Kruste wurlt. Oder auch nicht. Ganz wie ihr wollt. Schaut euch den Carponizer an. Schönes Wochenende!

Freitag, 22. November 2013

Weihnachten oder was?


Heute wird eine Schützengrabenkolumne, so ein richtig unausstehliches Gesuder vom Schlage "ihr Jungen wisst ja gar nicht, wie gut es euch geht". Aber da muss man durch. Beziehungsweise: ihr müsst da durch. Ich habe es schon hinter mir.
Früher nämlich, ihr lieben kleinen Seidenäffchen, haben wir meistens so im August, September mit Weihnachten angefangen. Da gab es Sujets zu entwickeln, Mailings zu konzipieren, Gansrezepte wurden gewälzt und Punschzutaten diskutiert. Musikalisch gab es ein buntes Potpourri von "Jingle Bells" bis "Still, still" in der YouTube-Grölversion  Alle Kunden hatten dieselben CI-Farben, nämlich Rot und Grün. In irgendeinem Team wagte es vielleicht ein vorlauter Juniortexter, ein Wortspiel mit "Weihnachtsgrippe" vorzuschlagen, der kam dann in die Wurst. In der Produktion erhob sich bei der geringsten Bewegung eine Wolke von Glitzerstaub vor lauter Druckveredelungsmustern, wie wenn eine Fee schon lang nicht mehr unter dem Sofa zusammengekehrt hat.  In der ganzen Agenturen war ein vorfreudiges Summen und Werken, eine wahrhaftige Weihnachtswerkstatt, und wir waren die fleißigen kleinen Elfen.
Aber heute? Ich weiß gerade mal einen Kunden, der mehr verschickt als ein Billett. Nämlich einen Adventskalender. Wie soll einem da rechtzeitig weihnachtlich ums Herz werden, wenn man warten muss, bis im Oktober die Billa-Regalbetreuer endlich die Lebkuchen einschlichten? Wenn es Ende November werden kann, ohne dass Luke "Last Christmas" bis 11 aufdreht?
Ich fürchte, da hilft nur Punsch.

Freitag, 15. November 2013

Mund nach Art


Dialekt in der Werbung ist wie Whisky statt Frühstück: Entweder es ist super, oder du speibst ohne Ansage. Woran liegt das bloß?
Als Werber nehmen wir Werbung intensiver wahr als die Zielgruppe. Das ist einfach so, da können wir nicht aus, das kommt mit dem Beruf: Mikrobiologen haben die saubersten Klos, der Friseur macht sich zuerst selber die Haare schön, und Werber schauen Werbung. Texter lesen sogar die Copy, wodurch wir angeblich einer höchst exklusiven Runde angehören. Manchmal reicht es aber schon, die Headline zu lesen, und oft gibt es auch nichts anderes, z.B. am Plakat. Plakate haben ja nur in Fällen extremer Ahnungslosigkeit oder Verzweiflung eine Copy. Eine Copy zu haben ist der größte Fehler, den eine seit längerem affichierte Charity-Kampagne NICHT macht. Äußerst fragwürdig, also auf gut Deutsch: vollkommen daneben, finde ich die Art, wie Dialekt und Standardsprache hier im Headline-Dialog eingesetzt werden, nach dem Muster:
"I sog afoch, wos i ma deng." - "Der Gebildete erkennt hier einen Deutungskomplex aus autochthoner Sprechweise und Wahrheitsanspruch." 
(Hier geht es zu den Originalbeispielen)
Nämlich:
Liegt es an mir, oder ist es tatsächlich so, dass wir dazu neigen, Dialektsprechern einen niedrigeren Status, eine geringe Bildung zuzuschreiben?
Liegt es an mir, oder ist es tatsächlich so, dass der Dialektsatz dem Klienten in den Mund gelegt ist, die standardsprachliche Erläuterung dagegen von der werbenden Organisation kommt?
Wenn es nicht an mir liegt, kann ich nur sagen: Konzept, Text und Beratung haben dem Kunden hier je 1 Bärendienst erwiesen. Weil für Bosnigl wie mich sofort klar ist, wie die Ressourcen an Macht und Bildung im Verhältnis von Organisation und Klienten verteilt sind. Nicht umsonst rät Nestroy: "Sprich, wie dir der Schnabel wuchs!"
Recht ordentlich finde ich übrigens die Fotos, aber davon verstehe ich ja nichts.

Das soll natürlich nicht heißen, dass Dialekt in der Werbung immer schlecht ist. Freudig erinnern wir uns an das Ottakringer 16er Blech. Schön sprechen!