Freitag, 22. Oktober 2021

Tierjahre

 

Heute, o vielgeliebte Lesehäschen, hat euer Zweckdichterhund Geburtstag. Daran, dass so etwas eine Rolle spielt, erkennt man, dass wir immer noch in ziemlich luxuriösen Zeiten leben.

Der gute Kerl wird nach dem üblichen Umrechnungsschema 91, was man ihm nicht ansehen würde. Freilich wissen wir auch, dass an dem üblichen Umrechnungsschema deutlich weniger dran ist als an der Umrechnung von Inseratenschaltungen in Berichterstattung, weil ja Hund nicht gleich Hund ist. Je größer, desto kürzer, so lautet die Faustregel, weil nämlich gerade die kleinsten Hunde besonders große Chancen haben, lange in diesem Jammertal zu verweilen, während sich zum Beispiel eine Dogge mit acht Jahren eher keine Langspielplatte mehr kaufen sollte. Es kommt also auf die Rasse an, sodass das Geburtstagskind eher so beim Äquvalent von 75 bis 80 Jahren halten dürfte.

Rätselhaft ist, warum man ständig von Hundejahren, aber viel seltener von Kaninchen- oder Papageienjahren hört. Selbst Katzenjahre sind deutlich weniger verbreitet als Hundejahre. Das Internet behauptet diesbezüglich, dass die ersten beiden Katzenjahre je zwölf Menschenjahren entsprechen, die weiteren je vier. Daraus folgt, dass eine mir bekannte Nachbarskatze 108 Jahre alt wurde. Bei Hamstern oder Kampffischen wäre eher in Monaten zu rechnen, aber das weiß man ja, wenn man sich darauf einlässt.

Anders liegt der Fall bei Riesenschildkröten oder Tiefseefischen, bei denen vom Ei bis zur Geschlechtsreife schon einmal ein halbes Jahrhundert vorüberziehen kann. Diese rechnen ihrerseits ein Menschenjahr für mindestens zwei Schildkrötenjahre.

Neben den Hundejahren erfreuen sich auch die Maikäfer- und Mäusejahre einer gewissen Bekanntheit. Heuer war zum Beispiel ein ganz ausgezeichnetes Mäusejahr, nämlich für die Füchse. Nächstes Jahr wird dann, so haben wir es in Bio gelernt, ein umso schlechteres Mäusejahr, weil gegen Ende der Saison die Mäusenahrung schon recht knapp wurde, wie an den hier und da herumliegenden Kadavern erkenntlich. Die Maikäfer sollen, so das Internet, alle vier Jahre besondes zahlreich herumschwirren, weil sie vier Jahre für die Entwicklung brauchen. So ganz leuchtet das aber nicht ein. Es gibt ja jedes Jahr Maikäfer, die sich dann fröhlich bekäfern, sodass vier Jahre später ihr Nachwuchs den Onkel Fritz erschrecken kann. Warum eine dieser vier Maikäferkohorten größer sein soll als die anderen, beantworten die Interwebsen nicht. Noch anders liegt der Fall bei den Primzahlzikaden, die alle dreizehn oder siebzehn Jahre in tatsächlich beeindruckenden Massen auftreten, dazwischen aber überhaupt nicht. Zikadenauskenner vermuten, dass die lange Entwicklungsdauer über eine Primzahl von Jahren dazu diene, Parasiten auszuweichen. Diese müssten sich entweder ebenso lange Zeit lassen, um der Zikaden habhaft zu werden, oder jedes Jahr eine Generation einschieben, die dann eine andere Beute brauchte. Sowohl 13 als auch 17 sind übrigens Mirpzahlen, weil wieder eine Primzahl herauskommt, wenn man sie rückwärts schreibt.

Damit hätten wir den heutigen Bildungsauftrag aber wirklich übererfüllt und können in ein hoffentlich schönes Wochenende rauschen.

 

Freitag, 15. Oktober 2021

Das Lesen ist ein langer, ruhiger Fluss

 

Es ist so weit, o teure Lesehäschen: Die Genderisation frisst ihre Kinder. Einerseits werden immer noch gerne die Mitglieder zu Mitglieder*innen korrigiert, woraus man vielleicht schließen sollte, dass die Genderisation ihre Kinder*innen frisst, weil einfach jedes -er sein Sternchen braucht. Andererseits kommen die ersten Klagen. Es ist ja hieramts seit Jahren bekannt, dass es mit Satzzeichen so eine Sache ist. Besonders der Gedankenstrich und der Doppelpunkt brennen vielen in den Augen, denn was ein ordentlicher Text ist, bei dem soll man nimmer innehalten und etwa gar einen Gedanken fassen wollen, man soll nur immer weitersausen. Der Doppelpunkt ist solchen Geistern, was die Verbotspyramide auf den Rolltreppen der Wiener Linien: Zwischen den Rolltreppen befindet sich eine nur allzu verlockende Rutsche. Damit die Kinder*innen nicht auf blöde Ideen kommen und dann einen haftungsverdächtigen Sprungrekord aufstellen, sind diese Eben-doch-nicht-Rutschen mit faustgroßen Pyramiden bewehrt. Deshalb ist es in den U-Bahn-Stationen Essig mit der großen Rutschsause. Das wirkt zwar spaßhemmend, hat aber den Vorteil, dass man dort kaum je Menschen mit eingeschränktem Urteilsvermögen und gebrochenen Knochen herumliegen sieht.

So ähnlich ist es auch mit den Doppelpunkten und Gedankenstrichen. Manchmal hat es durchaus etwas für sich, wenn der vielzitierte Lesefluss nicht in einem überregulierten Betonbett dahinschießt, sondern auch einmal einen Mäanderhaken schlagen darf. Leider regiert in so manchem Marketingstübchen aber noch der Geist der Wildbachverbauung in den 70er-Jahren (damals bekannt als „die Wildbach“), als jedes noch so kleine Rinnsal mit reichlich glatten Steinen eingehegt wurde, auf dass es rascher zu Tale schieße.

Nun stellt sich in besagten Stübchen die Schwierigkeit, dass man zwar Satzzeichen blöd finden darf, aber Gendersternchen nun einmal sein müssen, umsomehr, wenn man als Unternehmen die Installation von Sternchentoiletten hartnäckig verweigert. Irgendwo muss man schließlich zeigen, dass man weiß, was die Stunde geschlagen hat, und wie schon einmal angemerkt: Ein Sternchen ist deutlich preisgünstiger als eine Installateurspartiestunde. Wenn dann in drei Zeilen ein Sternchen, ein Strichelchen und ein Doppelpünktchen zusammenfinden, ist es laut Feedback Zeit wofür?

Genau: fürs Optimieren.

Aus dem Marketingstübchen nebenan wurden zeitgleich Zweifel angemeldet angesichts der Behauptung, dass „ein Unternehmen seine Stärken“ inszeniere. Natürlich nicht hinsichtlich der Stärken. Vielmehr stellte sich die Frage, ob es sich um seine oder ihre Stärken handle. Letzteres erforderte freilich die Erfindung der Unternehmenin oder vielmehr des*der Unternehmen*in, der*die seine*ihre Stärken nach Gusto ins Rampenlicht stellt.

Oder lieber doch nicht, weil das grammatische Genus halt ist, wie es ist und man einem Neutrum keine Keimdrüsen andichten muss.

An die Kund*innenkarteninhaber*innen hingegen, einen selten graziösen Tausendfüßler von einem Wort, sollten wir uns hingegen vorerst gewöhnen. Schönes Wochenende!

Freitag, 8. Oktober 2021

Im Vorfeld

 

Aus gegebenem Anlass, darf ich euch, o vielgeliebte Lesehäschen, daran erinnern, dass der erste Beistrich in diesem Satz, den ihr natürlich nicht gesetzt hättet, dort auch tatsächlich nichts verloren hat. Nämlich jener nach „Anlass“. Trotzdem unterläuft er vielen so oft, dass er sogar einen eigenen Namen bekommen hat: Er ist als Vorfeldkomma bekannt, und obwohl es so früh auftaucht, besteht dessen hervorstechendstes Merkmal in seiner Gemeinsamkeit mit dem letzten Getränk: Das Leben wäre besser, wenn man es bleiben lassen hätte.

Das Vorfeldkomma heißt so, weil es gern gesetzt wird, um das Vorfeld des Satzes vom Rest abzugrenzen. Im standarmäßigen deutschen Hauptsatz ist das Vorfeld das, was vor dem Verb kommt.

Im Beispiel ist das Verb darf. Davor steht eine sogenannte adverbiale Bestimmung. Das ist eine Zusatzinfo darüber, wie, wann, wo oder unter welchen sonstigen interessanten Umständen das geschehen ist, was im Satz geschieht. Adverbiale Bestimmungen erkennt man außerdem an dem, was sie nicht haben: nämlich ein finites Verb. Jaja, kommt sofort: Ein finites Verb ist so ungefähr ein Verb, das nicht im Infinitiv steht, und der Infinitiv heißt so, weil er eben in-finit ist. Freilich gibt es nicht nur adverbiale Bestimmungen, sondern auch Adverbialsätze. Die einen kriegen keinen Beistrich, die anderen sehr wohl. So nötig wie ein Maurer ein Bierglas braucht dieser Satz einen Beistrich.

So nötig, wie gar mancher abends ein Bier braucht, braucht dieser Satz hingegen gleich zwei Beistriche. Denn „wie gar mancher abends ein Bier braucht“ ist ein Nebensatz, der sich mit dem finiten Verb braucht herausgeputzt hat.

Das Vorfeldkomma ist also gern genommen, aber völlig überflüssig. Damit bildet es das grammatische Gegenteil zum sogenannten Day-2-Test. Wer nämlich aus einem ansonsten halbwegs okayen Coronaland nach England einreist, muss innerhalb von zwei Tagen einen PCR-Test absolvieren. Das läuft aber nicht so wie in Wien, wo man gurgelt, in ein Röhrchen spuckt und die Geschichte beim BILLA einwirft. Denn in England gibt es keinen BILLA. Vielmehr muss man im Vorfeld der Einreise den Test buchen und bezahlen und erhält dann eine Buchungsnummer, die man auf dem Formular einträgt, ohne welches man sowieso nicht einreisen darf. Das magische Wort ist hier „buchen“. Denn es gibt zahlreiche Testing Facilities mit zahlreichen Websites. Ihnen allen ist gemein, dass sie Tests in einem Preisfenster von ungefähr zwei bis ungefähr zweihundert Pfund anbieten (ja, pro Nase). Ihnen allen ist weiters gemein, dass die Online-Buchungssysteme sich auf dem Stand von 1995 befanden, als es strenggenommen noch keine gab. Man klickt, man trägt ein, man bucht. Und dann erhält man die Rückmeldung, dass sich ein Mitarbeiter rühren und einem mitteilen werde, ob der gewünschte Termin tatsächlich verfügbar sei. Offensichtliche hat die britische Politik hier zur Freude aller Laborbetreiber einen sogenannten seller’s market geschaffen, indem jeder Einreisende eine Testbuchung braucht, und wenn man ihn lange genug hinhält, muss er halt den für 200 buchen oder daheimbleiben.

Der Unterschied zwischen einer Reise ins heutige England und einer in die Sowjetunion scheint mir vorrangig darin zu bestehen, dass man sich in der Sowjetunion durch die Verteilung von Dollars oder Camelzigaretten behelfen konnte. Die englischen Behörden schützen ihre Mitarbeiter hingegen vor solchen Versuchungen, indem sie Telefonsysteme errichten, in denen Auskunftsuchende stundenlang 2 drücken können, ohne jemals etwas Hilfreicheres zu erfahren als die Tatsache, dass es im Telefonsystem des National Health Service einen eigenen Menüpunkt für „Beschwerden über das National Health Service“ gibt.

Wie und wann kontrolliert wird, ob man den Test auch tatsächlich gemacht hat, konnte euer Ergebener übrigens bisher nicht eruieren. Schönes Wochenende!

Freitag, 1. Oktober 2021

Vorvergangen

 

Schulen, o geliebte Lesehäschen, tun manchmal seltsame Dinge. Allerdings nicht so seltsame Dinge wie Schulen in den USA. Wie die meisten hier herum hatte auch der Zweckdichter einst eine kleine Liebesaffäre mit jenem Land, das so viel früher so viel zivilisierter und cooler war als der hiesige Waldrand. Mittlerweile muss man sich aber schon fragen. Zum Beispiel fuhr letztes Jahr im März, als die Pandemie noch jung und verwegen war, eine 16-Jährige aus Wisconsin auf Schulausflug nach Disneyworld. Dort holte sie sich Covid und postete darüber auf Facebook. Worauf die Schule ihr den Sheriff schickte, der sie aufforderte, die Postings zu löschen, weil ja nicht erwiesen war, dass sie tatsächlich Covid hatte. (Damals war das mit dem Testen noch nicht so einfach.). Zur Ehre des Landes sei gesagt, dass der Bundesrichter dem Teenager recht gegeben hat, mit der schönen Begründung, das Recht auf freie Meinungsäußerung sei keine Einstellung in einem Computerspiel, die man nach Belieben ein- und ausschalten könne.

Weiters ist die Frage, ob sich Amyiah (so heißt die junge Frau) angesteckt hatte und dann in Quarantäne geschickt wurde, oder ob sie sich ansteckte und dann in Quarantäne geschickt wurde.

Wer Latein gelernt hat, kennt das als consecutio temporum, auch bekannt als Zeitenfolge. Jetzt und hier geht es um die sinnvolle Abfolge von Präteritum (auch Imperfekt oder Mitvergangenheit) und Plusquamperfekt. Ist ja auch logisch: Wenn etwas einst zuerst geschehen ist, sodass danach etwas anderes geschehen musste oder konnte, soll das seinen sprachlichen Niederschlag finden. Um diese Vorzeitigkeit (für Klugscheißer: Anteriorität) auszudrücken, gibt es das Plusquamperfekt, das nicht umsonst auch „Vorvergangenheit“ heißt.

Die Frage ist aber, ob die Welt ordentlich ist oder nicht. Vielleicht geschehen die Dinge ja einfach so, das nennt man dann Kontingenz: Ich stand auf, kochte Kaffee, trank ihn und hustete ins Telefon. Das Aufstehen passiert einem halt irgendwann, weil man keine Lust mehr hat, im Bett herumzuflacken.

Oder alles steuert auf ein Ziel zu:

Er war aufgestanden, nun kochte er Kaffee. Er trank ihn und hustete dann ins Telefon.

Hier ist das Aufstehen die Voraussetzung dafür, dass der Rest vonstatten gehen kann. Aus einer Abfolge von Ereignissen wird eine Geschichte. Kann man machen, muss aber nicht.

Manchmal ist es auch wurscht:

James Bond hatte abgedankt, die 007-Nummer ging auf eine Frau über.

James Bond dankte ab, 007 war nun eine Frau.

Man muss kein alter weißer Mann sein, um zu erkennen, dass das höchstens ein netter Gag ist, weil das weiße Altmännertum der Bondfigur von vornherein eingeschrieben ist. Nicht einmal das überaus woke Zweckdichterbalg hält das Geringste davon, aus Bond eventuell eine Frau zu machen, weil das dann sicher eine nette Geschichte werden kann, aber halt keine Bondgeschichte. 007 ist ein arroganter Sack mit Hoden. Schönes Wochenende!