Freitag, 31. Mai 2024

So sagt man

Die Erde, o landverbundene Lesehäschen, dürstet, und daher ist es sehr erfreulich, dass es kräftig regnet beziehungsweise waschelt, gießt, schüttet, seicht oder wie man halt sagen will. Die Schusterbuben bleiben einstweilen noch in den Wolken, aber wer weiß.

Wobei: Im Englischen regnet es bekanntlich niemals Schusterbuben, sondern cats and dogs, und wir haben wieder einmal ein sprachliches Leitfossil unserer Zeit markiert, nämlich wobei im Sinne von „übrigens“ oder „allerdings“.

Früher tat „wobei“ nämlich nur zwei Dinge: Es leitete einen Fragesatz ein, wenn man zum Beispiel wissen wollte: „Wobei sollte den kleinen Finger wegspreizen – beim Kaffetrinken oder nur beim Champagner?“ Eine damals in sozial aufstrebenden Kreisen durchaus häufige Frage, jaja, so war das.

Ach ja, wobei. Es konnte auch eine Relativkonstruktion tragen, die als Hauptsatz mit „dabei“ begonnen hätte: „Dabei stieß er mit seinem kleinen Finger an die Herzogin von Trübswachl.“

Im Relativsatz eben: „Indem er vom Champagner nippte, spreizte er seinen kleinen Finger auf die ordinärste Weise ab, wobei er die Herzogin von Trübswachl stupste.“

Inzwischen haben sich die Verhältnisse geändert, und „wobei“ leidet nichts mehr ein als die Tatsache, dass jetzt etwas kommt, das dem Sprecher gerade eingefallen ist. Man sagt also: „Neulich am Würstelstand ist mir die Käsekrainer hinuntergefallen. Wobei, war eh nicht gut.“ Was hier genau vorgeht, ist unklar. Duden findet die Sache ugs. Möglicherweise will man sich damit schmücken, einen Nebensatz in die gesprochene Sprache einbauen zu können, ist dann aber doch zu faul dazu. Für diese Hypothese spricht, dass manche das sogar schreiben und danach gern einen Beistrich setzen anstatt des eigentlich aufgelegten Doppelpunkts.

Soviel dazu.

Eine weitere Merkwürdigkeit, bei der ein Nebensatz gut aufgehoben wäre, findet sich in Sätzen wie diesem: Dazu kommt der fehlende Druck vonseiten der Geschäftsführung.

Wie jetzt? Fehlt der Druck oder kommt er? Natürlich ist es möglich, dass Fehlendes kommt: Endlich kam der fehlende Reisegenosse, der sich in der Bahnhofsrestauration mit der Herzogin von Trübswachl verplaudert hatte, wobei in ihrem Gespräch die schlechten Umgangsformen der heutigen Jugend eine zentrale Rolle spielten.

Hier aber kann der Druck nicht kommen, weil er eben fehlt. Das Partizip Präsens drückt halt aus, dass etwas gerade der Fall ist. Wenn es also, wie im Beispiel, darum geht, dass etwas fehlt und dass dieses Fehlen Probleme verursacht, kann das Fehlende nicht gleichzeitig kommen. Was kommt, ist anstatt des Drucks der Umstand seines Fehlens, was sich ohne weiteres etwa so sagen ließe: Dazu kommt, dass die Geschäftsführung zu wenig Druck aufbaut. Wobei, wer schaut schon so genau hin. Schönes Wochenende!


 

Freitag, 24. Mai 2024

Junggeblieben

 

Gewiss kämpfen viele unter euch, o achtsame Lesehäschen, mit dem Gendern, auf dass sich niemand auf das nichtphallische Modeaccessoire getreten fühle. Es ist Zeit für eine Runde Frohlocken, wie uns Melisa Erkurt kundtut, ihres Zeichens Frau, die im Falter jede Woche was schreiben darf, meistens über Bildung. Diesmal klärte sie euren ergebenen, alten und weißen Mann wie folgt auf:

„Hallo, ich heiße Melisa und meine Pronomen sind she/her“ – so fangen Vorstellungsrunden im Kreise junger Menschen oft an.

Der junge Mensch im Kreise des Zweckdichters konnte dies keineswegs bestätigen, aber was soll’s. Denn:

Viele Junge schreiben ihre Pronomen auch in ihre E-Mail-Signatur, da können Sie also gern nächstes Mal hinschauen, bevor Sie jemanden mit „Liebe“ anreden, obwohl die Pronomen der Person they/them lauten.

Man KÖNNTE sich jetzt fragen, wieso man eine Person, die mit einem Pronomen im Plural angesprochen sein will, nicht mit einer Anrede im Plural anreden soll. Man könnte sich sogar fragen, ob eine Kolumnistin, die anscheinend nicht weiß, wie der Plural von „lieb“ lautet, wirklich die Anlaufstelle erster Wahl für sprachliche Fragen ist.

Vielleicht sollen wir daraus auch entnehmen, dass wir über Leute, die „they/them“ als ihre Pronomen verwendet wissen wollen, im Plural reden sollen, während wir sie aber am besten nicht anreden?

Die folgenden Behauptungen von Frau Erkurt scheinen jedenfalls unangemessen optimistisch, um nicht zu sagen: völlig aus der Luft gegriffen. 

Wenn man damit nicht so oft zu tun hat und es einen persönlich nicht betrifft, klingt es erstmal komplizierter, als es ist. Wobei, ganz so unkompliziert ist die sprachliche Umsetzung, wie manche junge Menschen dann tun, aber wiederum auch nicht, sonst würde man sich nicht mit englischen Pronomen aushelfen.

Stimmt. Wenn es wirklich einfach wäre, könnte man sagen: „Sie ist schnell Bier holen gegangen.“ Aber das wäre übergriffig und unsensibel, wo sie sich doch klar und deutlich gewünscht hat, dass wir sagen: „She ist schnell Bier holen gegangen.“ (Hoffentlich nicht zuviel, sonst wird her schlecht.)

Und da haben wir noch gar nicht davon geredet, dass die Autorin ganz andere Probleme hat als das Gendern. Zum Beispiel hilft man einander mit etwas aus. Wenn Frau Erkurt also der sprachlichen Sicherheit ermangelt, helfe ich ihr gerne aus. Wenn mir selber hingegen der eine Ausdruck nicht einfällt, behelfe ich mir mit einem anderen. 

Aber in Wahrheit ist das alles müßig, denn wer gut aufgepasst hat, hat gemerkt, dass die Gute von Einhörnern und Feen fantasiert. Zwar haben „die Jungen“ Mailadressen. Sie haben sie aber nur, weil man in unserem vorgestrigen Internet oft eine braucht, um sich für Merch oder Konzertkarten oder sowas zu registrieren, und nicht, weil sie sich davon irgendeine kommunikative Erleichterung erhoffen. Deshalb tut sich auch keiner von ihnen die Mühe an, eine Mailsignatur einzurichten. Es sei denn, er ist nicht mehr so jung, wie er tut, und/oder nonbinäre:r Aktivist:in#*.

Nächstes Mal: Wobei, was soll das eigentlich? Schönes Wochenende!

Freitag, 17. Mai 2024

Geprüft

 

O vielgeliebte und umfassend ge-, jedoch darob keineswegs eingebildete Lesehäschen, wir setzen unsere unregelmäßige Serie Sternstunden der Bildung fort. Dass die Zentralmatura eine wunderbare Sache ist, die alles viel besser gemacht hat, wird ja niemand bestreiten, der sich niemals mit dem Thema beschäftigt hat.

Leider steht aber noch Arbeit aus. Denn die Zentralmatura gibt es ja erstens nicht für alle Fächer, sondern nur für Deutsch, Mathe und bestimmte Fremdsprachen.

Und vor allem ist nur die schriftliche Prüfung standardisiert. Danach wartet bekanntlich der mündliche Teil. Für alle, bei denen das schon exakt genau so lange her ist wie bei eurem Ergebenen, also lange genug, um sich nicht mehr so genau erinnern zu können:

Für die schriftlichen Prüfungen gibt es bundesweit einheitliche Termine. Für die mündlichen weiß man die Terminet an manchen Schulen schon, an anderen nicht. Das wäre ja so ziemlich egal. Aber im Unterschied zur Zentralmatura hängt auch hier, wie schon all die Jahre zuvor, alles am Personal, zu dem das Zweckdichterbalg bemerkte, dass man so schwer welches findet, und wenn, dann werden sie schwanger.

Tja.

Also die mündliche Matura. Während die schriftliche Matura ganz anders läuft als früher – in Deutsch zwingend zwei Texte, nicht nur einer, Mathe unendlich viele Fragen anstatt sechs Beispiele, die man zuvor monate- und jahrelang geübt hatte wie einen dreifachen Salto mit zwei Schrauben – hat  sich im mündlichen Teil überhaupt nichts geändert. Es ist immer noch Glückssache, ob man vom Prüfer einen Stapel sorgfältig ausgearbeitete Unterlagen, nach Themen in Klarsichthüllen geordnet, überreicht bekommt. Oder ob jener es bei der Auskunft bewenden lässt, es komme eh alles.

Das ist natürlich einerseits blöd für die Betroffenen. Andererseits aber auch höchst erfreulich im Sinne der Maxime, dass man ja nicht für die Schule, sondern fürs Leben lernt. Es wäre daher geradezu fahrlässig, wollte das Bildungsministerium dafür sorgen, dass es bei der Matura fair zugeht, unabhängig davon, welche Fächer man wählt (und da haben wir noch gar nicht davon gesprochen, dass man mündlich drei bis vier beliebige Fächer wählen kann, sich aber schon infolge der Aufteilung der Stundentafel in, zum Beispiel, Geschichte oder Philosophiepsychologie doch merklich weniger Stoff anzusammeln pflegt als in Mathe oder Französisch). Denn im Leben geht es bekanntlich auch nicht fair zu.

Hat man das erst einmal eingesehen, dann kann man sich als verantwortungsbewusster Mensch auch nicht mehr die Gesamtschule wünschen, die, das weiß man ja aus anderen Ländern, dazu taugt, dass herkunftsbedingte Chancengefälle abzuflachen. Denn auch wenn die Schule ein bisschen gerechter wird, bleibt die Welt ungerecht. Deshalb sollten wir der österreichischen Bildungspolitik Dank dafür wissen, dass sie davon absteht, der Jugend falsche Hoffnungen zu machen und auf der Weggabelung zwischen Gymnasium und Hauptschule beharrt.

Schönes Wochenende!

Freitag, 10. Mai 2024

Nachverurteilt

 

In den eher besonnenen, vielleicht sogar ein bisschen linken Medien fragen sich die Bedenkenträger in diesen Tagen, wie es denn sein kann, dass Leute, die sie einst für vernünftig, eher besonnen, vielleicht sogar ein bisschen links hielten, mittlerweile mit der AfD liebäugeln, Kickl gar nicht so übel finden oder die Proteste jener Ivy-League-Studenten nachvollziehen können, die Israel gern ausgelöscht sähen.

Euer Zweckdichter, o gewiss immer noch besonnene Lesehäschen, weiß es auch nicht. Er hat aber eine Vermutung, die ihm selbst sehr unangenehm ist.

Denn wenn man sich bemüht, ein ordentlicher Mensch zu sein und seinem Nebenmenschen mit Respekt zu begegnen, solange dieser jenen nicht verwirkt hat, dann fühlt man sich ja auch ein bisschen gut dabei. Weil man sich zu Zeiten, wo es vielleicht nicht so rund läuft, zumindest an der moralischen Gewissheit wärmen kann, dass man selber kein so übler Bursche ist. Deshalb ist es umso ärgerlicher, wenn man feststellen muss, dass ein Vorurteil, dass man stets aktiv gemieden hat, sich infolge gemachter Erfahrungen in ein gleichlautendes, nun aber unvermeidliches Urteil verwandelt hat.

Euer Ergebener zum Beispiel war allzeit bemüht, gegenüber, sagen wir, gescheckten Eseln ebenso vorurteilslos zu handeln wie gegenüber einfärbigen, ja sogar gegenüber Pferden. Als deshalb im Stall des Zweckdichters eine Box freiwurde und zwei gescheckte Esel zu verstehen gaben, dass sie gern einziehen würden, war der Zweckdichter dazu gern bereit. Denn nur weil Kickl und seine Haberer immer erklären, dass gescheckte Esel bissig seien und viel Schmutz machten, muss das ja nicht stimmen.

Alsbald machten die Esel es sich bequem und erwiesen sich im Großen und Ganzen als brauchbare Stallbewohner, Kickl zum Trotz. Sie zahlten pünktlich die Stallmiete und ließen ansonsten wenig von sich hören. Nach einigen Jahren endete ihr Mietvertrag. Da sprachen die Esel: „Die Zeiten sind schlecht, wir müssen uns einen billigeren Stall suchen.“ Worauf der Zweckdichter erwiderte: „So will ich euch diesen Stall zu einem günstigeren Preis überlassen.“ Dies teils aus Nettigkeit, teils, weil er keine Lust hatte, den Stall zu renovieren.

Worauf die Esel blieben.

Nach überraschend kurzer Zeit aber zogen sie trotzdem aus und ließen sich noch bestätigen, dass sie die (allerdings mittlerweile unüblich geringe) Stallmiete stets bezahlt hatten. Bei näherer Betrachtung musste euer Ergebener nun feststellen, dass sie nicht so gehaust hatten wie erhofft: Die Futterraufe war zerbrochen, an unvermuteten Stellen fand sich Eselmist, und überhaupt war der Stall in einem traurigen Zustand. Als er deshalb das hinterlegte Geld der Esel behalten wollte, um seinen Aufwand zu decken, begannen diese zu streiten.

Inzwischen besitzt euer Zweckdichter anstatt eines Vorurteils gegenüber gescheckten Eseln ein Urteil über einige solche. Und leider werden deshalb in diesen Stall keine mehr einziehen. Freilich hat Kickl dadurch keine Stimme gewonnen. Aber gegenüber den wahrscheinlich doch existierenden wohlerzogenen gescheckten Eseln ist das unfair. Die wahre moralische Frage ist freilich: von wem? Schönes Wochenende!

Freitag, 3. Mai 2024

Unterricht

Was „objektiv“ heißt, konnten wir ja dank dem Linzer Khevenhüller-Gymnasium bereits klären, o wissenschaftlich interessierte Lesehäschen: Wenn man nicht "ich" sagt, ist es objektiv.

Das liegt daran, dass wir so kompetent sind. Fragt sich nur, was Kompetenz eigentlich ist. Da hilft ein scharfer Blick auf die diversen Webseiten des Bildungsministeriums.

Früher, als das Wünschen auch schon für die Katz war, gab es nämlich den Deutschunterricht. Heute heißt das „Unterrichtssprache“, womit immerhin geklärt ist, dass die Schüler einst über die Beschaffenheit des Deutschen unterrichtet wurden, während heute die Sprache halt, tja, west?

Der Lehrplan für die Unterrichtssprache ist, wie alle Lehrpläne heutzutage, „kompetenzorientiert“. Man darf sich fragen, worauf die früheren Lehrpläne orientiert waren, wenn nicht auf Kompetenzen, aber man darf sich auch fragen, ob es nicht gescheiter ist, sich die Frage zu sparen.

Zu den Kompetenzen, die das – natürlich seinerseits kompetente – Lehrpersonal zu vermitteln allzeit bestrebt sein möge, zählt die Kenntnis der deutschsprachigen, insbesondere österreichischen Literatur „anhand ausgewählter Beispiele“.

Die Frage ist nur, wer die Beispiele auswählt. Das Unterrichtsministerium hält sich bedeckt. Ich täte desgleichen, denn wer heutzutage einen Kanon erstellt, hat offensichtlich mit seiner Karriere abgeschlossen. Das liegt daran, dass Auswahl leider immer auch Abwahl bedingt. Der Witz an einem Lesekanon ist es, dass man nicht alles lesen muss, sondern nur den Kanon. Da nicht nur alle Autoren, die es in den Kanon schaffen, eine Identität besitzen, sondern auch alle, die außen vor bleiben, und weil keine Identität der anderen gleicht, ist jeder Kanon nur ein Puppenstadium, dem alsbald ein Shitstormschmetterling entschlüpft, dessen Flügelschlag den Urheber aus dem Berufsbild fegt. Denn es ändern sich halt die Verhältnisse. War es in noch gut erinnerlicher Zeit progressiv, sich in einer öffentlichen Position als schwul zu outen, so gibt es heutzutage bekanntlich niemand Privilegierteren als einen Cis-Mann, egal auf wen er steht, so rückständig kann das Dorf gar nicht sein, dass der so hart diskriminiert wird wie eine Transperson in Favoriten, nee du.

Deshalb ist es verständlich, dass das Unterrichtsministerium keinen Literaturkanon herausgibt, sondern es den Lehrern überlässt, geeignete Beispiele auszuwählen. Diese sichern sich shitstormtechnisch ab, in dem sie entweder großes Gewicht auf Werke legen, die man gut als progressiv schubladisieren kann, oder – vorzugsweise – indem sie bereits pragmatisiert sind, sodass es ihnen wurscht sein kann.

Glücklicherweise sind die Kompetenzsterne, nach denen das Unterrichtsschiff steuern soll, optional, weil nämlich zu Schularbeiten und natürlich auch zur Matura immer auch Themenpakete gewählt werden können, die frei von jedem Literaturbezug sind. Womit wir auch geklärt haben, warum es „Unterrichtssprache“ heißt und nicht „Sprachunterricht“. Wäre ja noch schöner, wenn man in diesem Fach gezwungen wäre, sich mit den Hervorbringungen von Leuten auseinanderzusetzen, die davon zu leben versuchen.

Schönes Wochenende!