Freitag, 20. Dezember 2019

Textknecht


Von drauß’ vom Kunden komm ich her.

Ich kann euch sagen: Es weihnachtet sehr!

Allüberall in den Manus-Ritzen

sah ich spitzige Feedbacks blitzen.

Und droben aus dem Chefbüro

sah mit großen Augen der der Vorstand hervor.

Und wie ich so strolcht’ voll Hoffnung auf Cannes,

rief er mich mit scharfer Stimme an:



„Zweckdichter“, rief er, „alter Gesell,

vergiss die Awards und spute dich schnell!

Der Hut fängt schon zu brennen an,

die Postfilialen sind aufgetan.

Text und Grafik sollen nun

fürs Weihnachtsmailing endlich was tun!“



Ich sprach: „Das kommt jetzt etwas spät.

Die Workload war ziemlich aufgebläht.

Für Xmas lohnt sich ein zeitiges Briefing,

weil der späte Vogel den Wurm noch nie fing.“

Grinsend wollt’ ich mich von hinnen machen

doch alsbald verging mir das Lachen.



Der Vorstand nämlich: „Ist nicht dein Ernst!

Du glaubst, dass du dich jetzt einfach entfernst?“

Ich so: „Es geht schon auf halb sieben.

Viel Output wird heute nicht mehr geschrieben.

Doch ich glaube, die Wiese ist eh schon g’maht.“

Fragt der Vorstand: „Hast du eine Lösung parat?“



Sprach ich: „In meiner Schublade liegt

ein Text, den noch kein Auge erblickt.

Weihnachtlich, schnittig, beinahe rasant.

Stimmungsvoll, reimreich, schlicht, elegant ...“

„Gekauft!“ unterbrach der Vorstand mich schon.

„Wir gehen in Druck ohne Retardation.“



Und als Weihnachten war, da lasen die Kunden

was ich geschrieben in langen Stunden:

„Von drauß’ vom Kunden komm ich her

ich kann euch sagen: Es weihnachtet sehr! …“

Freitag, 13. Dezember 2019

Weihnachtliche Possessivpronomina

In der Vorweihnachtszeit hat man ja bekanntlich Muße für sprachliche Feinheiten. So will ich nicht anstehen, euch, o unterbeschäftigte Punschhäschen auf eine Reise ins Land der spannenden Pronomina mitzunehmen. Gerade am Punschstand stellt sich ja bisweilen die Frage, ob das jetzt dein Punsch oder mein Glühwein (immer Glühwein, bitte!) ist.
Wie du da so am Punschstand stehst, ist dir ein bisschen langweilig. Das ist am Punschstand nichts Ungewöhnliches, aber schließlich bist du ja nicht allein hier – allein die überzuckerte Plörre in sich hineinzuschütten, das wäre ja nun wirklich zu trostlos. Also bittest du deinen Freund um sein Handy, „um schnell die Mama anzurufen. Er (leichtfertiger User 40 plus!) borgt es dir umstandslos, ohne zu bedenken, dass die Facebook-App zugänglich ist, aber zu spät, du tippst schon, dass die Finger glühen. Dann ist das der Freund, auf dessen Handy du tippst. So weit, so klar, dessen ist hier das das possessive Relativpronomen. Man könnte auch sagen, es ist der Genitiv des Relativpronomens der. Klar ist natürlich auch, dass du sofort einen interessanten Mix aus S/M-Gruppen, Swingerclub-Profilen und Hardcore-Feminismus-Treffpunkten geliket hast, damit der Facebook-Feed deines geliebten Freundes nicht mehr nur mit Avocadorezepten zugemüllt wird.
Klar ist weiters, und damit kommen wir zum saisonal relevanten Content für ausgeschlafene User wie euch: Wer auf der Weihnachtsfeier neben dem Chef sitzt, sollte schauen, dass er aus seinem Glas trinkt, nicht aus dessen Glas. Sonst kann sich da schnell ein unangenehmes Gespräch entwickeln. In diesem Fall ist dessen nämlich der Genitiv des Demonstrativpronomens oder, wie wir heute gern sagen, der Wesfall von der. Dass das Relativpronomen und das Demonstrativpronomen beide der heißen, kann schon vorkommen, ich kenne auch zwei Automechaniker, die beide vertrauenswürdig sind und Martin heißen, aber beide nicht mein Cousin sind, der ebenfalls Martin heißt und vertrauenswürdig, jedoch kein Automechaniker ist. Sein Bruder ist allerdings Autohändler, aber ehrlich, meine Teuren, das führt jetzt zu weit.
Dessen ist in diesem Fall nützlich, weil man die Gläser damit zumindest grammatisch eindeutig zuordnen kann, während man im wirklich Leben diese bunten Schleifchen vom Chinaversand braucht, die auf dem Papier sehr praktisch aussehen, aber in Wirklichkeit denkt man meistens nicht dran. Wenn man doch dran denkt, findet man sie entweder nicht, oder man hat eh schon so viel intus, dass man zum Suchen zu faul ist. Wie löblich hingegen dessen, wo man gleich Bescheid weiß!
Oder vielleicht auch nicht. Denn wie stehen die Dinge hier?
Wenn der Texter schon einfach die Formulierung des Kunden geklaut hat, hätte der Arter doch gleich auch dessen Layout nehmen können.
Weiß man, dass das Layout vom Kunden stammt und nicht vom Texter, nur weil hier „dessen“ steht anstatt „sein“?
Antwort: nicht zwingend, denn eine verbindliche Regel scheint nicht zu existieren. Normalerweise weist dessen aber nicht auf denjenigen, der im Satz etwas tut. Mit sein würde der Arter sein eigenes Layout klauen (soll auch gelegentlich vorkommen), mit dessen ist es jedenfalls sonst jemandes Werk. Für die Weihnachtsfeier bedeutet das: Wer dazu imstande ist, trinke stets nur aus seinem eigenen Glas. Im Zweifelsfall trink wenigstens aus dem Glase eines früheren Users, dessen Lippenstift zu deinem Teint passt. Schließlich soll es eine gelungene Feier werden. Schönes Wochenende!

Freitag, 6. Dezember 2019

Unzensiert

Geschmäcker und Watschen, sagt man, seien verschieden. Euer Kolumnator ist in Watschenfragen keine Koryphäe, dafür ist mein Erfahrungsschatz aktiv wie hoffentlich auch weiterhin passiv zu gering. Da brauchte man schon ein größeres Ohrfeigensample, um sich in dieser Sache kompetent wichtig machen zu können! A propos: Der Zweckdichterbalg konnte kürzlich mit einem Satz aufwarten, den ihr, o verständnisvolle Lesehäschen, jedesmal zielsicher anwenden könnt, wenn ihr bloß höflichkeitshalber nach dem Befinden eines höchstens flüchtig bekannten Gegenübers gefragt und darauf sofort ein zwanzigminütiges Best of seines an beeindruckenden Leistungen nicht armen Lebens präsentiert bekommen habt. In solchen Situationen, wo man versehentlich einen nur zu vollen Ballon losgelassen hat, ohne vorher das Loch zu verknoten, sodass er einem nun aufs Peinlichste die Ohren volltrötet, sage man: Wenn du Bestätigung brauchst, such dir bitte jemand anderen. Hart, aber gerecht und zweifellos wirksam.

Hart ist auch – na was? Genau: Das Feedback. Nicht immer gerecht, aber dafür umso härter. Weil das Feedbackbeet ein Frühbeet ist, gedeihen hier auch in der frischeren Jahreszeit Blüten, die es an fleischig-wuchernder Geschlechtsteilhaftigkeit ohne weiteres mit jeder noch so überzüchteten Orchidee aufnehmen können. Zum Beispiel schrieb euer Ergebener in einem anscheinend unbeholfenen Versuch, den Empfänger zu beglückwünschen:

„Das Wichtigste zum Tage: Happy Birthday!“

Der Unbedarfte könnte (so wie euer Kolumnator) der Ansicht sein, wenn man einem Geburtstagskind erklärt, an seinem Geburtstag sei eben die Tatsache dieses Geburtstages das Wichtigste, dann gehe das schon in Richtung einer gewissen emotionalen – wie soll man sagen: Also, dass der Verfasser dieser Botschaft sich einer gewissen festlichen Grundstimmung im Zweifelsfall nicht unbedingt aktiv verschließen würde, so vong 1 Partyanlass her.

Doch weit gefehlt: Der Headline fehlt es an jeglicher Emotionalität und sie klingt wie eine klassische "News-Headline", was am Thema vorbei ist, da die Emotionalität bei diesem Mailing im Vordergrund steht. Die Headline soll den Kunden außerdem neugierig machen und das Thema "Geburtstag, Feiern, Feste, Geschenk, Gratulation" in einer passenden Art und Weise aufgreifen. Bitte um 2-3 Alternativvorschläge.

Bäm!

Und übrigens, was das Happy Birthday! betrifft: „Bitte eine passende Headline auf deutsch“ [sic!].

Dir, o Feedbacktreibende, kann geholfen werden. Ist ja watscheneinfach.

Schönes Wochenende!

Freitag, 29. November 2019

Weiße Weste

Kommt, liebe Lesehäschen, setzt euch ans zu warme Feuer (irgendwann wird der Winter schon noch kommen), und lauschet, wie es einst war. Es begab sich, dass die Leute sich zu wenig sicher fühlten. Sie hatten nicht etwa Angst davor, unvermutet ein Messer zwischen die Rippen oder zumindest eine Faust aufs Auge zu kriegen, sondern davor, sich ungemütlich zu fühlen. Deshalb erfanden sie den safe space. Euer Ergebener ist nicht ganz sicher, was safe space bedeutet. Ich glaube aber, dass man in einem solchen Schutzraum sicher vor unangenehmen Tatsachen ist. Wenn zum Beispiel die Universität ein safe space sein will, muss sich auch der klassischste Text die Frage gefallen lassen, ob er der gesellschaftlichen Gerechtigkeit in erwünschtem Maße Rechnung trägt oder ob darin von betrüblichen Dingen wie Rassismus, Sexismus und anderem Alter-weißer-Männer-ismus die Rede ist, der die empfindlichen Jungseelen verstören könnte.
Diese Revolution hat nun ein Kind verschluckt. Wir haben den Punkt erreicht, wo kluge Menschen es unverantwortlich finden, Alice Schwarzer zu einer universitären Diskussion einzuladen, weil sie nicht den Stand der feministischen Forschung widerspiegelt.
Dabei war Alice Schwarzer nicht eingeladen worden, um über feministische Forschung zu sprechen, sondern darüber, wie gut geführte Kampagnen gesellschaftliche Veränderungen anstoßen können. Wir leben offensichtlich in Zeiten, wo Adornos Behauptung, es gebe kein richtiges Leben im falschen, auf eine Art wahr geworden ist, die er sich nicht hätte träumen lassen. Wenn man nur streng genug ist und den space nur safe genug haben will, dann darf sich niemand mehr zu irgendetwas äußern, wenn sie nicht in jeder anderen Hinsicht, die mit dem betreffenden Thema noch so wenig zu tun hat, unantastbar firm und moralisch einwandfrei ist.
Eine Kulturvermittlerin namens Petra Unger spricht sich im Standard gegen die Einladung Schwarzers zur universitären Diskussion aus, weil viele ihrer Aussagen fundiert widerleg[t] worden seien. Wer sie einladen will und deshalb von Sprechverbot und Gesinnungsdiktatur „schwadroniert“ (so Frau Unger), der bediene sich einer antifeministischen Diktion und überschreite deshalb die demokratischen und menschenrechtlichen Grenzen der Meinungsfreiheit.
Das ist sicher ein interessanter Zugang, aus dem sich viel darüber lernen lässt, was im Englischen Red Herring heißt, d.h. darüber, wie man etwas beweist, von dem nicht die Rede war, und dann so tut, als hätte man stattdessen die fragliche Behauptung bewiesen. Es geht ja nicht darum, ob die Rechten gern über Sprechverbote winseln, sondern darum, ob, wer „Sprechverbot“ sagt, damit auch schon die Grenzen der Menschenrechte überschreitet (eher nicht, oder?).
Vor alle aber, so Frau Unger in aller Kürze, solle man Frau Schwarzer nicht über Kampagnenführung referieren lassen, weil ihre Position etwa zum Islamismus nicht den Stand der Forschung widerspiegle. Mir scheint im Gegenteil, dass der Erfolg einer Kampagne sich eben nicht daran messen lassen sollte, wie wahr ihre Voraussetzungen sind. Sonst bräuchten wir gar keine Politik.
Vielleicht ist euer Ergebener schon älter, weißer und hodenbehangener, als er selber wahrhaben will. Ich habe aber den Eindruck, wer sich von solchen Argumenten drankriegen lässt, der hätte sich auch dagegen ausgesprochen, Goethe über Poetik sprechen zu lassen, weil seine Farbenlehre ja sowas von überholt ist. Schönes Wochenende!

Freitag, 15. November 2019

Pedanterie

Man kann es auch zu genau nehmen, meine lieben gewissenhaften, aber keineswegs über Gebühr anal fixierten Lesehäschen! Ein schönes Beispiel hat kürzlich, das habt ihr ja alle mitbekommen, der Oberboss von Uber (also der Uberboss, das musste jetzt sein) geliefert. Er bezeichnete es in einem Interview als „ernsten Fehler“, dass Mohammed bin Salman, wie männiglich bekannt, die Zerstückelung des regimekritischen Herrn Khashoggi veranlasst hat. Und wenn jemandem ein Fehler unterlaufen ist, bedeutet das, so der Ubermensch, ja nun nicht automatisch, dass dieser Fehler für alle Zeiten unverziehen bleiben muss. Das gilt gerade auch in der Welt des autonomen Fahrens, wenn zum Beispiel ein unschuldiger Passant unter die autonomen Räder kommt, die sich im konkreten Uberfall saftiger Investitionen seitens des Herrn bin Salman erfreuen.  
Viel erfreulicher, als wenn Leute sich ihre Menschlichkeit abkaufen haben lassen und es dann zuwenig genau nehmen, ist es, wenn sie es ein bisschen zu genau nehmen. So hatte euer Kolumnator kürzlich die Freude, dass in einem Briefing von einer „Geldzuwendung im Wert von 300 Euro“ die Rede war. Das Schöne daran ist natürlich, dass eine Geldzuwendung im Wert von 300 Euro genau 300 Euro entspricht. Es sei denn, dass die Geldzuwendung in Franken, Dollars, Dublonen oder gar jenen Münzen erfolgte, die auf Spanisch „real de a ocho“ heißt, weil eine davon acht Reales wert war, auf Englisch aber den unwiderstehlichen Namen „piece of eight“ trägt.
Weil der wohltätige  Empfängerzweck sich ebenso wie der löbliche Spender in Österreich befindet, ist es aber höchst unwahrscheinlich, dass die Spende selbst in spanischen Silbermünzen aus dem 16. Jahrhundert erfolgte. Mithin bestand die Geldzuwendung im Wert von 300 Euro also vermutlich aus ziemlich genau 300 Euro, so plusminus.
Genau nehmen darf man es auch in der Welt der elektronischen Gadgets. Wenn du dir zum Beispiel ein haushaltstaugliches Projektionsgerät a.k.a. Beamer kaufst, welcher WLAN-fähig und also hervorragend zum Streamen angesagter Serien geeignet ist, und diesem Beamer eine Fernbedienung beiliegt, mit der sich so dies und das fernbedienen lässt, aber eben genau keine Streamingdienst-Apps, dann, finde ich, darf man sich schon fragen, ob man nicht gleich draufschreiben hätte sollen „Smartphone erforderlich“. Schaut man also in die Automobil- oder in die Unterhaltungsbranche oder sonstwohin, es dürfte noch eine Weile dauern, bis die Maschinen so weit sind, gegen uns in den Krieg zu ziehen. Bis dahin müssen wir einander auf gute, alte Weise selber das Leben schwer machen, aber wie gesagt: Da darf man nicht zu streng sein. Wer noch nie seinen Nächsten mit einer Knochensäge bei lebendigem Leibe in seine Einzelteile zerlegt hat, der werfe den ersten Stein! Schönes Wochenende.

Freitag, 8. November 2019

Eine Art smart

Eine von eurem treuen Kolumnator sehr geschätzte Band brachte einst, o vielgeliebte Lesehäschen, eine CD auf den Markt mit dem Titel Modern Life is Rubbish. Man schrieb 1993, und man sieht daran, dass Britpop nicht nur der beste, sondern auch der am weitesten voraus schauende Pop zumindest diesseits von Frank Black ist, weil nie einem Albumtitel mehr Wahrheit innewohnte. Das will einerseits wenig heißen, weil Albumtitel in Form von Aussagesätzen (und also potenziellen Wahrheiten) rar sind, andererseits umso mehr, weil man sich ja erst einmal über so einen Titel drübertrauen muss.  
Das moderne Leben ist also tatsächlich nicht frei von Mülligkeit, was so mancher bejahen müssen wird, der mit einem Teenager seinen Alltag teilt. Denn es macht sich zwar allerorten smartness in Gestalt des sogenannten Internets der Dinge breit, dass es nur so eine Art hat: Wer heutzutage einen Kühlschrank, einen Geschirrspüler oder eine Waschmaschine kauft, muss sich schon aktiv gegen smartness entscheiden, nämlich dagegen, dass die neue Waschmaschine deine Bandbreite anknabbert, während du sie aber weiterhin händisch befüllen und entleeren musst. Dafür kannst du ganz smart per Handy feststellen, ob sie vielleicht gerade läuft, weil sie bereits jemand anderer befüllt und in Gang gesetzt hat (Spoiler Alert: hat keiner gemacht). Dies einerseits.
Andererseits, und ich hoffe, dass ich den hoffentlich gar zahlreichen Nachwuchshäschen jetzt nicht zu nahe trete, aber die Wahrheit ist, wie Ingeborg Bachmann tatsächlich und Michi Spindelegger so ähnlich gesagt hat, dem Menschen zumutbar, also: Andererseits findet in jedem Haushalt mit Teenager eine Gegenbewegung statt, welcher die smartness noch so vieler vernetzter Geräte nicht gewachsen ist. Denn Teenager wissen zwar viel mehr über das Internet als du, aber weniger über die Dinge.
Solange die smarten Internetdinge nämlich nicht selber in den Supermarkt oder zumindest bis zur Wohnungstür gehen können (wenn der Bote klingelt), sind sie wie ein geliebter, aber pflegeabhängiger Verwandter darauf angewiesen, dass Mobilere ihre Wünsche erfüllen und zum Beispiel Geschirr einschlichten, eine Startzeit programmieren oder Milch besorgen.
Teenager sind dafür leider nicht geeignet. In den 80er Jahren war das Bild des armen Stadtkindes verbreitet, dass glaubt, die Milch komme aus dem Supermarkt, weil es nicht weiß, dass sie aus der Kuh kommt. Der durchschnittliche Teenager glaubt, dass Milch im Kühlschrank nachwächst, so wie die antiken Naturforscher einst spekulierten, dass Würmer aus Schlamm entstehen.
Teenager können zwar acht verschiedene Nagellackiertechniken im Schlaf aufsagen, von denen jede komplizierter ist als ein dreigängiges Menü. Trotzdem bleibt ihnen oft der Zusammenhang von Ursache und Wirkung verschlossen: zum Beispiel, dass Wäsche dann in der Waschmaschine landet, wenn sie zuvor den Weg in den Wäschekorb gefunden hat, damit das Waschmaschinenpflegepersonal merkt, dass hier etwas zu waschen sei.
Wenn sich aber die waschbedürftige Kleidung unterm Schreibtisch, hinterm Bett, in der Schultasche oder weißdergeierwo herumwälzt, kapituliert auch die smarteste Waschmaschine. Der Waschmaschinenpfleger hingegen könnte zwar in regelmäßigen Abständen die Wohnung nach Schmutzwäsche absuchen, so wie die Affen einander ja auch lausen, um den sozialen Zusammenhalt zu stärken. Aber irgendwann wird auch der dienstbereiteste Waschmaschinenpfleger smart genug, um vor dem vollen Teenagerkleiderschrank auf die Idee zu kommen, dass das Problem mangelnder Anziehsachen noch nicht so drängend sei, dass man mit der eigenen Wohnung soziale Bindungsspiele spielen müsse.
Schönes Wochenende!

Freitag, 25. Oktober 2019

Laut beim Spaß

Die Sondierungsgespräche sind im Gange, irgendwann wird irgendwas dabei herauskommen. Die spannende Frage ist natürlich, welche Partei sich mit einer Rabiatperle von Jungkanzler zu koalieren getraut, die schon zwei Regierungen gesprengt und es beide Male geschafft hat, den Juniorpartner schlecht aussehen zu lassen. Wäre Sebastian ein Hunterl anstatt einem Bald-wieder-Kanzlerl, dann wäre schon klar, wo man im Spielzeugregal hingreift, wenn man was sucht, womit das Kerlchen sich die Zeit vertreiben kann, bis man wieder heimkommt: Zum Hardcore-Zeug für schwere Kauer, natürlich!
Kürzlich hatte nämlich euer Kolumnatorsparschwein, der Herr Hund, Geburtstag, und es galt ein geeignetes Mitbringsel zu besorgen, andernfalls die Gesichter der Restfamilie sich unerfreulich in die Länge gezogen hätten. Dabei zeigte sich, dass die Hundespielzeugsektion ganz schön upgelevelt hat, wie wir Möchtegerngamer sagen (man kommt einfach zu nix): Früher gab es verknotete Rinderhaut in verschiedenen Größen, ein paar echte Knochen, ein bisschen halblustigen Kunststoff (gerupfte Quietschhühner), das eine oder andere flauschige Ding, aus. Wir leben aber im Zeitalter der Optimierung, zumindest, wenn Optimierung bedeutet, möglichst genau den schwachen Punkt einer Zielgruppe zu identifizieren. Die Kunst ist es nicht mehr, einem Früherhättemangesagteskimoalsoinuit einen Kühlschrank zu verkaufen. Die Kunst besteht vielmehr darin, zu wissen, dass der fragliche Inuit zwar einen Motorschlitten besitzt, aber aus nostalgischen Gründen auch Schlittenhunden Unterschlupf gewährt, die eine Schwäche für Büffelfemur haben.
Deshalb gibt es nicht mehr nur die Zielgruppe „Hund“,  aufgegliedert nach Tonnageklassen des Maulfassungsvermögens, und basta. Es gibt vielmehr die Hardcore-Kauer, die jedes Spielzeug über kurz (nicht lang) zermahlen. Dann gibt es die Gelegeheitskiefler, die man sich charakterlich so vorstellen darf wie jene Zeitgenossen, die zwar regelmäßig rauchen, aber nur unregelmäßig Zigaretten kaufen.
Und dann gibt es noch Hunde, mit ihren Spielzeugen am liebsten kuscheln. Auf den ersten Blick sehr herzig, dann aber erinnert sich die Serienkennerin vielleicht an Wilfred mit einem depressiven Elijah Wood und seinem überaus lebensbejahenden Hund, dargestellt von einem Herrn im Plüschoverall. Letzterer besaß ein Objekt, das man zunächst als Kuscheltier zu bezeichnen geneigt war, bis man vorgeführt bekam, dass Kuscheln nur das Vorspiel zum – nunja, eben zu dem war, was nach dem Vorspiel zu erfolgen pflegt.
Da denkt man sich also schon seinen Teil, wenn man beim Fressnapf vor dem Regal steht. Einen weiteren Teil denkt man sich, wenn man feststellt, dass es die Kuschelobjekte (bleiben wir bei dieser charmanten Fiktion) mit und ohne harten Quietschkern gibt. Nach welchen Gesichtspunkten wählen Herrchen und Frauchen das eine oder andere? Hat hund mehr Spaß mit Geräusch? Falls ja, will man das aber auch hören? Eine schwierige Entscheidung. Sinnend lässt man den Blick weiterschweifen, gestellt vor die Alternativen, dem geliebten Vierbeiner nichts zu missgönnen und also rhythmisches Quietschen in Kauf zu nehmen, oder aber dem Quietscherl zu entsagen auf Kosten maximaler Spiellust. Doch halt! Was ist das? Genau: Es ist ein Kuschelspielzeug mit Ultraschallquietscherl. Volle Dröhnung für das Fellpaket, Ruhe für des Möters (halb Mensch, halb Köter) zweibeinige Hälfte. Ich glaube, dass mit ähnlichen Maßnahmen die Sondierungsgespräche oder der Johnson-Brexit oder das Trumpeltier weit erträglicher würden, wahrscheinlich sogar alle drei. Schönes Wochenende!

Freitag, 18. Oktober 2019

Krank

Man weiß ja, o teure Lesehäschen, was man den Häschen so nachsagt. Daher ist die Möglichkeit nicht von der Hand zu weisen, dass das eine oder andere unter euch vor lauter Flauschigkeit mit dem einen oder andern für noch flauschigeren Häschennachwuchs gesorgt hat. Für diese Betroffenen meldet sich euer Ergebener heute mit einer Einsicht zum Thema Häschenbildung. Über diese wird ja viel geschrieben und geredet. Die Gesamtschule sei sehr wichtig, und die Kleinen sollten auch viel mehr Zeit in der Schule verbringen. Das Image des Lehrberufs gelte es zu heben, denn ein guter Lehrer vermöchte mehr für die Qualität der Ausbildung als die Begrenzung der Klassenhäschenhöchstzahl. Dann gibt es noch die Frage, inwieweit wie viele Schüler die Unterrichtssprache beherrschen, und neben alldem soll man sich auch noch um Kopftücher kümmern. Kurz: Die Schule soll so viel leisten und bekommt dafür so wenig Anerkennung.
Deshalb ein Hurra!, ein Tusch, eine gute Nachricht: Es gibt ein Problem, dass man in der Schule (zumindest in der Schule eures Kolumnatorbalgs) aber sowas von im Griff hat. Nämlich das Problem der Eltern in den Klassen. Es ist nämlich, anders ergibt diese Geschichte keinen Sinn, virulent und schlimm, dass so viele Eltern während des Unterrichts in die Klassen drängen. Warum sollten sie das tun, fragt ihr? Ganz einfach: Um Lernmaterialien für ihre kranken Bälger abzuholen, damit diese sich auf die nächste Schularbeit vorbereiten können, man weiß ja nie, schon hast du Pech und bist bis dahin wieder gesund. Und weil man nicht, wie es in der FPÖ heißt, supernackt bei der Schularbeit einlaufen will, lernt man vorher was. Dafür braucht man das Glumpert, das man nicht mit heim genommen hat, weil man ja nicht gewusst hat, dass man am nächsten Tag krank sein würde.
Aber so einfach ist es natürlich nicht. Denn in der dritten Schulstufe hat man als Gümmler 31 Unterrichtsstunden. Wenn während der Saison ordentlich viele Bälger krank sind – sagen wir fünf pro Woche – dann kommt, wenn man so etwas einreißen lässt, durchschnittlich jeden Tag eine Lehrperson zum Handkuss und muss es sich gefallen lassen, dass in ihrer Stunde ein Elternteil vor der Klassentür steht, sich vielmals entschuldigt und dann während des Unterrichts Schulzeug zusammenrafft. Das kann mehrere Minuten dauern. Wenn es, wie im konkreten Fall, eine Lateinstunde trifft, sind das mehrere Prozent der Wochenunterrichtszeit. Sodom und Gomorrah, wo kämen wir da hin! Deshalb gilt zumindest in dieser Schule folgende Regel: Eltern, die zwar engagiert genug sind, um die Mathesachen ihrer Bälger holen zu wollen, aber nicht so engagiert, dass es ihnen gelänge, das innerhalb eines Zeitfensters von fünf oder fünfzehn (große Pause!) Minuten zu erledigen, zum Beispiel, weil sie zuvor mit dem kranken Balg beim Arzt waren und dieser schamlos überzogen hat – diese Eltern also haben strenggenommen dann die nächste Pause abzuwarten. Nur unter zahlreichen Hinweisen auf die Größe und Bedeutung dieser einmaligen Ausnahme werden sie möglicherweise gnadenhalber vom Sekretariat zur Klasse geleitet, die sie dann vielleicht erst nicht betreten dürfen, in welchem Fall man immer noch hoffen kann, dass der Nachwuchs die Kollegenschaft instruiert hat, sodass diese das fragliche Glumpert dem Sekretariatspersonal übergeben können und der Weg doch nicht umsonst war.
Leider sind viele Elternhäschen mit Arbeitsverhältnissen geschlagen, die es nicht geraten scheinen lassen, das Risiko einzugehen, dass man bis zu einer Dreiviertelstunde in der Aula Däumchen drehen muss. Ich empfehle daher, das elterliche Engagement zurückzuschrauben und eine Bälgerkrankheit im Zweifelsfall bis nach der Schularbeit zu dehnen. Irgendwo wird es schon noch ein bisschen ziepen. Schönes Wochenende!

Freitag, 11. Oktober 2019

Zum Einschlafen


Seid ihr müde, o flauschige Lesehäschen? Verständlich wäre es, ist gar manches unter euch doch schon in den sogenannten mittleren Jahren angekommen. Euer ergebener Kolumnator kennt ein paar Menschen, die das auch von sich sagen müssen. Sie alle eint, dass sie sich ihre mittleren Jahre anders vorgestellt haben, nämlich weniger anstrengend. Deshalb ist es kein Wunder, wenn die langbewimperten Augenlider schwer und schwerer werden! Irgendwann schlaft ihr dann ein.
Was aber ist dann geschehen? Habt ihr dann eingeschlafen? Oder seid ihr eingeschlafen? Diese Fragen wurde an euren Ergebenen allerkürzlichst herangetragen, weshalb ich – Service! Service! Service! – nicht anstehen will, Brauchbares darauf zu erwidern.
Alsdann: Standardsprachlich ist die Antwort eindeutig, und einschlafen bildet Perfekt und Plusquamperfekt mit dem Hilfsverb sein, also bist du eingeschlafen.
In Österreich gilt das aber nicht uneingeschränkt, hier hat man oft eingeschlafen, zumal in jenen Regionen, in denen man schon das ganze Monat nicht einschlafen konnnte anstatt den ganzen Monat. Schließlich hat man auch geschlafen – niemand käme auf die Idee, geschlafen zu sein, warum sollte man also nicht auch eingeschlafen haben?
Antwort: Weil das eine einen Vorgang beschreibt, das andere einen Zustand beziehungsweise das Eintreten eines solchen. Die Regel ist, wie so viele interessante Dinge im Leben, nicht immer zuverlässig, also dreht eurem Kolumnator keinen Strick daraus.
Doch tatsächlich bildet man das Perfekt häufiger mit sein, wenn ein Zustand oder der Übergang zwischen zwei Zuständen zu beschreiben ist: Jemand oder etwas ist aufgewacht, gewachsen, verendet, gestürzt. Danach ist ein neuer Zustand erreicht: Man ist wach, größer, tot oder liegt herum. Sein ist auch für allerlei Wörter zuständig, die mit Bewegung zu tun haben, also dem Übergang von hier nach dort: Ich bin gegangen, geeilt, gefahren, geschlichen und so weiter. Danach bin ich woanders als vorher.
Haben kommt hingegen zum Zug, wenn es um einen Vorgang, eine Tätigkeit geht: Du hast gemalt, gegrübelt, geschlafen, tachiniert, kolumniert oder prokrastiniert. Im Mittelpunkt steht das, was du getan hast. Das führt zu feinen Unterscheidungen wie jener, ob man die Promenade entlanggetänzelt ist, wie unsereiner das gern zwischendurch zu tun pflegt, oder ob man Walzer getanzt hat, nämlich in dem Tanzcafé am Ende der Promenade. Im ersteren Fall geht es um die Ortsveränderung, die Entlang-Bewegung, im letzteren um die Tätigkeit, einen Tanzschritt ordentlich nach dem andern zu machen.
Unscharf – oder umso schärfer – wird die Sache an spezifisch österreichischen Formulierungen. Denn hierzulande ist man, anders als in Deutschland, gesessen, gestanden oder gelegen. Das ist auch recht und billig, denn wenn man herumsteht, tut man ja weiter nichts, während man anscheinend im nördlichen Nachbarland der Ansicht ist, dass Sitzen schon eine Tätigkeit sei. Soviel zum deutschen Fleiß, jaja, so kann man sich täuschen.
Schönes Wochenende!

Freitag, 4. Oktober 2019

Schleimig

Wir haben uns, o vielgeliebte Lesehäschen, ja schon des Öfteren damit befasst, ob etwas „umgangssprachlich“ sei. Doch gibt es immer noch etwas Neues zu lernen, und ich will nicht anstehen, euch eure ohnehin zartrosa strahlenden Schnäuzelchen noch ein bisschen mehr zu polieren, auf dass ihr damit essen könnet, wie auch der Schnabel gewachsen ist. Je nun.
Wir fangen mit einer Rätselfrage an. Wie lautete der folgende Satz, ehe er optimiert, bereinigt und überhaupt salonfähig hergerichtet wurde?
Die ideale Ergänzung zu Ihrem knusprigen Schnitzel ist ein weißer Spritzer.
Auf den ersten Blick könnte man glauben, das hänge von der politischen Ausrichtung ab ab. Die FPÖ-Kernzielgruppe konsumiert vielleicht zum Schnitzel lieber drei Bier, der Grüne statt dem Schnitzel einen Grünkernbratling, aber dafür zwei Spritzer, und so weiter. Aber da habt ihr leider nicht aufgepasst: Der Satz, so wie er dasteht, ist schon der Gute. Wir suchen die mangelhafte Urversion. Wartet nur, gleich wird es euch wie Schuppen von den Augen fallen!
Nämlich hieß der Satz, ehe er kunden- (und ja, auch: kundiger-!) -seits optimiert wurde:
Die ideale Ergänzung zum knusprigen Schnitzel ist ein weißer Spritzer.
Diese Fassung ist aber, so ward euer Ergebener beschieden, „zu umgangssprachlich“. Man muss für solche Erhellungen dankbar sein. Nur zu oft werden ja Texte aus unerfindlichen Gründen geändert. Wie erfrischend ist es doch, wenn der unerfindliche Grund so klar benannt wird! Gleich tun sich neue Möglichkeiten sprachlicher Nuancierung auf. So ist nun klar, dass man von einem Bierzelteinpeitscher vor der Wahlrede des Kandidaten zum Lachen gebracht wird, sodass einem vor lauter Schenkelklopfen der Humpen aus der Hand rutscht und man dann mit einem verdächtigen Fleck im Schritt herumhocken muss.
Der feinsinnige Doyen des Kabarettismus hingegen bringt einen natürlich nicht so ordinär zum Lachen, sondern mit gehobenem Humor zu Ihrem Lachen oder wahrscheinlich zu Ihrem Schmunzeln. Auch passt zum Wurstsemmerl ein Cola, während wir Ihnen zu Ihrem Gruß aus der Küche gern ein Proseccerl kredenzen.
Gerne bestätige ich auch, was sich hoffentlich das eine oder andere Lesehäschen schon gefragt hat: Ja, diese Perle ist auf derselben Austernbank gediehen, von der wir schon gelernt haben,
dass das Wort „vorbereitet“ langweilig ist,
dass das Wort „Geschäftskollegen“ existiert
und dass man „einen Bonus einlösen“ kann.
Noch lieber bestätige ich, dass ich den Vergleich mit der Austernbank nicht zufällig gewählt habe. Denn euer Zweckdichter weilte einst im Orient, genauer gesagt, in Taiwan. Dort ließ es sich ein befreundeter Einheimischer nicht nehmen, ihm eine örtliche Spezialität zwecks Verkostung vorzusetzen, nämlich das unter Kennern gefürchtete Austernomelett. Gefürchtet ist es nicht etwa geschmackshalber (da kann man nicht meckern), sondern ob seiner Konsistenz, weil man nämlich beim Essen nie weiß, ob das Schleimige jetzt Auster oder Ei ist. So kann es einem auch mit Feedback wie dem eben Besprochenen gehen, indem man sich fragt, ob eher eine kognitive oder eher eine charakterliche Schwachstelle dafür verantwortlich war. Schönes Wochenende!

Freitag, 20. September 2019

Haarig

Die Kunst, o vielgeliebte Lesehäschen, ist eine schöne Sache. Das unterscheidet sie von der Politik, die von Haus viel Unerfreuliches mit sich bringt. Umso seltsamer ist es, dass die beiden in den letzten Jahren so peu-a-peu ihre Plätze auf dem moralischen Kompass getauscht zu haben scheinen, soweit es die Perspektive spießig-steuerzahlender Bildungsbürger, wie euer sehr Ergebener einer ist, betrifft.
Früher nämlich war so ein Künstler ein wilder Hund. Vielleicht nicht zwingend ganz so wild wie Benvenuto Cellini, der nach dem Frühstück einem Rivalen das Stilett zwischen die Rippen jagte, ehe er die Saliera schuf oder so ähnlich, aber doch wild genug, um uns Normalos wohlig erschauern zu lassen und wieder unsere Vermutung bestätigt zu sehen, dass Genie und Wahnsinn undsoweiter. Alkohol, Drogen, Frauen, Männer – von allem, was Spaß macht, durfte sich der Künstler (und die Künstlerin, Amy Winehouse, schau oba!) etwas bis deutlich mehr gönnen, als eigentlich gesund und akzeptabel war, denn, wie es in einem wirklich nicht üblen Film mit Mark Wahlberg hieß, He’s a rockstar now, da gelten andere Regeln.
Politiker hingegen hatten gefälligst verheiratet, treu und nüchtern zu sein. Man machte Urlaub zuhause oder höchstens im benachbarten Ausland. Die einzige erlaubte Droge war Schnaps, und das auch nur im Wahlkampf. Finanzielle Exzesse galten keineswegs als vertrauensbildende Maßnahme.
Heute ist es umgekehrt: Künstler haben brav zu sein, sonst fliegen sie aus den Galerien beziehungsweise Playlists. Wer zum falschen Zeitpunkt dem Falschen an den Hintern greift, wird selbst noch nachträglich aus dem Film geschnitten. Denn Kunst hat gefälligst sauber zu sein. (Ausnahme: Wenn der Künstler schon tot, das Kunstwerk aber wertvoll ist, kümmert es keine Sau, ob er ein Schweindi war. Anscheinend geht es nicht darum, reine Gesinnung zu beweisen, sondern normwidriges Verhalten zu bestrafen.)
Politiker hingegen können gar nicht so ungeniert saufen, schnupfen oder prassen, dass sich nicht eine Klientel fände, die sie nicht etwa trotzdem wählt, sondern, wie Hans Rauscher kürzlich vermutet hat, gerade deshalb: Man gibt seine Stimme heute nicht den Leuten, denen man am ehesten die Verwirklichung der eigenen gesellschaftlichen Vision zutraut, sondern jenen, die am ruchlosesten so hinlangen, wie man es selber gerne täte, wenn man denn könnte. Indem man die größten Schufte wählt, die sich finden lassen, holt man sich vorbeugend die Absolution für die Schweinereien, die man irgendwann zu begehen hofft, wenn sich nur eine Gelegenheit dafür findet. Denn „die sind ja auch nicht besser“. Die Vision hat nicht mehr eine bessere Welt zum Inhalt, sondern das Ungeschoren-Davonkommen mit einer größeren persönlichen Bereicherung. Ein 600-Euro-Haarschnitt mag ein Witz sein, er ist aber ein obszöner Herrenwitz der untersten Schublade, wenn sich der fesche Träger jenes Haarschnitts im öffentlich-rechtlichen Fernsehen minutenlang über die Situation von Menschen verbreiten darf, denen er durch eine Pensionserhöhung geholfen zu haben behauptet, die ihnen in vier Jahren eine Gesamtverbesserung im Wert eines solchen Haarschnitts bringt. Wer abends nicht einschlafen kann, der zähle nicht etwa Schafe, sondern male sich aus, was die PR-Maschinerie der ÖVP für einen Festtag gehabt hätte, wäre zu jener Zeit ans Licht gekommen, dass z. B. Christian Kern seinem Coiffeur routinemäßig sechs Hunnis zuzuschieben pflege. Wohlfrisiertes Wochenende!

Freitag, 13. September 2019

Mit Stimmen abstimmen

Wahlkampf ist, o teure Häschen. Ich offeriere diese Information zum Zeichen meiner Serviceorientierung, weil man es sonst fast nicht gemerkt hätte. Das liegt erstens daran, dass die ÖVP sich schon selber nicht mehr auskennt, ob sie jetzt wahlkämpft oder nicht, und zweitens daran, dass alle sehr wohl wahlwerbenden Parteien bis jetzt der Versuchung widerstanden haben, „Stopp dem Sonstnochwas“ zu fordern. Das ist einerseits sehr löblich, andererseits irritierend, weil die ebenso sonderbare wie fragwürdige Formulierung „Stopp dem“ wahrscheinlich in der ganzen 2. Republik die Echtheitspunze jedes ordentlichen Wahlkampfs dargestellt hat. Selbst wenn jemand Elternvertreterstellvertreter in der 3. Volk werden wollte, ging das nicht ohne „Stopp dem Kinder-mit-Auto-in-die-Schule-bring-Wahnsinn“. Glaube ich, meine Erinnerungen an die Elternvertreterstellvertreterwahlen in der 3. Volk sind eher vage.
Wozu überhaupt Wahlkampf? Natürlich, damit man weiß, für wen man stimmen soll. Oder abstimmen? Die Meinungen gehen auseinander. Kürzlich erreichte euren Ergebenen eine einschlägige Korrektur: „Stimmen Sie für Ihren Liebling“ sei zuwenig, das müsse heißen: „Stimmen Sie für Ihren Liebling ab.“ Erfreulich daran ist das Gespür, das die Verantwortlichen fühlen hat lassen, dass hier ein Unterschied bestehe. Betrüblich ist, dass man sich zielsicher für die ungeeignete Version entschieden hat. Denn wenn ich für meinen Lieblingswirten stimme, dann schreibe ich auf einen Bierdeckel seinen Namen, damit er die Wahl zum besten Wirten gewinne. Wenn ich für meinen Lieblingswirten abstimme, dann vertrete ich ihn bei einer Abstimmung. Er hat mir nämlich rechtzeitig eine Vollmacht mitgegeben, damit ich bei der Wahl zum Elternvertreterstellvertreter in der 3. Volk in seinem Namen eine Stimme abgeben kann.
Dieses Amt kann man sich in der Regel mit einem Dutzend ehrlicher Stimmen locker sichern und dann gleich das entsprechende Wunschkennzeichen (W EVSV3) bestellen. Oder mit einem Dutzend ehrlichen Stimmen? Ich bin mir nicht sicher, aber ich glaube, beides. Da hat man die freie Wahl. Denn man bereitet einen Krüglmartini zwar auf jeden Fall mit einer Handvoll grüner Oliven und niemals mit einer Handvoll grünen Oliven. Deshalb scheint es mir auch nicht zulässig, eine Handvoll grüne Oliven (ohne r) hineinzukippen. Was dem Dativ recht ist, muss für den Akkusativ billig sein! Dies einerseits.
Andererseits kann der Cocktailexperte eine Kreation stets nur mit zwei frischen Orangenscheiben bereiten und nicht mit zwei frischer Orangenscheiben, das ist ja klar wie dreifach filtrierter Wodka. Beim Dutzend aber geht beides, glaube ich. Denn Dutzend ist zwar kein Zahlwort, nicht einmal ein unbestimmtes Zahlwort (wie einige, wenige etc.), sondern einfach ein Substantiv, das sich für Mengenangabe verwenden lässt, so wie die Messerspitze oder die Handvoll. In dieser Eigenschaft dürstet es nach dem Genitiv, und zwar nach dem Genitivus partitivus, der ausdrückt, dass man ein feiner Mensch ist: Man nimmt nicht die ganze Hand, sondern nur einen Teil (lateinisch: pars) davon – eine Messerspitze, eine Handvoll, einen Spritzer.
Trotzdem bedeutet das Dutzend eine ganz bestimmte Zahl und kann diese ersetzen. Zahlwörter ihrerseits (nämlich Kardinalzahlen wie drei oder vier im Unterschied zu drittens, achtfach usw.) bleiben bis auf die drei kleinsten undekliniert und regieren keinen bestimmten Fall. Wenn davor mit steht, kommt danach immer der Dativ, mit für immer der Akkusativ, egal ob es um fünf Zwetschken oder um sieben Exminister geht. Deshalb kann man ebensogut mit einem Dutzend angefressenen Weißwählern diskutieren wie mit einem Dutzend angefressener Weißwähler. Es dürfte nicht schwierig sein, sie zu finden. Schönes Wochenende!

Freitag, 6. September 2019

Abholung

Was, ihr seid immer noch hier? Ach liebe Häschen, da macht sich euer Kolumnator jetzt aber Sorgen. Offensichtlich scheitert ihr immer wieder in eurem Streben nach dem höchsten Glück, das man sich heute unter Aufbietung aller Vorstellungskraft auszumalen vermag: „abgeholt“ zu werden. Jemanden „abzuholen“ ist das Äußerste, Beste, Herrlichste, was Kommunikation heute zu leisten vermag.
Das war nicht immer so. Früher galt es den Leser oder Hörer je nach Textsorte zu überzeugen, zu bezaubern, zu verführen, zu interessieren, einzuschüchtern oder zu verschrecken. Nicht selten wollte man ihm etwas erklären, näherbringen, darlegen, unterbreiten, vorschlagen oder auseinandersetzen. Damals hatte man als Empfänger einer Botschaft halt noch jene Art von Auswahl, von der Ex-DDR-Bürger sich Anfang 1990 in deutschen Supermärkten gern überfordern ließen.
Heute: wirst du abgeholt, sonst bleibst du da.
Das wirft natürlich die eine oder andere kitzlige Frage auf, allen voran: Willst du überhaupt hier weg? Denn es ist natürlich ein Drama, wenn du nicht abgeholt wirst. Zum Beispiel, wenn du vier bist und die frühkindliche Pädagogin unauffällig zur Uhr hin schielt, weil es schon 17.30 Uhr ist und deine Mama sich nirgends blicken lässt, und übrigens kriegen es auch kleine Kinder mit, wenn du unauffällig auf die Uhr zu schielen versuchst. Nicht alles im Leben wartet aber aufs Abgeholtwerden wie ein Amazonpaket im 24-Stunden-SB-Bereich.
Wie ist das passiert? In den Nullerjahren (aus heutiger Sicht eine Zeit der Unschuld, aus damaliger eher nicht) wurde gern gefordert, den Leser „dort abzuholen, wo er ist“. Das war natürlich schon ein Käse, denn wenn ausgemacht ist, dass du deinen Haberer vor der Tenne abholst, weil du eine Zweisitzer-Vespa hast und seine Puch einen neuen Auspuff braucht, dann wirst du nicht stundenlang im Gasthof zur Post sitzen und warten, wann er endlich daherkommt. Klar holt man jemanden dort ab, „wo er ist“. Sonst zählt es nicht als „abholen“, sondern höchstens als „verpeilt herumhocken“.
Als wäre das nicht doof genug gewesen, ist abholen jetzt aber echt das Größte. The bee’s knees, wie die Amerikaner sagen. Es heißt nicht mehr das gefällt mir, sondern das holt mich ab. Nicht das spricht mich an, sondern das holt mich ab. Nicht das finde ich gelungen, sondern – ihr wisst schon. Man ist nicht einmal mehr hin und weg, sondern das hat mich total abgeholt. Nur wohin? Ins Land der Begeisterung? Und wenn es dich abgeholt hat, warum bist du immer noch da?
Man könnte sagen, euer Kolumnator hat ein Thema mit dem Wort abholen. Man stößt sich nämlich auch nicht mehr an einem Sachverhalt, etwas bedarf nicht der Klärung oder Optimierung, es gibt nichts mehr, worüber wir reden müssten – nein: wir haben ein Thema. Ein Thema zu haben ist das negative Gegenstück zum abholen. Ein Thema ist nicht etwa interessant oder neu. Wenn wir ein Thema haben, ist das immer schon schlecht. Hätten wir keines, könnten wir stattdessen Candycrush spielen oder uns darüber amüsieren, dass die ÖVP genau dann gehackt worden ist, wenn Unterlagen auftauchen, die ein Fehlverhalten belegen. Die sind dann nicht von der ÖVP, die wurden gefälscht. Statt uns daran zu freuen, haben wir ein Thema, also eine lästige Aufgabe. Erst wenn wir uns um all diese Themen, Themata oder, wie die Leute, die ein Thema haben, gern sagen: Themas, erfolgreich gekümmert haben, dann erreichen wir endlich den Zustand, von dem alle träumen: Wir wurden nicht etwa abgeholt. Nein: Wir fühlen uns abgeholt. Denn das Abgeholtwerden ist etwas derart Euphorisierendes, dass wir danach vor lauter Glück nicht einmal sicher sagen können, ob es uns widerfahren ist. Schönes Wochenende!