Freitag, 23. Februar 2024

Feindliche Tierwelt

 

Im Standard, o rechenstarke Lesehäschen, war heute zu lesen, britische Behörden hätten die „größte Kokainlieferung aller Zeiten“ beschlagnahmt. Der Text brachte dann die fällige Korrektur: Es war die größte Lieferung, „die je in Großbritannien beschlagnahmt wurde“. Wie groß die nicht beschlagnahmten sind, weiß man natürlich nicht. Mit dem Kokain ist es halt so wie mit den Wölfen: Dass von 1950 bis 2020 in Europa nur 20 Angriffe von Wölfen auf Menschen nachgewiesen sind (die Tollwutfälle nicht mitgerechnet), könnte auch daran liegen, dass Wölfe im Zweifelsfall keine Spuren hinterlassen, sondern eventuell (Filmtipp) nach dem Prinzip Bones and All operieren.

Fraglich ist auch, warum so viele Filme sich an Haiangriffen auf Menschen abarbeiten, dass man ohne weiteres ein ganzes Wochenende Schwanzflossenaction bingen könnte, ohne an ein Ende zu kommen, während Wölfe mit sehr seltenen Ausnahmen höchstens eine Nebenrolle spielen. The Grey hatte zwar Liam Neeson, war aber jetzt trotzdem nicht der Burner im Vergleich zu Deep Blue Sea, dem Lieblingshaifilm eures Ergebenen. Es kann wohl kaum daran liegen, dass Haiangriffe gut zehnmal so häufig sind wie Wolfsangriffe (und immer noch dreimal so häufig, wenn man die tollwütigen Wölfe mitzählt, was aber gegenüber den Haien unfair wäre, die ja keine Tollwut bekommen können). Schließlich gibt es einerseits eine ganze Menge Filme, in denen Aliens uns Böses wollen, die noch seltener in offiziellen Statistiken auftauchen als Wölfe, andererseits aber keinen einzigen, in dessen Mittelpunkt eine Killerkuh steht (euer Ergebener freut sich natürlich über sachdienliche Häschentipps, denn seit Ticks, einem Meilenstein des Billighorrors, der sich um melonengroße Zecken drehte, scheint alles möglich). Und das, obwohl Kühe allein in den USA jährlich über 20 Menschenleben auf dem Gewissen haben, wobei sie nicht einmal bewaffnet sind, wozu in den USA schon ein bewusster Entschluss gehört. In Österreich schaffen Kühe im Schnitt nur alle fünf Jahre einen Menschen, woraus erhellt, dass unsere Kühe deutlich friedfertiger sind als die amerikanischen.

Bevor jetzt jemand mit roten Tüchern daherkommt: Mehr als die Hälfte der Problemrinder sind Kühe, nicht Stiere, was freilich auch damit zu tun haben könnte, dass Stiere oft jünger sind, wenn sie auf dem Teller landen, und daher weniger Gelegenheit haben, jemanden auf die Hörner zu nehmen. Dass Rinder mit Y-Chromosom nicht „männliche Kühe“ heißen und „weibliche Kühe“ doppelt moppelt, haben wir ja schon vor Corona geklärt, also praktisch gestern, weil die Pandemie uns ja einen gesamtgesellschaftlichen Filmriss verpasst hat, leider mit dem entsprechenden Kater seither, aber ohne lustigen Rausch davor. Vielleicht bescheren uns ja die ganz banalen Masern das nächste ungute Erwachen, wenn wir uns blöd genug anstellen. Zumindest, wenn es nach der FPÖ-„Gesundheitssprecherin“ geht. Schönes Wochenende!  

Freitag, 16. Februar 2024

Hobbys

 

Der Winter ist heuer bekanntlich auf einen Mittwoch gefallen, o resignierte Lesehäschen. Deshalb hat euer Ergebener zum ersten Mal seit ungefähr dem Winter 1974/75 keinen Wintersport erlebt (ausgenommen 2006/07, aber frischgebackene Väter haben anderes zu tun).

Bleibt das jetzt so? Vermutlich ja. Es ist also Zeit, sich andere Beschäftigungen zu suchen. Denn „hobbylos“ war in Teeniekreisen schon vor Corona ein Schimpfwort, da will man also nicht anstreifen. Die sogenannte Plagiatsjagd boomt ja dieser Tage. Sie bietet den Vorteil, dass man – ebenso wie für die Kanzlerschaft, aber anders als zum Beispiel für eine Karriere im Nageldesign – keine formale Qualifikation benötigt. Es genügt die Bereitschaft, den Ruf von Leuten zu schädigen, die sich dagegen oft schwer wehren können, weil ein typischer Statistikprofessor sich in Sachen Öffentlichkeitsarbeit wahrscheinlich schwerer tut als ein typischer Anbieter von Öffentlichkeitsarbeit. Ihr merkt schon, der sogenannte Stefan Weber war wieder aktiv, und es wäre ihm beinahe gelungen, die stellvertretende Chefredakteurin der Süddeutschen in den Selbstmord zu treiben. Ein Sieg der wissenschaftlichen Redlichkeit! So lange die Maturanten lernen, dass Objektivität durch die Verwendung des Passivs herstellbar sei, wie wir vor zwei Wochen erfahren haben, wird der Plagiatsjagdbranche das Material nicht ausgehen, denke ich.

Ein netter Zeitvertreib für Stadtbewohner ist auch das Anbandeln mit dem Vis-a-vis. Das Zweckdichterbalg schaut täglich, wie es der Belegschaft im Büro gegenüber geht. Kollektiv heißen sie „die Fischchen“, weil sie als Aquarienersatz dienen, sich jedoch durch eine Reihe von Vorteilen gegenüber einem solchen auszeichnen: Sie dosieren ihr Futter selbst, brauchen keine Wasserpumpe, schwimmen niemals in Sichtweite mit dem Bauch nach oben, und Veralgung ist garantiert kein Thema. Aufwendige Haustierhaltung durch die Beobachtung von Wildfremden zu ersetzen ist jedenfalls ein zukunftsträchtiges Konzept. Man schont dabei wertvolle Ressourcen, verhindert Qualzuchten und hält sich dabei die Möglichkeit offen, den Kontakt zu vertiefen. Die Fischchen zum Beispiel haben noch keine einzelnen Namen. Es ist nun ganz dem Halter überlassen, ob er sie auf gut Glück tauft oder sich bei Gelegenheit einfach ans Fenster stellt und eine Bierflasche schwenkt. Schon kommen sie dann durstig angelaufen und man kann sie ausfratscheln, wie sie denn nun wirklich heißen.

Wem die Sache nicht ganz geheuer ist, der hat die Wahl zwischen Reality TV und Käferzucht. Beides hat seinen Reiz. An der Unterhaltungsfront ist übrigens eingetreten, was euer Ergebener schon vor Jahren prophezeit hat: GNTM ist nunmehr so divers, dass auch Männer mitmachen dürfen. Der Bewerbung eines Vater-Tochter-Paares dürfte man bei ProSieben kaum widerstehen können. Ihr dürft euch also auf noch nie gesehene Bilder aus der Modelvilla freuen. Schönes Wochenende!

Freitag, 9. Februar 2024

Na klasse

 

Wie war das noch, o lennonfeste Lesehäschen? Bagism, shagism, dragism, madism, ragism, tagism, this-ism, that-ism, ism-ism, ism-ism. Hauptsache, dem Frieden eine Chance. Leider sind die -ismen nicht weniger geworden. Wir kennen Sexismus, Ageismus, Speziesismus und so weiter. Gestern ist eurem Ergebenen gleich zweimal der Klassismus untergekommen. Da kam er ins Stutzen, der Ergebene. Denn bei Sexismus wird man diskriminiert, weil man das falsche Geschlecht hat, bei Rassismus wegen der falschen Rasse und so weiter.

Bei Klassismus kriegt man also wegen der falschen Klasse sein Fett ab.

Die Frage dazu ist natürlich: Na und?

Schließlich sind gesellschaftliche Klassen ja nur die Kurzformel dafür, dass die einen sich besser fühlen dürfen, weil sie wenigstens nicht die anderen sind. Dafür sind Klassen sozusagen da. Gäbe es keinen Distinktionsgewinn auf Kosten einer anderen Gruppe, könnte man sich das mit den Gruppen ja gleich schenken. Während man mit Geschlechtern sehr wohl anders als sexistisch umgehen kann, sind Klassen daher leider immer schon klassistisch. Das Wort „Klassismus“ ist ein bisschen so, als würde man dem Bundesheer Rangismus vorwerfen, weil der Korporal nicht zurückmotzen darf, wenn ihm der Oberst was anschafft.

Was es auch gibt, ist der sogenannte beauty bias, also, dass schöne Menschen es leichter haben. Warum es nicht stattdessen Schiachismus heißt, weiß man nicht so recht, wäre irgendwie einleuchtender.

Den beauty bias haben wir so weit verinnerlicht, dass wir eher geneigt sind, schönen Menschen einen Beruf mit hohem Sozialprestige (oder aber trophy wife) zuzuschreiben. Das führt bisweilen zum, wie es im Englischen heißt, double take. Man schaut zweimal hin, wenn man auf einen Anblick nicht gefasst war. So ein double take mit beauty bias ist bisweilen melancholisch (also, wie Walter Moers einmal geschrieben hat, „scheen traurig“). Man merkt dann, dass es im wirklichen Leben weniger erfreulich zugeht, als es sein könnte. Nämlich hatte der Zweckdichter etwas auf der Post zu tun und war damit nicht der Einzige. Zur selben Zeit war eine Monteurin damit beschäftigt, die automatische Schiebetür besagter Postfiliale zu reparieren. Sie gab Anlass zum double take, denn sie war auffallend schön, ungefähr auf die Art, wie einst Lauren Bacall schön war. Das ist einerseits erfreulich, denn ein Morgen in der Post ist ein besserer Morgen, wenn man dort eines schönen Menschen ansichtig wird. Andererseits ist es aber betrüblich, denn warum der double take? Weil man eben im wirklichen Leben mit so etwas nicht rechnet. In Filmen ist es ganz normal, dass FBI-Agenten aussehen wie Kyle MacLachlan oder Hippietanten wie Margaret Qualley. Im wirklichen Leben sind Schiebetürexpertinnen, die aussehen wie die Schwester von Lauren Bacall, selten. Die gute Nachricht ist, dass sich das ändern wird, und zwar dank des grassierenden Fachkräftemangels. In wenigen Jahren wird der Distinktionsgewinn, der mit einer Berufswahl wie Installateur oder Spengler einhergeht, so hoch sein, dass die Schönen in diese Tätigkeitsfelder strömen werden wie Motten ins Licht. Dann endlich wird jeder Coke-Light-Mann endlich so aussehen wie der Coke-Light-Mann. Schönes Wochenende!

Freitag, 2. Februar 2024

Objektiv

 

Wir haben es hieramts schon mehrfach erwähnt: Manchmal kann alles so einfach sein. So haben sich über das Problem der Objektivität die klügsten Köpfe von Descartes über Kant bis zur Frankfurter Schule und noch weiter den Kopf zerbrochen. Wenn ich etwas so und so wahrnehme und verstehe, wer garantiert dann, dass du es ebenso wahrnimmst und verstehst – und zwar noch lange, ehe wir uns darüber Gedanken gemacht haben, wer „ich“ bin, wer „du“ bist und ob überhaupt einer von uns existiert?

Die Mathematiker sind diesbezüglich natürlich aus dem Schneider, und auch die Naturwissenschaftler müssen sich nur bedingt Sorgen machen. Solange sie ihre Experimente ordentlich machen, sich nicht in die DNA-Probe schneuzen und in Statistik aufgepasst haben, kommt schon was halbwegs Nachvollziehbares heraus. Oder eben nicht, dann weiß man, dass das objektiv ein Schmarrn ist.

Was aber soll man machen, wenn man sich über Moral Gedanken macht, über Kunst, Politik, Literatur und ähnlichen Schmonzes? 

Bisweilen wird hier empfohlen, sich der vielfachen Bedingtheit seiner eigenen Wahrnehmung bewusst zu werden, zu reflektieren, sich über andere Sichtweisen zu informieren, Kritiker zu Wort kommen zu lassen und so fort.

Leider ist das alles sehr mühsam, deshalb ist es umso erfreulicher, dass man es sich stattdessen gröbi machen kann, ohne ein schlechtes Gewissen haben zu müssen. Zu verdanken haben wir diese Information wieder einmal dem Zweckdichterbalg, das bekanntlich in Kürze seine vorwissenschaftliche Arbeit abgeben muss. Warum das nötig ist, steht auf einem anderen Blatt. Ich bescheide mich mit der Bemerkung, dass die Lehrperson, die den Kurs „Einführung in die Praxis wissenschaftlichen Arbeitens“ gehalten hat, sich als Vorbereitung offenbar die vage Erinnerung an ihr eigenes Proseminar zu diesem Thema genügen hat lassen, hach, was waren wir damals jung! Und die Note auf ein Proseminar interessiert ja eh keinen mehr, wenn man erst einmal seinen Abschluss hat.

Stimmt.

Wie auch immer: Weil „vorwissenschaftlich“ nicht etwa, wie man glauben könnte, „so wie vor der Erfindung der Wissenschaftlichkeit“ meint, sondern eher „wissenschaftsähnlich, aber halt noch nicht so ganz“, deshalb also soll die Arbeit natürlich objektiv sein. Wie macht man das also, wenn man sich die Mühen der Reflexion ersparen will? Aufgepasst, hier kommt endlich der Shortcut zur Objektivität, direkt aus den FAQ des Linzer Khevenhüller-Gymnasiums zur VWA:

Darf in einer Einleitung „ich“ bzw. „mein“ verwendet werden?

Nein, die Einleitung ist bereits Teil der wissenschaftlichen Arbeit und somit objektiv zu schreiben.

Ja, dann!

Schönes Wochenende!