Es
gibt nicht nur zwischen Himmel und Erde mehr Dinge, als die unvollständige
Schulweisheit sich träumen lässt, und auch nicht nur zwischen den Zeilen, wo ja
bekanntlich alles möglich ist – nein: auch auf der Zeile ergeht es dir
bisweilen wie jener, die im Dunkeln die Treppe hinunterging und nach der
letzten Stufe eine weitere vorfand: Da kann es dich plötzlich und unvermutet
auf die Fresse hauen, wenn du
glaubst, du bist ein aufgeweckter kleiner Grammatiker.
Es ist
nämlich so, als wollte mich als
necken. In aller Regel ist klar, welcher Fall an einer gegebenen Stelle im Satz
zu stehen kommt. Im vorigen Satz steht die Regel
im Dativ, Fall im Nominativ, Stelle und Satz wieder im Dativ. Manchmal freut man sich auch über einen Akkusativ wie diesen, des Genitivs Antlitz lässt sich immer
seltener bewundern.
Doch
wenn irgendwo als steht, wird der Sprachboden sumpfig.
Nämlich
haben wir alle Joycens Buch gelesen:
Porträt des Künstlers als junger Mann
Hier
ist der Künstler das Bezugswort, dann kommt als, und schließlich junger Mann, die nähere Bestimmung des
Bezugswortes. Der eine steht im Genitiv, der andere im Nominativ, weil – ja,
warum eigentlich?
Offenbar
aus demselben Grund, der das Wirken Ignaz
Semmelweis’ als Arzt standardsprachlich sein lässt.
Nun
geht aber die SPÖ voraussichtlich in die Opposition,
und das dürfte alles ändern.
Denn
wenn Christian Kern Stellung nimmt, ist das dann
die Stellungnahme Kerns als
Führer der Opposition
oder
die Stellungnahme Kerns als
Führers der Opposition
?
Ich
bin ganz klar für Letzteres. Aber warum kann mir beim Künstler die Kasuskongruenz
(also die Übereinstimmung der Fälle vor und nach dem als) gestohlen bleiben, während sie mir beim Exkanzler wichtig
scheint?
Die
übliche Autorität weiß keinen Rat, sondern macht alles noch schlimmer. Denn die
beiden Beispiele habe ich direkt aus dem Duden
gemopst, wo sie kommentarlos nebeneinanderstehen.
Kann
es daran liegen, dass „Bezugswort“ nur ein Hilfsausdruck ist? Denn obwohl die
beiden Konstruktionen formal völlig analog sind, geschehen semantisch unterschiedliche
Dinge.
Im
Fall des Porträts ist der Künstler die
Hauptperson, von ihm gibt es ein Porträt. Zufällig stellt ihn dies nicht in
seinem heutigen Verfallszustand dar, wie ihr ihn von eurem Kolumnator kennt,
sondern als jungen Spritzer. Mithin wird hier nicht über den Künstler Zusätzliches
ausgesagt, sondern über das Porträt. Die enge Beziehung ist jene zwischen
Porträt und Künstler, die zusätzliche zwischen Porträt und jungem Mann.
Wenn
aber Kern Richtungsweisendes äußert,
ist seine Kernheit zweitrangig. Wichtig
ist, dass der Einwurf von der Opposition stammt. Die Stellungnahme und der
Oppositionsführer haben sich lieb, Kern schaut zu. Man könnte ihn zur Not sogar
weglassen: die Stellungnahme des Führers
der Opposition. Hingegen wäre Porträt
des jungen Mannes sinnlos und Porträt
eines jungen Mannes nichtssagend.
Ich
vermute also:
Wenn
das sogenannte Bezugswort eine stärkere Beziehung zu jenem Begriff hat, auf den
es sich seinerseits bezieht, als zu seiner näheren Erläuterung, dann wird die
Kasuskongruenz beachtet, damit die Verbindung nicht noch schwächer wird. Im
umgekehrten Fall schenkt man sich die Übereinstimmung, weil eh klar ist, was
los ist. Schönes Korinthenkackerwochenende!