Freitag, 26. Februar 2021

Alles offen

 

Man soll, o teure Lesehäschen, den Leuten gut zuhören, dann erfährt man etwas über sie. Weil es aber aufgrund seiner rhetorischen Inselbegabung sehr anstrengend ist, dem Herrn Bundeskanzler zuzuhören, kann man stattdessen „Zur Sache“ lesen, was, wie männiglich bekannt, der nagelneue offizielle Blog des ÖVP-Parlamentsklubs ist und nach Aussage seines Chefredakteurs zur Versachlichung der politischen Debatte beitragen soll. Der Herr Chefredakteur hat einstweilen nur einen einzigen Schackl unter sich, den 23-jährigen Peter Stöckl, der sich mit seinen „Erfahrungen aus (Vorzugsstimmen-)Wahlkämpfen, politischen Kampagnen und der jungen Volkspartei“ optimal für sachlichen Journalismus qualifiziert hat. Das beweist zum Beispiel sein Artikel um die Frage, wann die Wirten wieder aufsperren dürfen. Der Titel ist wundervoll, denn er lautet: Öffnung ist fix. Offen ist wann.

Die graziöse Doppelung von „Öffnung“ und „offen“ lässt eine freundliche Fata morgana vor uns erstehen von einem überschäumenden Krügel, an dem die Luftfeuchtigkeit gar verheißungsvoll kondensiert. Möglicherweise auch eine weniger freundliche, die sich von diesen Sätzen an das englische Sprichwort erinnert fühlt, dass Meinungen wie Arschlöcher sind: Jeder hat eins, weshalb zumindest die Körperöffnung fix ist, auch wenn die Öffnung der Gastronomie vorerst ebenso, nun ja, offen bleiben muss wie möglicherweise das einschlägige Organ bei ÖVP-Mitarbeitern, die sich gehalten sehen, die Diskussion zu versachlichen.

Wenn man wieder zu sich kommt und überlegt, was da eigentlich drinsteht, stellt man leider fest, dass nur eines fix ist, nämlich, dass noch nix fix ist. Möglicherweise handelt es sich auch um den Dialog zwischen übertrieben optimistischem Gastronomiefunktionär: „Öffnung ist fix!“, dem der Möchtegerngast freudig erwidert: „Offen ist wann?“, worauf der Funktionär keine Antwort weiß. (Am Tag nach der Veröffentlichung dürfte sich der Chef den Artikel angeschaut haben, weshalb die Headline nun anders lautet, was kein Wunder, aber doch bedauerlich ist.) 

Wer weiterliest, stellt fest: Wo Peter Stöckl hinschreibt, wächst kein Gras mehr. So weiß er zu berichten, warum es im Dezember gescheiter war, die Lokale geschlossen zu halten: „Damalige Berechnungen […] ergaben, dass sich privat weniger Menschen anstecken würden, als wenn man die Lokale geöffnet hätte.“ Anscheinend hat man nicht nur die Lokale, sondern auch die Privatwohnungen geschlossen, da im Hinblick auf beide der Konjunktiv zu stehen kommt. Pass auf, Peter, so wird ein Schuh draus: „… dass sich privat weniger Menschen ansteckten, als wenn man die Lokale geöffnet hätte.“ Gleich darauf zeigt Herr Stöckl, dass er den Finger am Puls der Zeit hat, denn er apportiert nicht etwa bloß „aktuelle Berechnungen“, nein, er hat „die aktuellsten Berechnungen“ parat. Das ist sogar dem Chefredakteur durchgerutscht, der noch nicht behirnt hat, dass, wenn gestern etwas aktuell war und heute etwas Neues dazukommt, das Aktuelle von gestern es heute nicht mehr ist, weshalb aktuell sich ebenso sinnvoll steigern lässt wie schwanger.

Aus dem letzten Absatz erfahren wir endlich, warum zwar die Öffnung fix ist, aber nichts, was dazu beitragen könnte: Schwierig machen die Berechnungen die derzeit wieder leicht steigenden Zahlen. Man muss nicht Mathematik studiert haben, um verständnisvoll zu nicken: Das Rechnen könnte so einfach sein, wenn die lästigen Zahlen nicht wären! Dass es auf die Entwicklungen der nächsten Tage an[kommt], wie Nachwuchshoffnung Stöckl abschließend bemerkt, wird ihm hoffentlich keine Scherereien mit Onkel Anschober eintragen, der ja alles gepachtet hat, was irgendwie darauf schließen lässt, dass „die nächsten /hier Zeitspanne eintragen/ entscheidend sein“ werden.

Also, ihr zwei von Zur Sache, viel Glück! Das hat ja super angefangen, wir schauen sicher wieder vorbei. Schönes Wochenende!

Freitag, 19. Februar 2021

Mangelware

 

Es geht, meine teuren und sicherlich regelmäßig getesteten Nasenbohrerhäschen, ein Gespenst um in Europa. Natürlich nicht das Gespenst des Kommunismus, da leisten der Herr Innenminister und seine Partei ja vorbildliche Prophylaxe etwa durch die Abschiedung von Kindern. Nein, das Gespenst hat einen Namen, nämlich Willi. Herr Willi ist uns aus dem peinlichen Justizgezerre rund um die sexuellen Beleidigungen bekannt, die Sigi Maurer vor nun schon über zweieinhalb Jahren erreicht haben, und zwar vom Account des sogenannten „Bierwirten“, der versichert, dass er das aber nicht war, sondern der Herr Willi. Der Herr Willi seinerseits sagt, er war es auch nicht, und wie es aussieht, hat Frau Maurer nun endlich die nötige Muße, um die Kapriolen des Koalitionspartners auf sich wirken zu lassen. Die jüngsten Entwicklungen rund um unseren verehrten Herrn Vizekanzler Blümel lassen jedenfalls befürchten, dass der Computer des Bierwirten nicht der einzige war, an dem sich Herr Willi zu schaffen gemacht hat. Sollte doch ein Laptop des bekannt begeisterten Smartphoneusers Blümel auftauchen, dann können wir uns schon denken, wer dort etwaiges belastendes Material hinterlassen hat!

Damit zur Kernfrage des heutigen Tages, nämlich: Was streamen wir heute? Beziehungsweise: Warum streamen wir es nur zu oft nicht? Weil die eine große Streamingplattform, nämlich Netflix, zwar hunderte von selbstproduzierten Serien im Angebot hat, jedoch mit einem Filmangebot protzt, für das sich die Pfarrbücherei von Nenzing genieren würde, wo die DVDs wahrscheinlich in der Nische hinterm Ficus stehen (ich war wohl schon in Nenzing, aber noch nie in der Pfarrbücherei). Die andere hingegen, nämlich Amazon, scheint einen schwunghaften Mikrohandel mit einer dort allzuknappen Ressource zu ermöglichen. Ich stelle mir vor, dass über den Erdball verstreut boshafte Menschen in Souterrainwohnungen vor Rechnern mit teuren Breitbandanschlüssen sitzen und rund um die Uhr Termingeschäfte mit Originaltönen tätigen. Denn Originaltöne sind ganz, ganz schwierig, wie es scheint. Amazon kann es sich einfach nicht leisten, die mir nichts, dir nichts standardmäßig bereitzustellen. Du willst Natural Born Killers sehen? Gerne, solange es auf Deutsch ist. O Amazon, so geht das nicht.

Aber was nutzt das Jammern, es gibt ja schließlich die Klassiker! Endlich einmal in Ruhe Citizen Kane schauen, der ja gerne als bester Film aller Zeiten gehandelt wird! Allerdings nicht auf Netflix. Und Amazon serviert das Meisterwerk in deutscher Synchronfassung. So treibt man gesetzestreue Bürger in die Arme der Filmpiraterie, Herrschaften, denn auf einschlägigen Seiten darf man, Fanfare!, Orson Welles zuhören, wie er Englisch spricht. Aber schon eine Stufe darunter sieht es trübe aus: Wenn dir nach dem Film-Noir-Klassiker The Big Sleep ist, dann hoffst du vergeblich auf die Stimme von Humphrey Bogart und darfst stattdessen Arnold Marquis lauschen, der, wie uns das Internet wissen lässt, einer der meistgebuchten deutschen Synchronsprecher war. Schön für ihn! In diesem Fall nützt es auch nichts, in Nenzing zu wohnen, und selbst die bestsortierten Piratenseiten lassen dich im Stich. Weil du diesen Film in der Originalversion nämlich online überhaupt nirgends findest, wurscht, dass Howard Hawks ein wahres Prachtstück von Regiearbeit abgeliefert hat und William Faulkner (eh nur Nobelpreisträger) das Drehbuch nach einem Roman von Raymond Chandler, eh nur einem der besten Detektivschriftsteller von überhaupt, und eh nur mit Bogey und Lauren Bacall.

Ganz ehrlich: Das ist nicht die Zukunft, die uns einst versprochen wurde. Musst du dich jetzt echt mit schwindligen VPN-Lösungen herumschlagen? Kommt drauf an. Wenn du in Nenzing wohnst, vermutlich ja. In Wien hilft der ganz analoge Gang zur nächstgelegenen Filiale der städtischen Büchereien. Schönes Wochenende!

Freitag, 12. Februar 2021

Wir belehren sich einander

 

Einst, meine teuren und sicherlich regelmäßig getesteten Nasenbohrerhäschen, machte sich der Restösterreicher unangemessen lustig über die dialektalen Eigenheiten Tirols. Wie unschuldig und zugleich fehlgeleitet wirken diese Witzchen („Wie heißt Banane auf Tirolerisch?“) heute! Wissen wir doch, dass die Aussprache blunzn bis unerheblich ist, während Nuancen der grammatischen Feinwürzung den Unterschied machen können, der eben in Tirol dieser Tage zu oft auf der Strecke bleibt.

Damit sind wir endlich beim schon letzte Woche verheißenen Unterschied zwischen reflexiven und reziproken Pronomina, der heute mehr auf den Nägeln brennt denn je.

Weil warum? Abwarten! Beim Reflexivpronomen handelt es sich um ebendieses, wie hoffentlich allgemein bekannt. Wenn du dich wäschst, ist dich ein Reflexivpronomen. Die Dinger heißen so, weil man sie auch braucht, wenn man sich im Spiegel betrachtet und der Spiegel bekanntlich reflektiert. Fakt! Natürlich auch, wenn ich mich in zwei Spiegeln betrachte, bei dem Versuch, mir selber die Haare am Hinterkopf in ansehnliche Form zu bringen, weil ich den Doc-Brown-Look satt habe, was natürlich für den Hugo ist, weil man es erstens nicht hinkriegt und weil es zweitens ja reicht, der Kamera beim Zoom-Meeting nicht den Rücken zu kehren. Ich prophezeie allein schon aus der normativen Kraft des Faktischen ein großes Revival der Vokuhilamatte!

Das Reziprokpronomen hingegen spiegelt nicht nur, es spielt über die Bande. Denn ich kann mich berühren, du kannst dich berühren. Doch wenn wir uns berühren, wer berührt dann wen? Für diese erotisch entscheidende Frage hält die Grammatik zum Glück eine Antwort bereit: Wenn wir uns berühren, gibt es höchstens Zoomsex. Berühren wir hingegen einander, dann bringt das Reziprokpronomen endlich frischen Pfeffer ins Gefühlsleben.

Duden lässt uns wissen, dass die Verwendung von einander eventuell gestelzt wirken kann, wenn der Satz auch mit dem stattdessen heute gern genommenen Reflexivpronomen unmissverständlich ist. So sei es vollrohr okay, wenn wir mitteilen, dass zwei sich in einer Bar kennengelernt haben, ehe sie zu gegenseitigen Berührungen schritten, anstatt einander, während es ratsam ist, klarzustellen, ob wir wenig später unehrlich zu uns oder zueinander waren. Soll sein. Dass wir sich einander treffen, kommt jedenfalls nur östlich von St. Pölten vor.

Und was ist mit Tirol? Je nun. Das Reziprokpronomen ist nicht nur in Fragen der zwischenmenschlichen Beglückung wichtig, sondern auch im Krankheitsfall. Denn man sagt wohl, man habe sich angesteckt. Tatsächlich hast du dich aber niemals allein angesteckt. So ein Virus entsteht ja nicht durch Urzeugung in dir, wenn dein Immunsystem gerade jemand Begehrenswertem nachspechtelt und deshalb unkonzentriert ist. Vielmehr trägt jemand es dir zu, und dann hast du es: Wir stecken stets einander an. Im Lichte der jüngsten Entwicklungen scheint es aber, dass in der tirolerischen Umgangssprache das Reziprokpronomen aufs Bedauerlichste vernachlässigt wird, sodass man dort – Sprache formt Wahrnehmung! – zu der irrigen Überzeugung gelangen konnte, es stecke ein jeder sich an, während die Ansteckung zueinander im Seuchengeschehen höchstens eine Nebenrolle spiele. Bei allen Reisewarnungen und sonstigem Pipapo sei deshalb der Bundesregierung und hier natürlich Herrn Faßmann nahegelegt, das heilige Land mit ein, zwei Paletten deutscher Grammatik-Standardwerke aufzumunitionieren. Nutzt’s nix, schadt’s nix. Schönes Wochenende!

Freitag, 5. Februar 2021

Fünfsternegendern

 

Eigentlich, o teure Häschen aller 57 Facebookgenders, wäre ja heute der kleine Unterschied zwischen reflexiven und reziproken Pronomina dran gewesen. In Zeiten wie diesen muss man sich aber an Onkel Faßmann ein Beispiel nehmen und auf sich rasch ändernde Umstände flexibel reagieren. Deshalb nun zu einem anderen kleinen Unterschied. Die nächsten Wochen werden entscheidend sein, nämlich in der Frage, wie man heutzutage einen Brief korrekt beginnt, dessen Empfänger*innen (ja, heute gendern wir mal) einem nicht näher bekannt sind – ob es sich also um Onkel, Tanten oder ein noch zu findendes Nomen zur Bezeichnung von Leuten handelt, die mit deinen Eltern die Eltern gemein haben, ohne deine Eltern zu sein.

Bisher schrieb man hier „Sehr geehrte Damen und Herren“, aber das geht natürlich nicht mehr, weil Leute, die weder das eine noch das andere sind, sich mit Recht ausgeschlossen fühlen würden. Der Lösungsvorschlag, den euer Ergebener auf dem Tisch liegen hat, lautet Sehr geehrte Damen*Herren!

Um ihn richtig einschätzen zu können, hilft ein Blick in die Geschichte.  Es hat sich nämlich eine Bekannte eures Ergebenen vor einer Weile in der Schweiz aus Gründen, die hier zu weit führen würden, zahlreiche Frauenskelette genauer angeschaut. Die meisten hatten keine Zähne, denn, so stellte sich auf Nachfrage heraus: Noch im späten 19. Jahrhundert war in manchen Schweizer Regionen eine besondere Form der Mitgift verbreitet. Der Brautvater ließ seiner Tochter alle Zähne ziehen, damit der Bräutigam sicher sein konnte, dass auf ihn keine unvermuteten Zahnarztkosten mehr zukamen. So viel zum „schönsten Tag im Leben einer Frau“.

Ähnliches, scheint mir, ist bei den Damen*Herren geschehen. Denn so ein Gendersternchen ist zwar in vieler Hinsicht unbefriedigend, jedoch besser als nix, bevor man in im Binären verharrt. Wie es angezeigt ist, einen kranken Zahn zu reißen (zumindest, wenn man mit dem zahnmedizinischen Stand des 19. Jahrhunderts leben muss), so kann auch ein Gendersternchen eine einfache Lösung sein, wenn es klarzustellen gilt, dass zum Beispiel Empfänger*innen nicht nur solche sind, die sich als Frau oder Mann wohlfühlen. (Empfangende ist da einfach nicht dasselbe, weil du auch die Empfängerin eines Briefes sein kannst, ohne dass sich in deinem Inneren gerade das Spermium den Weg zur Eizelle bahnt.)

Nur dass das Gendersternchen mitunter nützlich ist, heißt aber nicht, dass es alles besser macht, ebensowenig wie die Totalextraktion eines gesunden Gebisses der erste Schritt ins Eheglück sein muss.

Denn in der Empfänger*in oder der Kund*in und meinetwegen auch der Geburtshelfer*in lenkt das Sternchen den Blick darauf, dass die binäre Genus-Struktur des Deutschen der Realität nicht gerecht wird. Das Sternchen füllt die Leerstelle, für die es zuvor Bewusstsein geweckt hat, auch wenn man es leider zwar wahrnehmen, aber nicht aussprechen kann.

In den Damen*Herren füllt es aber eine Leerstelle, die zuvor jeder gesehen hat, nämlich die beiden Leerzeichen mit einem und dazwischen. Nun ist die Sprache nicht nur ein Werkzeug, sie ist auch ein Wesen. Wenn du diesem Wesen ein neues Gen-Sternchen einpflanzst, dann entsteht eine Sprach-Chimäre. Denn wer Leerzeichen eliminiert, provoziert Verbindungen, und ich setze einen Preis in Form einer Leberkässemmel und eines handwarmen Dosenbiers auf den Kopf aus, in dem beim Anblick dieses Schriftbilds nicht sofort der Damenherr entsteht. Mit dieser Chimäre aber fühlt sich, fürchte ich, niemand mehr gemeint, außer vielleicht jene Personen im Dienstleistungsbereich zum Beispiel Thailands, die daraus eine Profession gemacht haben.

Beherzigen wir deshalb jene Vorschläge, die das gute Internet für uns bereit hält, und schreiben wir stattdessen Hallo! oder Guten Tag! oder gerne auch: Schönes Wochenende!