Freitag, 18. Dezember 2015

Locker bleiben

Wir haben es, geschätzte Lesehäschen, bald geschafft. Der eine oder andere Punsch noch, oder das eine oder andere Abschlusskonzert, je nach Lebensphase und Gusto. Noch eine Korrekturphase vielleicht, eine Bonus-Idee oder ein letztes Layout. Und dann auf zur Gans, zum Karpfen oder zu den tofuidenten Kalbsbratwürsteln, je nach nach Gusto und geographischer Anlage.
Und doch ärgert man sich vielleicht vorher noch über irgendeinen pitzeligen Menschen. Einen Korinthenkacker wie mich, mit dem man nicht vernünftig reden kann.
Denn, und damit habe ich schon häufig für Unwillen gesorgt, ohne es zu wollen, wir Tüpflescheißer hauen immer auf die Kleinen hin. Wenn uns jemand Gründe für eine Meinung präsentiert, dann suchen wir uns verlässlich den schwächsten aus, um ihn niederzumachen. Das ist sehr ungerecht gegenüber Menschen, die reihenweise vortreffliche Argumente haben, aber irgendwie nicht dazu gekommen sind, das eine nicht so vortreffliche auszusortieren. Sie hätten Besseres verdient als Besserwisser wie mich.
Da war z. B. am Montag die NYT-Beilage des Standard, die sich der „einsamsten Generation“ widmete: Den ca. 150 Millionen junger Chinesen, die infolge der Ein-Kind-Politik als Einzelkinder aufgewachsen sind.
Viele von ihnen werden einsam bleiben, da es infolge geschlechtsspezifischer Abtreibungen einen Überhang von etwa 30 Millionen Männern gibt. Sie sind um ihre Lage sicher nicht zu beneiden. Doch eine Aktivistin erklärte sinngemäß, es sei eine Frechheit, dem Schicksal dieser Junggesellen so viel Raum zu widmen, denn dahinter stünden ja 30 Millionen abgetriebene Mädchen.
Und leider, meine Lesehäschen, denke ich dabei nicht sofort an das bedauernswerte Schicksal dieser Heerscharen, die in einer stark familienorientierten Gesellschaft als Einzelkinder aufwachsen mussten. Ich denke auch nicht daran, wie es den ewigen Junggesellen wohl gehen wird, oder was einst die Mütter empfunden haben, als sie sich zur Abtreibung eines weiblichen Fötus entschlossen, um die Chance auf einen Sohn zu wahren. Als erstes, so ein Mensch bin ich zu meinem Leidwesen, frage ich mich: Waren es nicht nur 15 Millionen? Ich bin mir nicht sicher, weil man die Chronologie ja nicht außer Acht lassen darf (oder?).
Erstaunlich daran ist, dass es Menschen gibt, die noch pedantischer sind, aber auf weniger unsympathische Weise. Wir hatten hieramts kürzlich für einen Kunden Antwortkarten zu gestalten und zu produzieren. Auf der einen Seite ein Bild mit Headline, auf der andern Zeug zum Ausfüllen, fertig. Antwortkarten eben.
Das dazugehörige Konzept sieht dementsprechend eine Vorderseite mit Bild vor, auf der Rückseite Zeug zum Ausfüllen.
Als nun das Layout schon ziemlich weit gediehen ist und die Kundin dieses wieder einmal betrachtet, stellt sie fest, dass die Seiten vertauscht sind. Es müsste doch logischerweise die Seite zum Ausfüllen die Vorderseite sein, und die mit dem Bild die Rückseite. Weil auf einer Antwortkarte das Ausfüllen ja das Wichtigste ist. Sie ersucht uns, diesen Umstand zu berücksichtigen, damit dann am Ende alles passt.
In diesem Sinne: Entspannte Feiertage euch allen!

Freitag, 11. Dezember 2015

Small Data

Weil ihr so aufgeweckte Cyberhäschen seid, habt auch ihr einst so manche Mußeminute damit vertändelt, euch zu fragen, worin eigentlich das Geschäftsmodell von facebook bestehe. Mittlerweile scheint das Rätsel gelöst (Weltherrschaft durch Ersticken jeglicher Gegenwehr mit einer Mischung aus Neid- und Fadesse-Content, der von den Opfern / Usern selbst erstellt wird). Doch lange war es legitim, darüber zu diskutieren, wann und wie die Transsubstantiation von Information in etwas Brauchbares stattfinde. Über Transsubstantiationen weiß man ja in der Regel recht gut Bescheid. In der katholischen Eucharistie beispielsweise lässt sich jener Augenblick wie mit einer Präpariernadel fixieren, in dem das Brot zu Fleisch wird.
Bei facebook war es schwieriger, und für mich ist es gerade ebenso schwierig.
Letztens nämlich war ich mit meinem manchen von euch bekannten Herrn Hund durch die Stadt unterwegs. Wie das schon so ist, der Hund macht sein Ding, markiert gelegentlich, das Herrl ist mit den Gedanken woanders, niemandem wird wehgetan.
Als ich plötzlich von hinten ein eher barsches „Entschuldigen Sie!“ vernahm.
Im Umdrehen sah ich mich einem Herrn gegenüber, der soeben aus einem Bürolokal im Parterre geschossen war. Er erklärte mir, mein Herr Hund habe sein Auto „angepisst“ (so er), und er erwarte von mir, die Besudelung zu beheben.
Nun bin ich schon bekannt harmoniesüchtig. Wenn ich etwas noch mehr bin als harmoniesüchtig, dann ist es feig. Und wenn ich etwas noch mehr bin als feig, dann ist es neugierig. So etwas war mir noch nicht widerfahren. Also erklärte ich mich selbstverständlich zum Reinigungseinsatz bereit. Ich wartete sogar brav, bis der aufgebrachte Herr mit einer Wasserkaraffe und einer Küchenrolle wiederkehrte, und dann wischte ich ebenso brav über den linken vorderen Frontspoiler des beleidigten BMW, freilich ohne dass ein Effekt erkennbar gewesen wäre. Dann verabschiedete ich mich freundlich und ging meiner Wege.
(Kleiner Exkurs: Soweit ich sehe, ist es natürlich unhöflich, seinen Hund einen Frontspoiler anpinkeln zu lassen. Mehr aber auch nicht, denn einem unter normalen Bedingungen benützten Automobil stößt dabei nichts hygienisch Nennenswertes zu, besonders nicht in einer Stadt, in der es auch Tauben und Fiakerpferde gibt. Etwas anderes wäre es natürlich, wenn z. B. eine Dogge en passant den Türgriff abschmeckt.)
Die Frage ist nun, für wen von uns es sich ausgezahlt hat. Denn wenn es darum ging, die Nettourination des Wagens zu beeinflussen, war die kleine Performance natürlich nutzlos. Der Herr Hund hat sich ja nicht über den Spoiler entleert, weil er eine Abneigung gegen bayrische Premiummarken hätte. Er hat diesen nur markiert, wie sichtlich schon fünf andere vor ihm und vermutlich ein Dutzend weitere nach ihm.
Dem Mann bleibt als Gewinn somit nur der zweifellos sehr, sehr schöne, aber auch sehr vergängliche Glücksmoment, der ihm ward, als ein Hundehalter seinen Wagen befeuchtete.
Doch war dieser Glücksmoment nicht gratis. Er hat dafür bezahlt, und weil wir 2015 schreiben, hat er dafür mit Informationen bezahlt.
Denn ich weiß jetzt nicht nur,
wie und wo der Mann sein Geld verdient,
was für ein Auto er fährt
und welches Kennzeichen dieses hat.
Ich weiß selbstverständlich auch, wie er heißt.
Und vor allem weiß ich, dass er ein Mensch ist, den man im Tausch für einen kleinen Triumph um Wasser und Küchenrolle schicken kann.
Die Geschmäcker sind natürlich verschieden.  Aber ich würde so ein Paket an persönlichen Informationen nicht dem nächstbesten Hundehalter in den Schoß werfen. Ich hoffe also, für den Herrn hat es sich gelohnt.
Für mich bleibt die Frage, was ich jetzt mit den Daten anfange. Was würde Mark Zuckerberg tun? Ist es schon Zeit für einen Börsegang?

Freitag, 4. Dezember 2015

Genitalvisagen



Und nun, hochverehrte Lesehäschen, zu etwas ganz anderem.  Mein adventlich gestimmtes Herz denkt an meine frühen Jahre zurück, an Fröschefangen, Prilblumen, Polyesterpullover und Biene Maja am Dienstag nach Am-Dam-Des. Das waren halt die 70er. Waren sie das? Nicht ganz. Da war noch etwas. Da waren, man muss das jetzt so schmucklos hinrotzen, da waren Sackgesichter.
Ich meine das nicht wertend, zumindest nicht moralisch.
Doch als ich kürzlich Gelegenheit hatte, ein Kinderbuch der 70er wieder vorzulesen, war ich doch ziemlich verblüfft. Der Inhalt war für die Zeit Standard – wir müssen viel sorgsamer mit der Natur umgehen, die Entscheidungsträger denken nicht weiter als ihre Nasenspitze, Kinder haben es im Griff. So weit, so gut.
Das Highlight des Buches waren aber die Illustrationen, und wenn ich „Highlight“ sage, dann meine ich es in demselben Sinne, wie H.C. Strache derzeit das Highlight der FPÖ ist.
Der Illustrator nämlich hatte offensichtlich entweder vorher eine Wette verloren, oder aber mit diesem Buch eine Wette gewonnen. Denn er hat sich damals, in den 70ern, dafür entschieden, das Gesicht jeder einzelnen Figur als Skrotum oder, zu Deutsch, Hodensack, darzustellen. Eine Halbsackwange links, eine Halbsackwange rechts, oben Augen, mittig Nase (erstaunlich unanzüglich, muss ich sagen), und untendran das Sahnehäubchen. Denn jede Figur hat auch ein Kinn wie Kirk Douglas bzw., für die Generation Netflix, Ryan Gosling oder Ben Affleck: Ein gespaltenes Kinn, ein Kinn mit Grübchen, ein Kinn, das, wenn man unseren neuen Lieblingsillustrator dranlässt, aussieht wie ein Hodensack.


Kurz: Jede und jeder in diesem Buch hat ein Gesicht wie das Beutelchen für die Familienjuwelen, mit einem ebensolchen kleineren untendran. Und das gendermaingestreamt, ohne Ansehung von Alter und Geschlecht. Hier gibt es NUR Sackgesichter, vom Bürgermeister an die 60 über die Tante unbestimmten Alters bis zu den zehnjährigen Gören, lauter Beidlfressen.
Wie dieses? Man könnte sagen: 70er, eh klar, der Gute war breit wie eine Krot auf einer vielbefahrenen Straße ohne Amphibiensammeleinrichtung. Aber machen wir es uns damit nicht ein bisserl gröbi?
Man könnte auch spekulieren, dass der Illustrator (o.k., ich verrate es jetzt: Johannes Fessl heißt der Mann, oder vielmehr hieß, denn er ist schon vor Längerem verstorben) einfach ein begeisterter Sozialdemokrat war und den späteren Bundeskanzler Fred Sinowatz ehren wollte. Doch erstens konnte sich Sinowatz zahlreicher Vorzüge rühmen, und seine Backen hatten wirklich etwas Skrotales, was ihm reichlich unverdienten Spott eintrug – heute wäre die SPÖ wohl froh um einen derart vernünftigen und integren Proponenten, ungeachtet der Wangengestaltung. Aber ein Grübchen im Kinn besaß er nicht.
Ich aber, geliebte Lesehäschen, ich glaube einfach, der Mann hat die Illustrationen im Advent – nun ja: begangen. Und sein Herz war so übervoll von Vorfreude auf einen richtig großen Sack mit feinen Sachen drin, dass ihm die Säcke einfach so aus dem Stift gekullert sind.
In diesem Sinne: Schönen Advent!

Freitag, 27. November 2015

Für sie und ihn



Liebe Lesehäschen, in den letzten Tagen haben wir gleich zwei Geschenke aus dem Bildungsbereich bekommen. Das erste ist natürlich der Entwurf zur Bildungsreform. Diese enthält mancherlei, wovon man sich fragt, warum es das nicht schon längst gibt, wie zum Beispiel das Mitspracherecht der Schuldirektoren bei der Besetzung offener Lehrerposten in ihrer Schule. Ganz allein dürfen die das natürlich nicht entscheiden, doch haben sie nun immerhin ein Vetorecht betreffend die Vorschläge der übergeordneten Behörde.
Ähnlich revolutionär wirken die verpflichtenden Sprachstartklassen für Kinder mit Deutschschwächen. Ist das super? Wie hat das System eigentlich bisher dafür gesorgt, dass Kinder sprachlich dafür gerüstet waren, dem in der Unterrichtssprache gehaltenen Unterricht folgen zu können?
Das ganz große Packerl liegt aber ein bisschen tiefer unterm Reformbaum versteckt. Denn die Zarteren unter euch wissen das vielleicht nicht. Aber Menschen meiner Generation rechnen stündlich mit der Großen Integrierten Sinnvollen Verwaltungsreform, seit wir mehr oder weniger bewusst am politischen Geschehen teilhaben.  Seit den späten 70ern wird sie uns verheißen, und wir bangen immer wieder, ob es jetzt dann nicht vielleicht doch endlich so weit ist, dass der allerhöchste Ärar (hätte ich jetzt fast geschrieben) den Gürtel administrativ wenigstens ein halbes Loch enger schnallt.
 Jetzt, hochverehrte Lesehäschen, ist es soweit. Denn im Rahmen der Bildungsreform werden die Landesschulräte abgeschafft.
Jawohl, abgeschafft. Mit Stumpf und Stiel.
Freilich nicht ersatzlos. An ihre Stelle treten Bildungsdirektionen. Diese sind mit Landesschulräten in keiner Weise vergleichbar, was man daran erkennt, dass die Bildungsdirektoren zwar von den Landeshauptleuten vorgeschlagen werden, jedoch dem Bildungsministerium unterstehen. Das, Herrschaften, ist gelebter Föderalismus! Ins Auge springt auch, dass die Landeshauptleute stets auch Landeschulratspräsidenten waren. In der Bildungsdirektion ist der Landeshauptmann hingegen nicht mehr Präsident. Also, nicht automatisch.
Ich will mich jetzt nicht zu weit aus dem Fenster lehnen. Aber ich denke, diese Bildungsreform wird der ganz große Wurf, den mir zu erhoffen ich angefangen habe, als mir erstmals Nachricht von der Schwimmkanzlei zuteil ward.
Das zweite Geschenk war, verpackt im Standard vom 17.11., ein Artikel über die Hertha-Firnberg-Schulen. Hertha Firnberg war bekanntlich eine große Sozialdemokratin, deren man sich heute, vielleicht zu Unrecht, vor allem als jener Ministerin erinnert, die Thomas Bernhard bei einer Preisverleihung als Dichterling bezeichnete, wofür dieser ihr natürlich ein angemessenes literarisches Denkmal setzte.
In den nach ihr benannten Schulen legt man allergrößten Wert auf Gendergerechtigkeit. Deshalb gibt es eine Genderbeauftragte, es gibt möglichst gendersensible Lehrer sowie die alljährliche Gendermania, eine Veranstaltungswoche mit Projekten zum Thema Gender Mainstreaming. Damit auch alle mitbekommen, worum es geht, hängt neben der Direktion das Motto „Es zählt das Individuum, die Leistung und das Engagement und nicht das Geschlecht“. Dies ist höchst löblich. Jedoch, meine teuren Lesehäschen: Wie gut stünde es erst einer Bildungseinrichtung an, wäre hier zu lesen „es ZÄHLEN“.
So setzt auch heute schon jede Direktorin ihre Schwerpunkte selbst, auch wenn sie einst Deutsch unterrichtet hat.

Freitag, 20. November 2015

Meine nerveuse Friseuse


Betrüblicherweise, meine mir so teuren Lesehäschen, ist Frau J. nun wirklich verrückt geworden. Ich hatte wie üblich auf dem Friseurstuhl Platz genommen, als sie, die sonst immer von Bosheit aufrecht gehalten und umgetrieben schien wie von einer inneren Sprungfeder, gebeugt herbeischlurfte. Grüßte mit leiser Stimme, hustete diskret. „Sind’S leicht erkältet?“ fragte ich höflich, und ward beschieden: „Nein, ich habe ein – Problem.“ Nämlich, so verriet sie sotto voce, „mit der Mafia“. Ich, mezzoforte: „Mit der MAFIA?“. – „Psssst!“

Danach entrollte sie in stark ungarisch gefärbter, flüssiger Rede ein wirres Panorama, an dem Hieronymus Bosch seine Freude gehabt hätte: Mit dem Russen habe alles angefangen. Der Russe hatte ein Geschäft drei Häuser weiter, in dem er angeblich – angeblich! – Autoteile verhandelte. Weil erstens: Autoteile kann man doch nicht einfach so verkaufen, die kriegt man doch in der Werkstatt. Und zweitens: Der  war ja nie da, der Russe. Ein reines Scheingeschäft. Überhaupt, so Frau J., sei sie die einzige Geschäftsfrau weitum, die tatsächlich arbeite, sonst nur Scheingeschäfte ausschließlich. Ursach dessen ist natürlich die seit Jahren aufs Betrüblichste irregeleitete österreichische Politik, die jeden kriminellen Zuwanderer mit offenen Armen willkommen heißt, zum Schaden der leider allzu wenigen gesetzestreuen Geschäftsfrauen und –männer. Aber weiter: Die rechtschaffene Frau J. habe den Russen, so sie, „angezeigt“, und jetzt ist da kein Russe mehr mit Scheingeschäft. Doch so leicht wird man so einen nicht los. Denn „die Russenmafia“ steckt ja mit „den Zigeunern“ unter einer Decke. Deshalb leidet Frau J. seit Monaten an Atembeschwerden. Da liegt so ein Schleier in der Luft, bei ihr zuhause. Zuerst hat sie auf Motten getippt „Männer“ kommen lassen, damit die „die Wohnung ausspritzen“. Die Männer aber stecken ihr ein Licht auf: Diese kleinen schwarzen Punkterln, die da am Boden wuseln, das seien keine Motten. Zigeuner seien darauf spezialisiert, so etwas mit Schläuchen bei den Tür- und Fensterdichtungen einzuleiten, um missliebige Bewohner zu vergraulen. Was die Punkterln seien?

Na Elektrosmog.

Grundsätzlich, so klagte Frau J. mehrfach, sei alles nicht nur sehr belastend für sie, sondern auch sehr schwierig. Weil ihr ja keiner glaubt. In Österreich is sowas nemlich ein sehr seltener Fall. Im Ostblock ist das anders. Und mit dem durch Schläuche an den Dichtungen vorbeigeleiteten Elektrosmog ist es ja nicht getan. Sie wies mir klagend eine offene Stelle am Zeigefinger: Da habe sie gestern ihren Flüssigseifenspender bedient. Jemand habe offenbar etwas Ätzendes auf den Drücker geschmiert. Und kürzlich habe sie Weißwäsche gewaschen – alles voller roter Flecken! Weil jemand Farbe unter ihr Waschmittel gemischt hat, um sie psychisch fertigzumachen.

Ob sie schon beim Arzt gewesen sei? Natürlich nicht, schließlich muss sie ihr Geschäft erhalten und kann nicht ständig wegrennen.

Warum diese Verbrecher überhaupt auf ihr Geschäftslokal scharf sind? Das ist es ja, man kriegt ja keine Auskunft!

Kurz: Es ist alles sehr schrecklich, wegen der – psst! – Russenmafia. Und überhaupt.

Dazu, o meine mitfühlenden Lesehäschen, vergesst bitte nicht, dass mir die Frau J. während ihrer ganzen traurigen Tirade die Haare geschnitten hat.

Damit bin ich bei der Kernfrage des heutigen Tages: Kann eines von euch mir einen kundigen Coiffeur oder gerne auch eine Coiffeuse empfehlen, die die Hoffnung aufs Reichwerden aufgegeben hat? Denn die Frau J. lasse ich nicht mehr mit scharfen Werkzeugen in meine Nähe. Lieber fünf Minuten feig als ein Leben lang tot.

Freitag, 13. November 2015

Kohlendioxid

Das Rad des Schicksals, geliebte Lesehäschen, dreht sich unaufhaltsam immer weiter. Wer heute grinsend oben sitzt, wird morgen unten jammern. Haben vor einem Jahr die TDI-Fahrer über Prius-Käufer nur müde gelächelt, so bietet sich heute eine Wette darauf an, wie lange es dauert, bis Volkswagen Nokia geworden ist. Und alles wegen dem blöden Kohlendioxid! Damit, meine hochverehrten Lesehäschen, sind wir beim Thema Hygiene und der Frage: Ob das Skandalwagen-Kohlendioxid überhaupt zu Buche schlägt, im Vergleich zum Ausstoß, der durch weibliche Badegewohnheiten entsteht.
Wie bitte? Also: Wie fast jeder, so beziehe auch ich mein Wissen (bzw. das, was ich dafür halte) über die Welt und die Menschen in ihr meistenteils aus Hollywoodfilmen. Das bedeutet in erster Linie: Falls mal jemand ein Sturmgewehr auf mich richtet, verstecke ich mich blitzartig hinter einer Autotür. Passt, oder?
Außerdem bade ich selten. Denn so ist das in Hollywood: Männer baden höchstens im Western, und dann tun sie in Wirklichkeit nur so, weil ja der Revolver nicht nass werden darf. Frauen baden hingegen ständig, und zwar bei Kerzenschein. Sie haben meist eine Kombitherme, denn es dauert eine ganze Weile, bis das Badewasser eingelaufen ist. Diese Zeit nutzen Filmfrauen, um im Bad Kerzen anzuzünden. Ungeklärt bleibt, ob diese irgendwie befestigt sind. Sie stehen nämlich immer einfach so herum, ohne Kerzenhalter. Kleben Filmfrauen die Kerzen mit Wachs auf glatte Oberflächen? Das wird nachher aber eine ganz schöne Schweinerei. Wahrscheinlich haben die auch immer eine Perle, die das Wachs mit Bügeleisen und Löschpapier wegfriemelt.
Doch das soll nicht unser Problem sein. Vielmehr beschäftigt mich eine andere Frage: Bis so eine Filmbadewanne halbwegs vollgelaufen ist, dauert es mindestens eine Viertelstunde (eher zwanzig Minuten, die nehmen ja immer so viel Wasser). In dieser Zeit kann man mit etwas Übung locker 50 Kerzen anzünden und platzieren, was ungefähr der filmischen Realität entspricht. Und jetzt die Kernfrage:
Was bedeutet das für den CO2-Ausstoß?
Ein Teelicht verpupst, so habe ich herausgefunden, etwa zehn Gramm CO2 pro Stunde. Die gängige Hollywood-Badezimmerbeleuchtungskerze ist aber weit dicker und heller. Ich würde sagen, wir dürfen ruhig vom doppelten Ausstoß ausgehen. Wie lange dauert ein Hollywoodbad? Nehmen wir eine Stunde, das ist leicht zu rechnen und dürfte ungefähr hinkommen, außer in Slasherfilmen, aber da hat man sowieso andere Probleme als Kohlendioxid.
So kommen wir bei 50 Kerzen zu einem Ausstoß von 1 kg CO2 im Verlauf eines gemütlichen Wannenbads. Das klingt zunächst nach viel. Doch wer mit einem Kilo CO2 auf zehn Kilometer auskommen will, muss sich schon einen Prius anlachen.
Entwarnung also, verehrte Damen, liebe Mädchen, geschätzte Frauen und alle anderen kerzenbadaffinen Genders: Macht ruhig so weiter. Nur eure Kerzen, die räumt ihr danach bitte selber weg.

Freitag, 6. November 2015

Wetten, dass?

Wie ihr, meine genussverliebten Lesehäschen, bestimmt mitbekommen habt, hat die WHO Schinken und Wurst als krebserregend eingestuft und rät daher den Konsum entsprechend einzuschränken. Das bringt uns nahtlos zu der Frage: Ob damit Kohle zu machen ist?
Konkret: Wie sicher ist eine Wette auf deinen eigenen Darmkrebs, wenn du entsprechend viel Wurstwaren einschneidest?
Die WHO stützt ihre Empfehlung auf eine Metastudie, die, so kann keine Zeitung zu berichten umhin, von „22 Experten“ erstellt wurde. Nebenbei bemerkt, ist dies ein schönes Beispiel dafür, warum „Experte“ so ein Super-Wort ist. Zum Beispiel hat jeder von uns schon mit Produkten zu tun gehabt, die Experten konstruiert hatten. Leider waren es halt manchmal keine Experten für Produktdesign, sondern für Hundeerziehung, Steuererklärung oder Bierdosen-von-unten-leertrinken-wenn-man-dort-ein-zweites-Loch-reinmacht.
So. Also Experten haben herausgefunden. Schade, dass es keine amerikanischen Experten waren. Ich will ja nicht unterstellen, dass die Schlüsse, zu denen sie in ihrer Metastudie gelangen, nicht stichhaltig seien. Obwohl es nicht die erste Metastudie wäre, die im Fazit einen Scheck ausstellt, den die Daten nicht decken.
Doch wie gesagt, darum geht es mir nicht. Vielmehr, meine hochverehrten Lesehäschen, wollen wir ja mit unserem Darmkrebs eine Wette gewinnen. Entscheidend ist daher der immer wieder zitierte Hinweis, „dass das Darmkrebsrisiko je 50 Gramm verarbeitetes Fleisch am Tag um 18 Prozent steigt“. Dies scheint mir gute Literatur zu sein, in dem Sinne, dass der Satz entschieden interessantere Fragen aufwirft als er Antworten liefert.
Nämlich erstens: Was bedeutet „am Tag“? Ist damit der große Schnitt gemeint, d.h. wenn ich von Montag bis Samstag den Wurstzölibat einhalte, aber am Sonntag mit der Kalbspariser in der Früh nicht spare, mir vorher noch gebratenen Speck reinpfeife und am Abend ein Burenheidl verzwicke, was unterm Strich auf locker 35 Deka hinausläuft, dann ist das darmkrebstechnisch gleichbedeutend mit einem Mädchenwurstsemmerl an jedem Wochentag? Oder ist hier ein Handicap einzukalkulieren? Und wenn ja, haut dann der geballte Konsum dramatischer rein, oder muss der Pegelwurstesser eher dran glauben?
Zweitens, weil wir gerade dabei waren: Ist Speck jetzt krebserregend oder nicht? Der Artikel spricht von „verarbeitetem Fleisch“ und nennt als Beispiele für Verarbeitungsmethoden Räuchern oder Pökeln, womit Speck definitiv auf der Shitlist steht. Und noch wichtiger: Vorher oder nachher? Denn wie wir Freunde des gepflegten Frühstücksspecks wissen, ist ein halbes Kilo, das man vom Spar heimträgt, kein halbes Kilo mehr, wenn es knusprig auf dem Teller liegt. Ich habe das noch nie nachgeprüft, aber ich schätze, dass von dem halben Kilo keine zwanzig Deka übrigbleiben.
Drittens, wichtigstens und verwirrendstens: Sind das Prozente oder Prozentpunkte? Wenn es Prozentpunkte sind, dann bist du aus dem Schneider: Du trägst deine Ersparnisse zu bwin, isst täglich 278 Gramm Wurst, und dann brauchst du nur noch abzuwarten. Dein Darmkrebs kommt mit 100-prozentiger Sicherheit (weil 278:50=5,56 und 18x5,56=100,08), und dann kassierst du ab. 28 Deka Wurst und Schinken pro Tag sind sicher kein Lercherl, aber machbar. Eine Käsekrainer z. B. wiegt je nach Format mindestens 100 Gramm, und eine Käsekrainer ist ja noch keine Mahlzeit.
Wenn es hingegen wirklich, wie der Satz nahelegt, Prozente sind, wird es komplizierter, weil wir dann ja in die Zinseszinsrechnung kommen. Soll heißen: Die ersten 50 Gramm erhöhen das Darmkrebsrisiko von 0 auf 18 Prozent. Die nächsten 50 Gramm bringen aber nicht 18 Prozent, sondern nur 18 Prozent von 18 Prozent, d.h. 3,24 Prozentpunkte. Die dritten 50 Gramm bringen 18 Prozent von 21,24 Prozent, und so weiter. Erst mit über 600 Gramm pro Tag kommt man in die Gewinnzone, und 600 Gramm pro Tag JEDEN TAG sind nun wirklich nur noch etwas für Spezialisten. Falls es sich also tatsächlich um Prozente handelt, ist es in der Praxis unmöglich, sich einen halbwegs gesicherten Darmkrebs herbeizuessen und so bwin in den Ruin zu treiben. 
Ich hoffe damit gedient zu haben. Im Übrigen fordere ich, dass nur Reinzeichnungen mit vollständig ausgefülltem Reinzeichnungskleber die Agentur in Richtung Fulfillment verlassen.

Freitag, 30. Oktober 2015

Groß- und Kleinschreibung reloaded



Ich hatte ja schon hin und wieder Veranlassung, mich hieramts über die Problematik korrekten Genderns zu verbreiten – an dieser Stelle geht auch ein großes Dankeschön an Herrn Flo für seine selbstlose Unterstützung beim von mir vorgeschlagenen Porno-Forschungsprojekt! Nicht selten, o meine geliebten Lesehäschen, habe ich dabei ein bisschen neidisch ins Englische hinübergeschielt, wo man es diesbezüglich ja viel leichter hat, wenn man sich nicht gerade in den Kopf setzt, dass „womyn“ klüger sei als „women“, damit die Männer sich nicht zu breit machen.


Doch ach!, die Englischsprecherinnen wissen nicht, wie gut sie es haben. Beziehungsweise sticht sie der Hafer. Zwar bleibt ihnen viel Genderheckmeck erspart, doch können sie zum Ausgleich vom Rassismusunfug nicht genug kriegen, so scheint es. Stolperte ich doch kürzlich über einen lesenswerten Artikel, dessen Autor eine keinesfalls lesenswerte Schrulle pflegt: Er schreibt, wenn er von Bevölkerungsgruppen schreibt, „Black“ stets groß. Dagegen allein wäre ja nichts einzuwenden, wir hier schreiben ja so allerlei groß. Er schreibt aber auch „white“ konsequent klein. Also zum Beispiel „Black teenagers“, aber „white residents“.


Das, Herrschaften, klappt so nicht, finde ich.

Ich habe dann eine Runde gegooglet und gelernt,

dass „Black“ häufig so geschrieben wird, wenn es eben um die Rasse geht,

dass die National Urban Coalition 1988 empfohlen hat, „African American“ zu sagen und zu schreiben anstatt „black“, was bis dahin der korrekte Terminus du jour war, 
und so weiter und so fort.

Weiters habe ich gelernt, dass schon andere vor mir draufgekommen sind, wie merkwürdig es wirkt, wenn man in ein und demselben Text Black, aber white schreibt. Diejenigen, die das tun, haben natürlich einen guten Grund dafür: meine alte Freundin, die Political Correctness. Nämlich schreiben sie Black nicht etwa, um kundzutun, dass es hier wirklich um Menschen geht (was ja im Kontext klar sein sollte und in der englischen Sprache sonst auch funktioniert). Aber warum denn dann? Weil es um eine Rassenfrage geht? 
Richtig, aber dann müssten sie ja white auch groß schreiben, nä?

Nur können sie white leider nicht groß schreiben, oder trauen sich zumindest nicht. Weil warum? Weil ihnen die White Supremacists (Hackfressen, die sich für was Besseres halten, weil weiß) ihnen dabei zuvorgekommen sind. Und wer Black schreibt, will sich nicht dem Verdacht aussetzen, White aus fragwürdigen Gründen zu schreiben und schreibt deshalb lieber gleich white.

Also zusammengefasst: Es gibt Leute, die Black groß schreiben, weil ihnen diese Frage wichtig ist, die sich aber von weißen Arschlöchern das Recht nehmen lassen, White ebenfalls groß zu schreiben, weil die Grammatik zwar farbenblind sein sollte, aber halt nicht so richtig, weil schlechtes Gewissen des Schreibenden. Alles klar, ich nehme doch lieber die Gender-Zores.

Freitag, 23. Oktober 2015

Wer die Wahl hatte

Jetzt ist das Agenturwochenende auch schon wieder fast zwei Wochen her. Wie ich höre, war es eine denkwürdige und überaus gelungene Veranstaltung, von der auch die allermeisten wieder dienstfähig zurückgekehrt sind, und bei den andern kann man sich ja eh denken. Leider musste euer Kolumnator als Animateur für Geburtstagsprinzessinnen glänzen. Aber nächstes Jahr bin ich hoffentlich wieder mit bei der Agentursause, da müsst ihr halt auf die Verantwortlichen einwirken, dass das entsprechend terminisiert wird.
Deshalb sind wir aber nicht hier, meine lieben Lesehäschen. Denn die Wahl ist zwar schon genau so lange her wie das Agenturwochenende, doch zieht sie längere Folgen nach sich. In diesem Zusammenhang stellen sich manche die Frage, wo die Stracheaner sind. Zwar handelt es sich nur um zwanzig Prozent, das ist dann jeder Fünfte in der U-Bahn, und wahrscheinlich derjenige, der nicht etwa Heute liest (das ist ja auch unmöglich), sondern das ÖKM, das er seinem Nachbarn aus dem Briefkasten gefladert hat, wobei der Nachbar ja total nett ist, und das ÖKM (Österreichisches Kongressmagazin, da schaltet immer unser Kunde ACV) ist ja auch nichts Schlimmes, aber halt speziell. 

Was uns wieder zu der Frage bringt, wo der Fünfte ist, der Stracheaner.

Nun denn: Wo ich herkomme, frönt man, wie jeder wissen sollte, dem Jass. Jassen ist ein Kartenspiel, das den meisten anderen Kartenspielen in fast jeder Hinsicht überlegen ist, und nicht nur anderen Kartenspielen, auch mir, und da bin ich nicht der Einzige. Kartenspiele haben ja oft den Nachteil, dass man möglichst imstande sein sollte, von den ausgespielten Karten darauf zu schließen, was die Mitspieler noch so in der Hand haben. Nicht jedem ist das gegeben, oder, wie mein Großonkel Johann tröstend zu sagen pflegte, wenn sein Partner wieder „an Soch“ (ugs: einen Schas) zusammengespielt hatte: „Mach dir nichts draus, in Afrika gibt es ganze Völkerschaften, die auch nicht jassen können!“
Gejasst wird in Vorarlberg mit einfachdeutschen Karten. Diese ähneln den gängigen Schnapskarten, doch ist der Bildinhalt jeder Karte nur einmal zu sehen, anstatt einmal so rum und einmal andersrum. Das Bild auf dem Schellen-As stellt eine borstige Sau mit Ringelschwanz dar. Die Asse werden deshalb beim Jassen nicht Asse genannt, sondern Sauen.

Weil aber ein Spiel immer auch Leben ist, haben die Sauen vom Jassen eine Vorarlberger Lebensweisheit in die Welt gebracht, die über den Kartentisch hinausweist:

„I jedem Gschpiel git as Sua, sagt man: Nicht nur beim Jassen, sondern überall gibt es Schweine, seien sie nun borstig, blöd oder dreckig. Ein Trottel findet sich immer. Trösten wir uns aber: Gejasst wird in der Regel zu viert, und der fünfte kann sich höchstens beim Getränkenachschub nützlich machen.

Freitag, 9. Oktober 2015

Aus der Mitte entspringt ein Fluss von Plattheiten


Ach meine lieben Lesehäschen, nichts ist von Dauer! Da hatten wir doch einmal die schöne Rubrik Feedback der Woche, und schon ist sie in die Was-wurde-eigentlich-aus-Liga abgerutscht, wo sie sich mit Tony Wegas und der Zielstrebigkeit der Grünen ein Proseckerl reinpfeifen kann, und das schon um zehn in der Früh, skandalös.

Aber so schnell geht es nicht. Hin und wieder blüht uns Denkwürdiges, dass wir an uns halten müssen, um nicht laut herauszuplatzen. Und dann gibt es wieder Momente, in denen wir uns eingeladen fühlen, doch wieder einmal die großen Philosophen aus dem oberen Regal zu kramen. Woher kommen wir, wohin gehen wir? Besteht überhaupt ein Unterschied zwischen Kommen und Gehen? Oder ist im Leben, wie im Fußball, nach dem Spiel vor dem Spiel? Teilte der Kunde doch mit:

„bitte als Conclusio hervorheben. --> das ist das Ergebnis bzw. die Herleitung.“

Je nun. Die Conclusio ist allerdings so was wie das Ergebnis. Doch ist das Ergebnis auch die Herleitung? Oder entspricht die Herleitung eher der Conclusio? Die Versuchung ist groß, sich in Plattheiten zu verlieren. Doch der Weg ist nicht das Ziel. Wer dem widersprechen will, glaubt wahrscheinlich auch noch, das Ideen die Währung der Werbung seien. Die Wirklichkeit hat angerufen: Währung ist die Währung der Werbung, und daran ist nichts Schlechtes.
Doch wir schweifen ab.

Lassen wir den Kundeninput auf uns wirken. Schlürfen wir ein Schalerl Chai dazu. Visualisieren wir unsere Chakren der Reihe nach. Geben wir uns dem semantischen Schillern hin. Tut es mir gleich, und ihr werdet sehen: Ohne Herleitung kann es kein Ergebnis geben, noch eine Conclusio. Wie der Käfer zuvor Larve gewesen sein muss, so die Conclusio Herleitung. Und wer wollte behaupten, dass der Käfer als Individuum nicht mit dem gewesenen Engerling identisch ist? So zeigt uns Mutter Natur: Ja, dieses „bzw.“ ist mehr als berechtigt. Es ist selbstverständlich.

Danke, Mama.

Freitag, 2. Oktober 2015

Haltet ein!


Werte Lesehäschen, Wahlkampf ist. Woran ich das erkannt habe?

Richtig: Am Stopp. Ohne wenigstens eine Aufforderung, einem Dativ Einhalt zu gebieten, wäre hierzulande kein Wahlkampf komplett. Die Wahlkampfheadlinetexter wollen mitteilen, dass ihr Kandidat bereit ist, etwas Unerfreuliches aufzuhalten. Und weil sie auf dem Weg in die Wahlkampfzentrale an der Kreuzung halten mussten, schreiben sie „Stopp“. Schließlich hat das Stoppschild auch ihrem Fortkommen Einhalt geboten. Man muss das verstehen: In den Zentralen summt und brummt es, Entscheidungen werden getroffen, Praktikanten legen den Grundstein für eine Zukunft voller Karriere, Weltverbesserung und Aufwandsentschädigungen. Zuckerln werden gewickelt, Pressekonferenzen geplant, Reden geschrieben, Härchen gezupft. Niemand hat Zeit, einen zweiten Blick auf die Wahlwerbemittel zu verschwenden.

Diesmal ist es die ÖVP Wien, die uns mit mit Dreiecksständern erfreut, auf denen in dicken Lettern steht:

Stopp den Autofahrer-
Schikanen.

Der Zeilenumbruch verleiht der Sache natürlich besondere Pikanterie, aber auch so wirft die Headline etliche Fragen an den ÖVP-Spitzenkandidaten, Herrn Juraczka, und seinen Stab auf. Die drängendste  - wir sind ja in Wien – lautet: 
„Seit wann samma per Du?“ 
Denn eigentlich müsste es ja heißen „Stoppen Sie den Autofahrer-Schikanen“, oder?
Und wer ist der Herr Schikanen. Ist er wirklich ein dermaßen schlechter Autofahrer, dass er es sich verdient hat, auf diese Weise an den Pranger gestellt  zu werden?
Doch halt: Da gibt es ja einen Bindestrich. Es handelt sich offenbar nicht um einen Autofahrer namens „Schikanen“, sondern um etwas namens „Autofahrer-Schikan“, das da gestoppt werden soll.
Auch nicht? Eh nicht. Die Wurzel der Probleme liegt im „Stopp“. Wie viele Kampagnen hat es nicht schon verunstaltet, weil so schwer zu klären ist, was dieses Stopp für ein Viehzeug sei!
Denn offenbar ist es kein Imperativ, dem der Apostroph (fürs fehlende e am Schluss) abhanden gekommen ist. Imperative funktionieren nämlich nicht so. Vielmehr müsste etwa dastehen „Stopp, Autofahrer-Schikanen!“.
Aber was ist das Ding dann? Etwas Merkwürdiges, so viel steht fest. Eventuell wird „Stopp“ hier als Substantiv gebraucht, aber nicht im üblichen Sinne von „Zwischenhalt“, „Fahrtunterbrechung“, sondern als Synonym von „Einhalt“. Dazu verlockt der vom „Stopp“ anscheinend regierte Dativ – man gebietet dem Dativ (dir, den Flüchtlingen, dem Alkoholmissbrauch) Einhalt, also wird „Stopp“ wohl auch den Dativ verlangen.

Hier stoßen wir alsbald auf zwei Probleme. Erstens sind Einhalt und Stopp wohl bedeutungsverwandt, aber noch lange nicht synonym. Zweitens hängt der Fall in dem Feedbackstrom Einhalt gebieten in Wahrheit nicht vom Einhalt ab, sondern vom gebieten: Ich gebiete dir, die Kundenkorrekturen umzusetzen, wie fragwürdig sie auch sein mögen.
Ein Substantiv ist dieser Stopp also nicht. Vielleicht eine Interjektion? Nach heutigem Verständnis kommt das nicht in Frage, aber Johann Christian August Heyse unterscheidet in seinem Ausführlichen Lehrbuch der deutschen Sprache von den heute noch gängigen „eigentlichen“ Interjektionen die „uneigentlichen“.
Erstere, wie O!, Hurra!, Autsch! haben mit Fällen nichts am Hut. Sie bilden selbst keine und verlangen auch keine von anderen, sind überhaupt sehr genügsam und leben von einem Wurstbrot täglich wie der burgenländische Museumsaufseher bei Thomas Bernhard.
Den „uneigentlichen Interjektionen“, so Heyse, kann zwar ein bestimmter Fall anhängen, wie bei Heil oder Wohl (dir). Heyse besteht aber darauf, dass dies durch das mitzudenkende, hier nur nicht ausgesprochene sei gerechtfertigt ist – Heil sei dem verständnisvollen Kunden. Damit ist auch offensichtlich, auf die dünnem Eis sich bewegt, wer hier von Interjektionen sprechen will.
Fazit: So geht das nicht weiter. Das Stoppschild ist nicht mit dem aufgedruckten Wort identisch. Da gibt es nur eine Lösung: Schluss mit diesem Stopp, Weg damit, Kein Stopp mehr. Die Verwirrung ist an Kreuzungen und Wahlurnen so schon groß genug.

Freitag, 25. September 2015

Zum Untergang verurteilt

Vor einer Weile habe ich mich darüber ausgelassen, dass das Geschwätz über Qualität in der Schulausbildung nichts ist als eben Geschwätz.
Das Geschwätz ist bald konkreter geworden: Frau Bundesministerin Heinisch-Hosek hat (in ungewohnt erdiger Sprache) ihre Zukunftsvision der Bildung verkündet. Die Kinder werden von Montag bis Freitag jeweils zwölf Stunden (7-19 Uhr) in der Schule verbringen, dort tolle Dinge erleben, ihr Sozialleben absolvieren und so weiter und so fort.
Nun könnte ich mich darüber verbreiten, wie erstrebenswert und sinnvoll es ist, Achtjährige sechzig Stunden pro Woche in der Schule zu kasernieren, und wie toll es für Eltern mit urbanen Arbeitszeiten ist, ihre Kinder um sieben Uhr dort abzugeben. Es ist aber völlig unerheblich, was die Frau Bundesministerin Heinisch-„Männer gehen nur zwecks Selbstverwirklichung in Elternteilzeit“-Hosek da absondert.
Warum? Merkt auf, meine Lesehäschen. Hier kommt ein Leckerbissen für Freunde der fortgeschrittenen Bürokratie.
In der dritten Volksschulklasse ist Schwimmunterricht in Wien Pflicht, und zwar im Ausmaß von acht Einheiten á 35 Minuten. Dafür müssen die Schulklasse, das öffentliche Bad und die Schwimmlehrerinnen unter einen Hut gebracht werden. Man könnte glauben, dass sich das betreffende Schulsekretariat dessen unterwindet, aber nein:
Dafür gibt es in Wien die „Kanzlei Schulschwimmen“. I shit you not. Personifiziert wird sie durch eine Frau Elisabeth Kellner. Ihr liegt es ob, die Schwimmkurstermine der dritten Wiener Volksschulklassen zu organisieren.

Keine leichte Aufgabe, wie sich zeigt, denn Frau Kellner gibt der Klasse 3b der Volksschule in der Wiedner Haupstraße 82 Termine immer donnerstags im Theresienbad, zwölfter Hieb, 8.20 Uhr am Beckenrand.

Nun benötigt man laut Wiener Linien für den Weg 22 Minuten, mit Fußwegen und Umsteigen. Jedoch ohne Wegzeit vom Klassenzimmer über die Garderobe bis zum Schultor und ohne  Zeit fürs Umziehen im Bad. Unterrichtsbeginn ist bekanntlich um acht Uhr. Kurz: Das geht sich nicht aus.

Die Lehrerin ärgert sich und ersucht die Schulsekretärin, in der Schwimmkanzlei anzurufen. Die Sekretärin erhält dort die Auskunft, das lasse sich jetzt nicht mehr ändern.
Die Lehrerin ärgert sich noch mehr und wendet sich an die Direktorin, die ihrerseits die Schwimmkanzlei anruft und mitteilt, das gehe sich nicht aus. Die Schwimmkanzlei erklärt, die Einteilung sei bereits abgeschlossen und lasse sich jetzt nicht mehr ändern. Auch deshalb nicht, weil die Schwimmlehrerinnen jeweils nach zwei Einheiten á 35 Minuten eine 35-minütige Pause einhalten müssen. Die Direktorin und die Lehrerin finden das großartig.
Die Lehrerin, nun schon recht erbost, teilt der Schwimmkanzlei mit, dann gehe sie eben nicht mit ihrer dritten Klasse schwimmen, denn es gehe sich eben nicht aus, und es sei weder für die Eltern noch für sie selbst als Mutter zweier Kinder zumutbar, an jedem Schwimmdonnerstag bereits um 7.30 in der Schule zu sein.
Es folgt ein Bahöö, denn es ist ja Vorschrift!, dass dritte Volksschulklassen in Wien acht Einheiten Schwimmunterricht genießen (auch wenn, wie im konkreten Fall, die ganze Klasse schwimmen kann).  Die Schwimmkanzlei setzt alle, wirklich alle Hebel in Bewegung und findet einen Ausweichtermin:

Um 9.20 Uhr. Am Beckenrand. Im Hütteldorfer Bad. Reine Wegzeit sind knapp 40 Minuten, mit Glück. Dazu kommen Zeitpolster für ohne Glück, für Kindsein, für Umziehen, Glumpert suchen und nicht zuletzt fürs Trockenfönen der kleinen Prinzessinnen. Rückkunft ist somit für gegen elf angesetzt. Danach dürfen die Kinder noch zwei Stunden Unterricht genießen. Mit der Klassenlehrerin noch im Bad zu bleiben, das ist leider nicht drin. Denn die Lehrerin hat zwar die Begleitlehrerprüfung fürs Schulschwimmen abgelegt.
Aber in Niederösterreich. Wenn sie mit Wiener Schulkindern in einem Wiener Bad schwimmt – was da passieren könnte, mag man sich gar nicht ausmalen.

Fazit: Die Kinder erhalten netto knapp einen Schultag Schwimmunterricht. Damit sind sie brutto eine ganze Schulwoche beschäftigt. Die Planung dafür verantwortet eine Frau, die vielleicht nichts anderes macht, ich weiß es nicht, ich will es auch nicht wissen, aber allein die Existenz einer Schwimmkanzlei sagt mir mehr über die ganze Chose, als ich je wissen wollte.

Und auf dieser Basis will Heinisch-Hosek das Schulsystem komplett neu aufsetzen? Wie mein geschätzter Lukas zu sagen pflegt: Wünsch’ Glück.