Donnerstag, 20. Dezember 2018

Wer ist das?

Heuer, o teure Häschen, lassen wir das mit dem Weihnachtsgedicht. Irgendwann ist es Zeit, sich einzugestehen, dass die eigenen Stärken im Prosabereich liegen. Doch keine Sorge, euch wird Weihnachtsstimmung werden! Denn wir versuchen die Frage zu klären, wie das nun wirklich ist mit dem Christkind und dem Weihnachtsmann, der ja eine Erfindung der Coca Cola Company ist und deshalb uns Werbefuzzis und -fuzzetten besonders reichlich die Strümpfe füllt. In Österreich führt das autochthone Christkind ein Rückzugsgefecht gegen den Dicken in Rot, unterstützt von selbsternannten Brauchtumspflegern wie dem Jungbürgersender FM4, der sich vor Jahren schon mit dem Bekenntnis Liebe kleine Christkindmaus, wir retten dich vor Santa Klaus! auf die sicher richtige Seite geschlagen hat.
Was aber nicht erklärt, warum es nicht entweder das Christkind oder den Weihnachtsmann gibt, sondern alle beide, und außerdem noch den Nikolo, den Knecht Ruprecht und die Kramperln (oder Krampusse, oder Krampi, was immer euch angemessen scheint).
Fangen wir kalendarisch-chronologisch mit dem Nikolaus an (ja, für euch ist er der Nikolo, für mich der Nikolaus, tom-ay-to – tom-ah-to, wie sie in Trumpistan sagen). Er bringt Geschenke, weil dem historischen Nikolaus große Freigebigkeit nachgesagt wird (und auch, er sei schon als Säugling so fromm gewesen, dass er sich die Mutterbrust an den wöchentlichen Fasttagen nur einmal täglich genehmigt habe). Genau genommen bringt er aber keine Geschenke, sondern Belohnungen für die Braven. Denn am Nikolaustag (Wann war der noch gleich? Ja, am 6. Dezember. Brav!) war früher in der Messe als Lesung immer das Gleichnis von den verliehenen Talenten aus dem Matthäusevangelium dran: Ein Reicher gibt jedem seiner drei Knechte einen Batzen Geld und geht auf Kreuzfahrt. Bei seiner Rückkehr haben zwei der drei die Kohle gewinnbringend investiert, der dritte hat nur darauf aufgepasst. Zur Strafe wird ihm das Geld weggenommen und als Belohnung unter den anderen beiden verteilt: „Wer hat, dem wird gegeben werden, wer nichts hat, dem wird genommen.“ (Den Matthäuseffekt kennen wir aus der Bildungspolitik.) So verknüpften sich Geschenk aus der Legende und Belohnung aus der Tageslesung zur Nikolausgabe. Die Begleitung durch finstere Gestalten wie den Knecht Ruprecht lässt vorchristliche Traditionen weiterleben, stärkt die Motivation (Angst!) und beweist außerdem, dass das christlich Gute das Böse zu domestizieren vermag. „Was ist jetzt mit Weihnachten, Oida, um auch einmal das Jugendwort des Jahres zu verwenden?“, schallt es mir aus euren zunehmend ungeduldigen Reihen entgegen. Je nun, damit das alles etwas mit Weihnachten zu tun bekam, musste erst Luther kommen. Denn die Reformierten haben bekanntlich einerseits mit der Heiligenverehrung nichts am Hut. Andererseits hätte die ersatzlose Abschaffung der Bescherung ein PR-Desaster für die noch junge Glaubensrichtung bedeutet. Es war Zeit für den Geniestreich, die Bescherung auf Weihnachten zu verlegen und als Gabenbringer das Jesulein zu installieren. Jenes aber war so süß, dass auch die Katholiken seinem Reiz nicht lange widerstehen konnten, sodass es auch im einst erzkatholischen Österreich die Geschenke bringen durfte. Und Santa Claus? Der taucht schon im frühen 19. Jahrhundert auf. Denn die Döblinger und Hietzinger des damaligen New York verfolgten ihre Stammbäume mehrheitlich in die Niederlande zurück, wo wer noch heute die Geschenke bringt? Genau: Sinterklaas, der gute alte Nikolo. Denn anders als den Lutheranern war es den ergebnisorientierten Calvinisten ziemlich egal, ob ein Heiliger oder sonstwer die Geschenke brachte. Hauptsache, Beute. Dass die Coca Cola Company erst sehr spät zu der Show kam und nichts mit der Erfindung des Weihnachtsmannes zu tun hat, überrascht wohl keines von euch aufgeweckten Schneehäschen mehr. Frohe Weihnachten!

Freitag, 14. Dezember 2018

Wegen der Sicherheit

Als Erstes, meine lieben sicherheitsbewussten Häschen, müssen wir uns der Frage widmen, wie man überleben kann. Johann Gudenus schlägt ein nächtliches Ausgehverbot für Flüchtlinge vor, um die Lebenserwartung der Österreicherinnen und Österreicher zu heben. Dies, weil Asylwerber gerne im Schutz der Dunkelheit in Inländerwohnungen schleichen, um die Betreffenden zu schlachten, und zwar vorzugsweise mit dem Messer.

Falls das alles stimmt, wer wollte etwas dagegen sagen? Allenfalls ein boshafter Mensch, der mitbekommen hat, dass ein Inländer im Bezirk Mistelbach seine sämtlichen greisen Verwandten getötet hat und zu seiner Verteidigung nur vorbringen kann, dass er dazu eine Flinte benutzt hat und nicht etwa – weil begeisterter Waidmann – einen Hirschfänger, den Herr Gudenus als völkisch angemessene Alternative zum levantinischen Springfeitel eventuell sogar noch durchgehen lassen würde.

Als gemeinsamer Nenner der angeführten Fälle kristallisiert sich jedenfalls der zuhause sitzende Inländer heraus, womit sich die Frage aufdrängt, ob der Sache mit einer Ausgehpflicht für Inländer nicht eher gedient wäre als mit einem Ausgehverbot für Ausländer. Die Alten haben's schon gewusst, als sie die Weisheit Daheim sterben die Leut' in ein geflügeltes Wort gossen.

So, Schluss mit Politik, schließlich ist bald Weihnachten. Denn hört! Aus Häschenkreisen scholl mir nach der Behandlung des Genitivus partitivus der beinahe zahlreiche Ruf nach gleicher Auskunft über den sub- und obiectivus entgegen. Nichts lieber als das.

Erstens ist festzuhalten, dass der Genitiv der Fälle schönster, weil preziösester ist, dessen könnt ihr euch sicher sein! Fangen wir mit dem Subiectivus an, denn der ist so einfach as falling off a log, wie die Engländer in einer Redewendung sagen, für deren Bildgewalt man töten könnte. Der Genitivus subiectivus erklärt schlicht und einfach, wer das Subjekt einer Handlung ist, wer also etwas tut: Das Briefing des Kunden meint, dass der Kunde (der im Genitiv steht) uns gebrieft hat. Die Klage der Kreation drückt aus, dass die Kreation motschkert, eh klar. Der Trost des Biers ... ich denke, ihr habt verstanden, wohin das führt. Merken müsst ihr euch nur, dass der Genitivus subiectivus so heißt, weil er den Täter, das Subjekt einer Handlung einführt, selbst aber nicht das Subjekt des Satzes ist, das ja im Nominativ steht:

Der Umtrunk an der Ostbar fand nach dem Gewinn des Etats statt. Subjekt ist der Umtrunk (natürlich!), der Genitivus subiectivus liefert ein Attribut zum Objekt „Gewinn“.

Und der Genitivus obiectivus? Seinetwegen braucht ihr euch auch keine grauen Haare wachsen zu lassen. Er ist der Ausdruck des Betroffenen einer Handlung, so wie in diesem Satz. Wenn wir vom Briefing der Kreation sprechen, dann brieft die Kreation nicht (wäre ja noch schöner!), sie wird gebrieft. Der Trost der Kollegen kann allerdings sowohl ein obiectivus als auch ein subiectivus sein, je nachdem, ob du die Kollegen tröstest oder umgekehrt.

Dasselbe gilt für die Frustration des Gudenus: Vielleicht weiß er selbst nicht ein noch aus, weil die Nation nicht so richtig auf seine Ideen abfährt. Vielleicht sind aber auch wir frustriert, weil uns seine Ideen schmerzlich daran erinnern, dass jede Toleranz ihre Grenzen hat. Schönes Wochenende!

Freitag, 7. Dezember 2018

Textkekse

Es war, o mitfühlende Häschen mit beneidenswert schönen Seelen, eine durchwachsene Woche für euren sehr Ergebenen. Das Zweckdichterbalg liegt mit einem kräftigen Atemwegsinfekt darnieder – schon wieder! Der Zweckdichterhund laboriert an interessanten und mühsamen Pfotenproblemen – schon wieder! (Wer hat gewusst, dass Hunde sowas wie Plattfüße kriegen können und wie elendig das ist?) Und so weiter und so fort. Deshalb verschieben wir die von euch allen so heiß herbeigesehnte weitere Befassung mit den Erscheinungsformen des deutschen Genitivs. Stattdessen serviere ich euch einen adventlichen Keksteller, gewürzt mit getrockneten und zermahlenen Stilblüten. Doch Vorsicht! Sie könnten sich, wie das bei Keksen ja mitunter geschieht, als schwer verdaulich erweisen.
In der Backstube hat sich Frau Eva Reisinger wieder einmal aufs Löblichste hervorgetan.  Ihr Artikel über den „vielleicht hippsten Ort Österreichs“ (ja, mit zwei p, obwohl es nicht um Babynahrung geht) fängt  gut an: „Die Rede ist von Bad Gastein, ein Ort  ...“. Wir lernen daraus, dass der Dativ vieles ist, aber leider nicht hip (hipp?) genug für das „Berlin der Alpen“. Dort geht nämlich die Post ab: „Ein Wasserfall prescht zwischen den hohen Häusern nach unten.“ Ich weiß nicht, wie das im Häschenstil ist, aber für mich hatte preschen immer etwas mit der Bewegung von Gliedmaßen oder mechanischen Einzelteilen zu tun. Dass eine amorphe Masse preschen kann, ist mir neu.  Schauen wir lieber ins Schaufenster. Sieh da: „Hinter einer Absperrung blicken die Schönen und Reichen aus vergangenen Zeiten entgegen.“ Fein, aber wem? Der Betrachterin? Dir? Mir? Aus dem fehlenden Objekt haucht uns nicht nur ontologische Leere an, sondern erneut eine betrübliche und rätselhafte Abneigung gegenüber des Dativs, oder so.
Trost bietet die stumme Kreatur: Ein Deutscher „trägt das Dalmatiner Welpen über die Stufen“. Ist hier das Gendern ins Kraut geschossen, oder ist es der Urheberin tatsächlich entgangen, dass der Welpe grammatisch so maskulin ist wie der Feminismus? Mit jenem Deutschen hat es eine besondere Bewandtnis, denn um seine Geschichte zu erzählen, „muss man sich an kitschigen Wendungen bedienen“. Holla! Was ist jetzt los? Plötzlich ist der Dativ gut genug? Nein, ist er nicht. Wir bedienen uns einer Technik, eines Kniffs, einer Wendung, aber jedenfalls eines Genitivs. (Welchen Genitivs, dazu ein andermal mehr.)
Ich glaube aber, wie hieramts schon früher angedeutet, dass Frau Reisinger gar nichts dafür kann. Dass es an ze.tt liegt, lässt ein Blick in andere dortige Ergießungen vermuten, die nicht von ihr stammen. Dort heißt es zum Beispiel von irgendjemandem: „Dessen Wahlkampf-Kappe zog er sich am vergangenen Wochenende dann auch auf den Kopf.“
Das hat offensichtlich jemand verfasst, der Deutsch aus Kreuzworträtselheften gelernt hat. Man kann zwar eine Kappe vom Kopf ziehen, aber man setzt sie auf. Auch die leidige Geschichte mit den Fällen ist bei ze.tt keine Spezialität von Frau Reisinger. So schreibt einer ihrer Kollegen: Dem muss sich auch ein Kanye West bewusst sein.“ Nein, muss er nicht. Kanye West muss, wie wir alle, Steuern zahlen und sterben. Aber sich einem Dativ bewusst sein? Niemals! Doch der hippe Reporter lässt nicht locker: „Genauso wie ich als Journalist nicht behaupte, auf meinem Twitteraccount privat unterwegs zu sein, erwarte ich von Musiker*innen, Schauspieler*innen und Sportler*innen, dass sie sich zumindest um die Dimension ihrer Tweets im Klaren sind.“ Während wir als Leserinnen offenbar nicht mit gleichem Recht erwarten dürfen, dass jemand, der vom Schreiben lebt, weiß, dass man sich herkömmlicherweise über etwas im Klaren ist und nicht um.
Und was läuft an der Feedbackfront? Man kann einen Bonus einlösen, während wir bisher stets dachten, dass der Bonus das sei, was man bekommt, wenn man den Gutschein oder was immer einlöst. Wieder was gelernt. Schönes Wochenende!

Freitag, 30. November 2018

Finstere Aussichten

Es naht nicht nur die stillste Zeit im Jahr, o teure Häschen, sondern auch die dunkelste, insofern der Sonnentag dieser Tage sehr kurz ist. Umso länger ist es stockdunkel oder stockfinster. Doch warum? Es leuchtet ja ein, dass etwas himmelblau, rabenschwarz, taghell oder sogar kuhdunkel ist, wie man im Bregenzerwald sagt, weil man nämlich im Innern einer Kuh die Hand nicht vor Augen sieht, was jeder bestätigen kann, der schon einmal einen ländlichen Tierarzt bei der Arbeit zu beobachten Gelegenheit hatte.
Die Logik von „stockdunkel“ hingegen erschließt sich weder auf den ersten noch auf den dritten Blick. Wenn ein Stock schon eine Farbe hat, dann allenfalls weiß. Und dass es „stockdunkel“ heißen sollte, weil Blinde sich mit einem Stock durchs Dunkel tasten, ist schon deshalb Blödsinn, weil stark Sehbehinderte (nach Auskunft jener, die ich kenne) oft nicht im Dunkeln tappen, sondern in einer diffusen Helle.
In einem solchen Fall akuter Wissbegier könnte man natürlich in die nächstgelegene gutsortierte Bibliothek gehen und sich dort im Regal mit den etymologischen Wörterbüchern Rats erholen. Oder man bleibt einfach sitzen (ist schon stockdunkel draußen!) und googlet. Das Internet, so erfährt man alsbald, liefert zwei Deutungsmöglichkeiten. Nämlich könnte „stockdunkel“ daher kommen, dass finstere Gesellen, wenn man ihrer denn habhaft wurde, eingekerkerter zu werden pflegten. In früheren Zeiten wurden sie nicht nur in eine Zelle gesperrt, sondern – sicher ist sicher, hoffentlich liest Herr Kickl nicht mit – in den sogenannten Stock geschlossen, eine Holzfessel, die ein Entrinnen unmöglich machte. Und weil kein Wächter Zeit oder Lust hatte, dem Gefangenen die Zeitung umzublättern, ließ man ihn aus Sparsamkeitsgründen ohne Licht schmachten. Um ihn war es dunkel. Wie dunkel? Stockdunkel.
Die andere Erklärung lautet, dass vor stockdunkel Wörter wie stocksteif oder stockdumm kamen: Der so Bezeichnete galt als so unbeweglich oder intelligent wie ein Stück Holz. Mit der Zeit, so diese Theorie, verselbständigte sich die Vorsilbe stock- und wurde zu einem Ausdruck maximaler Verstärkung, sodass man nun auch stockdunkel oder stocknüchtern sagen konnte, ohne dass die andern stockverblüfft dreinschauten.
Ich weiß nicht, wie es euch geht, meine Lieben, aber ich finde die zweite Version entschieden charmanter.
Was meint das Deutsche Wörterbuch dazu? Es schlägt sich ganz klar auf die andere Seite, stockdunkel, davon sind die Grimms überzeugt, kommt vom Stock, in dem der Gefangene festgeschlossen liegt. Merkwürdig ist aber, dass das DWB eine lange Latte von Wörtern kennt, die sich mit stock- verstärken lassen, und da sind nicht nur solche wie lahm, krank oder stumm dabei, die sich mit der Fesselerklärung noch fassen ließen, sondern auch närrisch, heidnisch, gläubig (entweder – oder, möchte man meinen!), reich und sogar gescheit. Bei all diesen Wörtern bekommen wir keine Etymologie mitgeliefert. Es scheint also, als seien beide Etymologien fast richtig: Zuerst kam, wenn man dem DWB glauben darf, stockdunkel, und dann wurde stock- zum selbstständigen Verstärker. Man kann ihn verwenden, muss aber nicht. Wenn wir zum Beispiel lesen, dass viele Pflichtschullehrer in Wien studiert und eine Weile auch gearbeitet haben, später aber doch wieder wegziehen, und dass ein wichtiger Personalvertreter vorschlägt, den Wiener Pflichtschullehrern das Parkpickerl zu schenken, damit sie lieber dableiben, dann kann man auch einfach finden, dass es hier zappenduster ist. Was eine Zappe ist, können wir ja ein andermal nachschauen. Schönes Wochenende!


Freitag, 23. November 2018

Einteilungssache

Der Dativ, hat man früher gesagt, sei dem Genitiv sein Tod. Mittlerweile wissen wir, dass man auch den Akkusativ nicht unterschätzen sollte, von wegen den korrekten Anschluss. Trotzdem hört man im Hintergrund ab und zu noch den Genitiv röcheln, der übrigens auch Genetiv heißen darf, das ist kein Fehler, sondern eine kleine Kaprize! Dabei liefert er ein herbstlich melancholisches Beispiel dafür, wie die Sprache sich entwickelt und alte Regeln hinter sich lässt, und zwar in seiner Inkarnation als Genitivus partitivus. Wer kein Latein hatte, lernt jetzt was Neues: Der Genitivus partitivus liefert in der Regel eine Mengenangabe und ist nichts anderes als die lateinische Version der gängigen deutschen Formulierung „von“. Du gönnst (Achtung, Eselsbrücke, Gönnitivus!) dir ein Stück vom Kuchen, ein paar Räder von der Wurst, einen Bissen vom Schnitzel.
Denn pars ist lateinisch der Teil, und der Genitivus partititivus sagt uns, wovon der Teil stammt. In der wörtlichen Übersetzung kriegst du (weil Genitiv) eben nicht ein Stück vom Kuchen, sondern ein Stück des Kuchens, einen Festmeter Holzes, eine Ladung Korns. Vielleicht besichtigst du auch einen meiner Paläste. Im Italienischen funktioniert das ebenfalls einwandfrei: ho bevuto dell‘ acqua, ich habe (einen Schluck) des Wassers getrunken, und ich habe mir sagen lassen, dass die Franzosen das ähnlich handhaben, aber da will sich euer Kolumnator jetzt lieber nicht zu weit aus dem Fenster lehnen, denn heuer ist es 300 Jahre her, dass der 30-jährige Krieg begonnen hat, und womit? Genau, mit dem Prager Fenstersturz, da heißt es also vorsichtig sein. Wo waren wir? Beim Partitivus.
Der Partitivus wird nämlich, wie so viele von uns, allmählich alt. Wie so viele von uns verspürt er daher nicht mehr den Drang, bei jedem Hundsderschlagn dabei zu sein, sondern überlegt sich vorher, ob es das wirklich wert ist. Deshalb liest er lieber Zeitung, wenn du „einen Humpen Bier“ bestellst, wie es unter Schluckspechten Sitte ist. Geht es hingegen darum, eine deiner Töchter kennenzulernen, dann steht er natürlich parat. Damit sind wir jetzt beim melancholischen Teil: Geht es um nicht Zählbares, dann bleibt der Partititivus gern auf der faulen Haut liegen. Ein Glas Wasser, eine Fuhre Mist – mit so etwas kannst du ihn nicht locken, und sogar ein Haufen Geld lässt ihn kalt, während er sich einst verpflichtet gesehen hätte, auch in solchen Angelegenheiten herbeizueilen. Zählbare Begehrenswertigkeiten wie Diamanten, Whiskyflaschen oder die obgedachten Töchter locken ihn aber umstandslos aus seiner Lethargie.
Die Frage ist aber, in welchem Fall Wasser, Holz und Geld dann überhaupt stehen? Kommt drauf an. Steht dir der Sinn nach einem Becher warmem Punsch, dann im Dativ, weil einem der Sinn eben nur nach diesem stehen kann. Greifst du dir hingegen einen großen Sack Geld, weil die Gelegenheit gerade günstig ist, da muss man sich nicht lange fragen, was die eigene Leistung war, dann natürlich im Akkusativ. Kurz: Der gute alte Partitivus macht Platz für keinen bestimmten Fall. Sondern der gemeinte Stoff steht im selben Fall wie das Behältnis, der Teil oder was immer. Damit verlieren wir die Zusatzinformation, dass alles, was wir nehmen, verzehren, gebrauchen und so weiter nur ein Teil der Gesamtmenge ist (hoffentlich!). Und gewinnen dafür ein bisschen sprachliche Bequemlichkeit. Man kann natürlich darauf bestehen, dass die innere Logik nicht mehr so ganz aufgeht. Aber spätestens, wenn du im Kaffeehaus „ein Glas Wassers“ bestellst, merkst du, wie wichtig die Logik nicht ist. Zum Wohle!

Freitag, 16. November 2018

Strange Sprache

Man sei so alt, wie man sich fühlt, wird gerne behauptet, ohne dass man weiß, wieviele Lesehäschenjahre ein Menschenjährchen zählt. Ehe wir uns darin verlieren, warum es angemessen ist, sei hier im Konjunktiv zu setzen, fühlt hingegen im Indikativ, räumen wir lieber gleich mit der ganzen fehlgeleiteten Selbsttäuschung auf. Man ist nicht so alt, wie man sich fühlt, sondern so alt, wie man sich ständig fragt, warum die Leute das auf Englisch sagen oder schreiben. Es ist nämlich like this: Dein Balg, das einen kleinen grünen Gecko mit großen Augen vor zwei Jahren süß fand, findet ihn heute voll cute. Und was einst gruselig war, ist heute creepy. Damit ist man als unverbesserlicher Kraus-Leser vor ein Dilemma gestellt. Einerseits hatte Kraus natürlich recht damit, dass ein Satz, der nur aus Fremdwörtern besteht, besser deutsch sein kann, als wenn man ihn verdeutscht, sodass man seine Polemik gegen die Sprachreiniger nur unterschreiben kann.
Andererseits muss man nicht Philipp von Zesen nacheifern, der einst die Nase durch den Gesichtserker und das Fenster durch den Tageleuchter ersetzen wollte, um sich zu fragen, ob es die Ausdruckskraft steigert, wenn man aufgefordert wird, etwas je sooner desto besser zu erledigen. (Bildungsauftrag: Philipp von Zesen war ein deutscher Dichter des 17. Jahrhunderts und einer der ersten deutschsprachigen Berufsschriftsteller. Aus seinem umfangreichen Werk haben Spätere, die im Barock vor allem das Skurrile suchten, gern seine Wortschöpfungen herausgepickt, mit denen er dem Deutschen zu einem genuin deutschen Wortschatz zu verhelfen hoffte.)
Denn die Durchdringung der Alltagssprache mit englischen Begriffen ist nicht auf Sprecherinnen unter 17 beschränkt, noch auch auf Fachsprache und Jargon. Dass eine Institution zur würdevollen Unterbringung von Senioren eine Heimseite hat, du und ich aber höchstens eine Homepage, darüber müssen wir nicht diskutieren. Dass von mir so mancher ein E-Mail bekommt, aber niemals eine Strompost, versteht sich ebenfalls von selbst. Auch das device erspart die umständliche Formel vom mobilen Endgerät.
Wenn wir aber woanders hinfahren, ist das dann eine Reise oder eine journey? Bis vor Kurzem schien die Antwort eindeutig, aber heute – who knows?
Irritierend ist daran für den gesetzten language user zweierlei: Einesteils die immer wieder gestellte Frage, ob man sich als hoffnungslos gestrig outet, wenn man weiterhin davon überzeugt bleibt, dass man an einem Schreibtisch sitze und nicht an einem desk.
Noch schlimmer ist aber die zweifellos ketzerische Frage, was das Ganze soll? Ist für Präzision, Konzinnität oder Ausdruckskraft irgendetwas zu gewinnen, wenn der Urlaubende auf journeys geht?
Aber halt! Wir sind ja weltoffene Kommunikationshäschen und wollen uns nicht in fehlgeleitetem Purismus verlieren. Die Frage kann nicht sein, ob englische Wörter besser sind als deutsche (fix, Oida! womit wir ein mögliches „Jugendwort des Jahres 2018“ abgehakt haben), sondern vielmehr: warum nur englische Wörter? Ab sofort ist etwas nicht mehr „so ding“, sondern je ne sais quoi, nicht mehr „köstlich“, sondern oishii. Das Auto fährt nicht mehr, es kjört. Wir gehen nicht mehr ins „Zimmer“, sondern ins chumba. Wer seine Sprache optimieren will, muss einfach nur die Rosinen aus dem linguistischen Kuchen picken. Erst wenn wir so sprechen wie der unvergessliche Salvatore im Namen der Rose, der den Kaasschmarrn bereitet, können wir sicher sein, dass wir kommunikativ unser Bestes geben: Nimm einen Kaas, nich zu alt, nich zu weich, mach klein Stückl in quadri o sicut te piace. Dann stell auf Feuer ein Topf mit un poco de burro o vero de structo fresco à rechauffer sobre la brasia. Et dentro vamos, rein mit dem Kaas, und wenn dir scheint tenerum, un peu zucharum et canella supra positurum. Fertisch. E subito in tabula, parce que ça se mange caldo caldo!
Mahlzeit.

Freitag, 9. November 2018

Kopfrechnen

Mit Statistiken ist es immer so eine Sache, deshalb findet man auch so schwer einen guten Arzt: Medizin ist halt in erster Linie Statistik und die Fähigkeit, sie zu deuten. Zur Ehre der Heilehäschen sei aber festgehalten, dass man kein Arzt sein muss, um Schwierigkeiten mit Prozentrechnung zu haben.
So war von einer Studie zu lesen, die auf der Frankfurter Buchmesse Aufsehen erregt habe: Demnach bespricht die deutsche Buchkritik in erster Linie Bücher von Männern, obwohl Frauen mehr Bücher kaufen und lesen. Die Studie mische mit konkreten Zahlen die Buchmesse auf: Über 60 % der besprochenen belletristischen Werke stammen von Männern, bei Sachbüchern 70 %, bei Krimi, Fantasy und Comic sogar 85 %. Und so weiter. Alles sehr sacklastig, um es volkstümlich zu formulieren! Blöd an der Sache ist nur: Die StudienautorInnen haben darauf verzichtet, die konkreteste aller Zahlen zu erheben. Nämlich das Verhältnis von publizierten Autoren zu Autorinnen. Es kann schon sein, dass die Kritik im Zweifel eher zum Buch vom Mann greift. Vielleicht liegt es aber daran, dass kein Buch von einer Frau zur Auswahl steht. Wir wissen es nicht. Vielleicht werden wir es eines Tages erfahren. Aber jedenfalls nicht aus der Studie, die sich genau dies zum Thema gewählt hat.
Meine aktuelle Lieblingsstudie stammt aber von einer Assistentin an der Wirtschaftsuniversität, über deren Namen ich den Mantel des Schweigens breite. Nur so viel: Nichts, was ich über die WU bisher zu wissen glaubte, musste ich revidieren, seit ich von ihrer Studie gelesen habe.
Es ist nämlich so: Es gibt an der WU Aufnahmetests für Bewerberinnen um Studienplätze, und es gibt auch welche an der Medizinischen Universität. Untersucht man genauer, wer danach einen Studienplatz bekommt, dann zeigt sich: Künftige Ärzte stammen heutzutage mit höherer Wahrscheinlichkeit aus Akademikerfamilien als vor Einführung der Zugangsbeschränkung. Die Aufnahmetests wirken also der sozialen Durchmischung entgegen. Solche Effekte beobachtet man auch an der VetMed oder bei den Zahnärzten.
Nur an der WU haben die Prüfungen überhaupt keinen Einfluss auf die soziale Durchmischung der Studentinnenschaft. Komisch, oder? Die Studienautorin hat aber eine „Vermutung“: Es könnte eventuell – nix Genaues weiß man nicht – daran liegen, dass es an der MedUni weniger Plätze als Bewerber gibt, an der WU hingegen mehr. Ich finde es sehr erfreulich, dass sie dies nur als Vermutung aufstellt. Man darf da nichts präjudizieren. Wenn man in der Wissenschaft nicht exakt vorgeht, wo denn dann? Es werden zweifellos noch eine Reihe genauerer Untersuchungen nötig sein, ehe sich robust beurteilen lässt, ob eine Zugangsbeschränkung, die den Zugang nicht beschränkt, Einfluss auf die soziale Durchmischung der Kandidatinnen hat. Schönes Wochenende!


Freitag, 19. Oktober 2018

Vegan

Euer ergebener Kolumnator hat ausnahmsweise einmal wirklich Nachhaltiges zu vermelden, o teure Lesehäschen! Ich werde es euch künftig gleichtun und mich von früh bis spät strikt vegetarisch, ja sogar vegan ernähren.
Hier ist es Zeit für einen kleinen Exkurs zum Thema „Flexitarismus“, weil sich vor wenigen Wochen einem Flexitarier die Frage entrang, warum die Flexitarier keiner mag. Also, warum die Vegetarier die Flexitarier nicht mögen, versteht sich von selbst. Die sogenannten Carnivoren mögen die Flexitarier nicht, weil diese so tun, als unterschieden sie sich von jenen. Jedoch können auch bei Carnivoren ganze Tage zwischen zwei Fleischrationen vergehen, bisweilen sogar mehrere am Stück. Nach einer solchen Fleischpause fühlt sich die Durchschnittscarnivorin jedoch dem Vegetarismus keinen Zentimeter näher. Das unterscheidet sie von der Flexitarierin, die sich als halbe Vegetarierin wähnt, weil sie gelegentlich Mahlzeiten ohne Fleisch zu sich nimmt. Liebe Flexitarier: Was ihr so treibt, nennt man „herkömmliche Ernährung“. Oder auch ganz ordinär „Fleisch essen“.
Doch das alles liegt ja nun hinter mir. Die reine Lehre des Veganismus ist nunmehr meine, und zwar ohne, dass ich auf irgendetwas verzichten müsste.
Wer nämlich geglaubt hat, dass nur die Mönche von einst dem Prinzip anhingen, ein Otter zähle, weil er im Wasser schwimmt, zu den Fischen und dürfe daher am Freitag verzehrt werden, der hat noch nie vom hippen Phänomen der Low-carb Pasta gehört, also von Teigwaren, die der Kohlenhydratentbehrung Vorschub leisten. Solange damit Nudeln aus Kichererbsen oder Linsen gemeint sind, darf man sich achselzuckend dem Kulturteil zuwenden. Auch die Glutenintolerante bäckt sich eine Semmel aus Qinoa und hat dabei ein Mehl durch ein anderes ersetzt.
Interessant wird es aber bei „low-carb Pasta“ aus Zucchini, Kohlrabi oder anderen feinen Sachen. Für alle, die topaktuellen Ernährungstrends genauso hoffnungslos hinterherhinken (aber gut in Alliteration sind) wie ich: Bei dieser sogenannten low-carb Pasta handelt es sich um nichts anderes als Gemüse, das lang- und dünnnudelig aufgeschnitten wird, ähnlich kräftigen Spaghetti oder Bavettine zum Beispiel. Im Handel sind sogenannte „Spiralschneider Low Carb“ erhältlich, mit denen es auch feinmotorischen Analphabeten gelingt, Entsprechendes zu erzeugen. Mich hat das sofort an jenen früheren Kollegen (und ausgewiesenen Carnivoren) erinnert, der bei einem Umtrunk die Mini-Cabanossi entdeckte und begeistert ausrief: Super, Soletti aus Fleisch!
Ja, und damit wisst ihr jetzt auch, warum eurem Zweckdichter die Umstellung auf den Veganismus so herrlich leichtfallen wird: Wem wollte nicht aromatischer Prosciutto in Gestalt eines verwordackelten Riesenkürbis munden! Herzhaft locken die Rote-Rüben-Wurst aus echter Blunze und die Kichererbsenknödel voller Kalbsbrät. Wem der Sinn nach italianitá steht, der greife zu Bärlauchravioli mit Lammfülle. Als Krönung wartet freilich das echte schmalzgebackene Schweinsschnitzel in Form eines Tofuschnitzels, 100 % fleischig, 100 % vegan, 100 % köstlich. Entschuldigt mich, während ich mir ein großes Stück Schokolade in Form eines völlig kalorienfreien Stückes Styropor genehmige. Wer hätte gedacht, dass Verzicht so gut schmecken kann. Schönes Wochenende!



Freitag, 12. Oktober 2018

Sicherheitshalber

Manchmal, o hochgeehrte Lesehäschen, lässt auch euer Kolumnator das Schreiben sein und liest stattdessen selber etwas. Dabei schaut er auch bisweilen auf ze.tt
Kennt ihr ze.tt? ze.tt ist das, was herauskommt, wenn die von der ZEIT Angst bekommen, dass ihnen die Leser wegsterben, anstatt sich darauf zu verlassen, dass ihnen andererseits welche zuwachsen werden. Auf der Suche nach einer Lösung geraten sie ins Hirnwixen und denken dabei ganz, ganz fest ans VICE-Magazin. Das VICE-Magazin (für alle über 35) ist das, was herauskommt, wenn echt junge Menschen ein Magazin mit gut recherchierten Geschichten über relevante Themen machen, sich aber für die Gestaltung einen Art Director (oder eine Art Directrice, keine Ahnung) eintreten, die auch echt jung ist und noch nie vom Phänomen der Presbyopie, vulgo Altersweitsichtigkeit gehört hat. Anders gesagt: Ich hatte einmal eine Reproduktion der First-Folio-Shakespeare-Ausgabe in der Hand, also alle 36 Dramen des Barden in einem Band. Sie war lesefreundlicher als eine durchschnittliche VICE-Doppelseite, die nämlich so aussieht wie ihr eigener Rechtstext. Deshalb bin ich bisher leider an der VICE-Lektüre gescheitert.
Auf ze.tt hingegen habe ich hin und wieder das eine und andere gelesen. Also, wenn das die Art von Journalismus ist, die heutige Noch-nicht-ZEIT-Leser auf die Lektüre der künftigen ZEIT vorbereiten soll, dann lese ich in Zukunft wahrscheinlich weder ze.tt noch die ZEIT. Für Erkenntnisse wie die, dass die Verfremdung von Wahlplakaten der wahlwerbenden Partei wahrscheinlich nicht recht ist, brauche ich hoffentlich noch lange keine journalistische Unterstützung.
Ein wichtiger Unterschied zwischen ze.tt und VICE besteht darin, dass sich VICE anscheinend eines Lektorats erfreut. Das Schöne an einem Lektorat ist, dass nachher weniger Blödsinn dasteht. Lange dachte ich ja, dass die Blödsinnsdichte in den ze.tt-Artikeln von Eva Reisinger Eva Reisinger geschuldet sei. Mittlerweile habe ich aber auch Artikel anderer ze.tt-Autoren gelesen und entschuldige mich hiermit bei Eva Reisinger. Ich kann nicht ausschließen, dass mittelfristig eine ze.tt-Blütenlese bevorsteht. Heute darf aber doch noch einmal Frau Reisinger vor den Vorhang treten, und zwar mit dieser schönen Stelle:
[...] nahm ihn der Besitzer eines Hotels in seinem Jeep mit. Er raste mit ihm am Beifahrer*innensitz die kleinen, steilen Straßen des Ortes hinauf [...].
Wir haben also einen Fahrer und einen Beifahrer. Der Beifahrer sitzt aber nicht am (und leider erst recht nicht auf dem) Beifahrersitz, sondern auf dem Beifahrer*innensitz (dass der Fahrer auf dem Fahrer*innensitz sitzt, können wir nur vermuten). Verlieren wir uns nicht in der Frage, wer auf dem Beifahrer*außensitz sitzt, schließlich handelt es sich um einen Jeep und nicht um einen VW-Bus. Widmen wir uns lieber dem Rätsel des vorauseilenden Genderns. Denn beide Sitze (ob innen oder außen) sind von männlichen Menschen besetzt. Die Genderformel deckt lediglich die Möglichkeit ab, dass hier irgendwann einmal andere Platz nehmen. Wie dringend brauchen wir sie? Dafür wäre nicht nur zu klären, ob der Hotelier seinen Jeep exklusiv nutzt oder ob gelegentlich auch seine Frau oder Tochter damit fährt. Sondern vielmehr folgende Frage: Wie wahrscheinlich muss es sein, dass irgendwann das Nutzergender von männlich zu sonstwas wechselt, damit man vorsichtshalber besser gendert? Antwort: Es wäre unethisch, Wahrscheinlichkeitsprozente gegen Genderdiskriminierung aufzurechnen. Wenn wir von einem Beifahrer*innensitz sprechen, obwohl aktuell ein Beifahrer daraufsitzt, dann kann das nur ein Signal sein, auch so manchen anderen Terminus kritisch zu überdenken. Wer weiß, was die Zukunft bringt! Sichern wir uns also rechtzeitig die Rechte nicht nur am Mönch*innenorden, am Freimaurer*innentempel und natürlich an diversen Brüder*innenschaften. Bleiben wir vielmehr bei den nur derzeit nachweislich männlich besessenen Sitzgelegenheiten und gendern wir durchgängig den Päpst*innenthron. Man weiß ja nie. Schönes Wochenende!

Freitag, 5. Oktober 2018

Fliegen

Das Deutsche ist ja durchaus eine hübsche Sprache, da ist euer Kolumnator der Letzte, der was zu meckern hätte. Gelegentlich findet man aber doch anderwärts Geschliffenheiten, deren unsere genderneutrale Eltern*zunge (das * bedeutet, dass es mir ferne sei, hergebrachten, um nicht zu sagen: überkommenen kernfamiliären Strukturen das Wort zu reden) ermangelt.

Wo waren wir? Genau: Was andere Sprachen besser können. Davon habe ich mangels Fremdsprachenkenntnissen ja bedauerlich wenig Ahnung. Doch am Englischen hat mich eines immer besonders fasziniert: sein verschwenderischer Reichtum an Kollektiva.

Ein Kollektivum ist, für alle, die Latein bedauerlicherweise ausgelassen haben, ein Wort, das im Singular steht, mit dem wir aber eine Vielheit gleichartiger Dinge bezeichnen. Einfache Beispiele sind Menge, Haufen oder Gruppe. Für Tiere gibt es eigene Kollektiva, die heißen Rudel, Schwarm oder Herde. Wir denken kurz an Ottos „Lied der Wölfe“ (Jo, mir san mit’m Rudel do), danach ist auf Deutsch auch schon wieder Schicht im Schacht. Nur den Waidleuten fällt noch dies und das ein, zum Beispiel die Rotte, die eine Zusammenrottung von Schweinsviechern meint.

Auf Englisch geht es bittesehr ganz anders zur Sache. Die dortigen terms of venery (so heißen die lässigen Kollektiva auf Englisch) sind mit Recht berühmt, weil ich nämlich mit euch wette: Mindestens drei Vierteln von euch geht es wie mir, und ihr könnt von der entsprechenden Wikipedia-Liste höchsten die Hälfte der Tierarten übersetzen, von den terms of venery ganz zu schweigen. Was waren noch einmal wigeons oder dunlins? Mehrere Wölfe heißen pack, was insofern interessant ist, als pack auf der anderen Seite des Gesetzes auch Meute bedeuten kann. Aber mehrere Löwen sind zwar auf Deutsch ebenfalls ein Rudel, auf Englisch hingegen ein (oder eine?) pride.  Viele Friedfische (ha, da habt ihr schon wieder was gelernt) heißen vielleicht auch auf Deutsch Schule. Aber warum heißt ein Schwarm flock, wenn er aus Gänsen besteht, hingegen flush, handelt es sich um Enten? Neidisch könnte man werden bei einem business Fliegen oder einem regiment Flamingos. „Hier wimmelt es ja von Fliegen!“ – „Ja, das business brummt.“ Hach, da kullern die Kalauer wie von selber daher!
Doch zurück zum Ernst des Lebens. Warum bittesehr gibt es nur für Löwen, Schnepfen oder Dachse so schöne Sammelwörter? Die Fauna des öffentlichen Lebens will schließlich auch repräsentiert sein. Hier ist die Kreativität unterbeschäftigter Wortschöpfer gefordert! Wie wäre es zum Beispiel mit einem Horben Gutmenschen? Ein Binsel Topmodelkandidatinnen klingt schon so ausgezehrt, wie Heidi Klum das gerne sieht. In der Politik ist einerseits Fingerspitzengefühl gefragt: Mir gefiele zum Beispiel das Wünzlein für FunktionärInnen der Grünen oder der SPÖ, denn diese gefährdeten Arten wollen zart angefasst sein. Die ÖVP andererseits kann etwas vertragen, ein Kalomp gestandener türkiser Regierungsmitglieder haut so schnell nix um. Hat man freilich eine Ansammlung freiheitlich gesonnener Innenminister zu benennen, so braucht man, finde ich, das Rad nicht neu zu erfinden. Was hier zählt, ist das business. As usual.

Freitag, 28. September 2018

Erledigt


Erinnert ihr euch, o Häschen, noch an die Zeiten, als man einander halb im Scherz zu fragen pflegte, wie man die Menschen, die man einst als Schwarze bezeichnete, nunmehr politisch korrekt zu benennen habe? Solange es sich nur um US-Bürger handelte, konnte man sich mit Afroamerikaner behelfen, aber hierzulande klappt das halt nicht. Afroeuropäer? Geh bitte!
Ich darf aber berichten, dass wir uns zurücklehnen dürfen – nicht zufrieden, jedoch entspannt.
Denn die Frage ist nunmehr erledigt, indem, wenn schon nicht die Sprache, so doch mindestens ein Sprachnutzer vor ihr kapituliert hat. Wie es scheint, ist es im Deutschen nicht mehr möglich, eine Vielheit der fraglichen Menschen zu bezeichnen, ohne dass jemandem dabei auf den Schlips beziehungsweise ein genderneutrales, aber jedenfalls lose herabhängendes Kleidungsstück oder Accessoire getreten wird. Ronald Pohl hat sich deshalb in seinem Artikel über das Stück Der Kampf des Negers mit den Hunden aus der Affäre gezogen, indem er von Menschen of colour (oder auch Personen of colour) spricht. Ich finde das wegweisend und freue mich schon auf jede Menge weiterer denglischer Umschreibungen, die uns gerade noch gefehlt haben. Es warten hier zum Beispiel Menschen of Wheelchair-usage, Menschen of obesity, Menschen of femaleness und von mir aus auch gleich Menschen of flexitarianism. All diesen Gruppen ist gemein, dass wir als reflektierte Sprecherinnen und Sprecher (jaja!) beim Reden innehalten, wenn wir über eine von ihnen etwas sagen wollen, und kurz nachdenken, ob das jetzt eh nicht beleidigend ist, wenn wir von „Übergewichtigen“, „Rollstuhlfahrern“, „Frauen“ oder gar „Flexitariern“ reden. Englisch gequakt, Problem gelöst!
Ich weiß schon, woher das Argument für die Menschen of colour kommt: Um die bevorzugte Selbstbezeichnung geht es. Die bevorzugte Selbstbezeichnung der allermeisten Chinesen ist aber auch nicht „Chinesen“. Analoges gilt für Franzosen und sogar für die Piefke. Was eurem Zweckdichter sauer aufstößt, ist nicht die Tatsache, dass man nicht mehr Neger sagen soll, sondern vielmehr der Eindruck, dass die Sprache selbst die Hiebe abbekommt, die jenen gebührten, die auf ihrem vermeintlichen Recht beharren wollen, weiterhin Neger zu sagen. Die Sprache kann nichts dafür, aber sie muss leiden.
Zur Auflockerung schauen wir noch, was Eva Reisinger treibt, die als hippe Online-Journalistin ihr Brot verdient. Sie zeigt eine sonderbare Eigenheit: Wann immer sie mit jemandem zu tun hat, dessen politische Position sie rechts von ihrer eigenen vermutet, beschreibt sie möglichst genau, was er anhat. Neulich hatte sie eine Reportage über eine Burgruine zu verfassen, die in den 1930er Jahren mit einem Hakenkreuz beschmiert wurde. Der heutige Besitzer weigert sich, dieses auf seine Kosten entfernen zu lassen, mit dem Argument, dass er selber damals noch gar nicht geboren war und seine Eltern auch nichts dafür konnten. Über ihn erfahren wir:
Goëss trägt ein beige-graues Jackett, eine beige Hose, ein hellblaues Polo und eine Ray-Ban-Sonnenbrille auf der Nase. Angesichts dessen, was auf dieser Nase alles Platz hat, muss es sich, wie man in Wien sagt, um ein Mordstrumm Pfrnak handeln. Schönes Wochenende!

Freitag, 14. September 2018

Fallobst vom Feedbackbaum

Mit Feedback ist es wie mit dem Wetter: Es gibt solches und solches, aber wie immer es auch ausfällt: Ein Feedback ist immer noch besser als gar keines. Dessen gedenke regelmäßig, dann hast du mehr vom Leben. Besonders in diesem Feedbackherbst, der ein sehr guter Feedbackherbst ist, in demselben Sinne, wie es ein sehr gutes Bettwanzenjahr ist, wenn man in seinem Bett viele Bettwanzen findet.
Zum Beispiel hatte euer Zweckdichter neulich damit zu tun, einen Lesetext aufzutrennen und aus dem gewonnen Informationsfaden einen Hörtext zu stricken. In dem Lesetext aber hieß es „Sie sehen klar“. Die Verantwortliche hatte im Vorfeld nicht viel zu bemerken, doch eines war ihr wichtig: Dieser Satz habe in der Hörfassung nichts verloren, denn die sehe man schließlich nicht.
Eine solche Leistung ist nicht alltäglich. Die betreffende Leistungsträgerin trete bitte vor den Vorhang. Tusch! Ich überreiche hiermit die große goldene Metapher am Bande. Dafür hat sie sich einen Applaus verdient!
Die zartbesaiteten Rechenhäschen unter der Leserschaft mögen sich nun abwenden oder zumindest ihr Riechsalzfläschchen aus dem Pompadour kramen, man weiß ja nie. Nämlich erhielt der Kolumnator eine „Formel“, die in einer Informationsschrift untergebracht werden sollte. Sie sah ungefähr so aus:
PSemmel + PWurst
Es dauerte eine Woche, bis den Verantwortlichen dämmerte, das dies nicht so funktionierte, wie man es von einer Formel erwartet, nämlich, dass man dank der Formel aus vorhandenen Informationen eine neue gewinnt, beleuchtet vom milden Schein des =-Zeichens.
Mittlerweile ist aus der Formel tatsächlich eine geworden. Sie lautet natürlich:
PWurstsemmel = PSemmel + PWurst
Auch damit war es noch nicht genug. Alle Nicht-Werbehäschen lernen jetzt etwas Nutzloses, nämlich, dass eine Mutation nicht unbedingt etwas mit verrutschten Genen zu tun haben muss. Vielmehr können Mutationen auch etwas ganz Banales sein, nämlich unterschiedliche Versionen derselben Broschüre oder desselben Briefs für unterschiedliche Zielgruppen oder Produkte. In einem solchen Zusammenhang erhielt euer Ergebener dieses nützliche Aviso: Bitte beachten, dass es sich um eine Mutation handelt. In den anderen Mutationen gibt es etliche Änderungen. Danke, Captain Obvious! Nach all den Jahren wurde es auch Zeit, dass jemand schlüssig erklärt, was eine Mutation ist.
Weil heute Bonusfreitag ist, setzen wir noch einen drauf. Eurem Zweckdichter unterlief diese Formulierung: „Dann haben Sie mit dem erfahrensten Bergführer der Alpen den richtigen Partner gefunden.“ Denkste! Denn es handelt sich um einen Werbebrief, weshalb die Rückmeldung nur allzu richtig lautete: „Wir sind ja noch nicht Partner.“ Über das Prinzip der selbsterfüllenden Prophezeiung sowie die Frage, ob man ein Angebot gefunden haben kann, schon bevor man davon Gebrauch macht, schreibt bitte jedes von euch Aufsatzhäschen bis nächste Woche 250 Wörter. Schönes Wochenende!

Freitag, 7. September 2018

Erntezeit

Die dümmsten Bauern, so sagte man, als das Wünschen noch geholfen hat, ernten die dicksten Kartoffeln. Mittlerweile haben wir im Agrarbereich große Fortschritte gemacht, sodass auch kognitiv ausgeschlafene Landwirte mit ansehnlichen Erträgen rechnen dürfen. Ob das für den Einzelnen ein Vorteil ist, bleibe dahingestellt, denn der Dumme, das wissen wir alle, kriegt’s ja nicht mit.
Weiterhin in Kraft bleibt hingegen die betrübliche Wahrheit, dass den doofsten Textern die dicksten Feedbäcke entgegenlachen. Das liegt daran, dass Kundinnen und Kunden schlecht auf Düngung reagieren. Da kann man sich nur dumm anstellen und das Beste hoffen.
Damit ist auch bewiesen, dass euer treuer Kolumnator nicht das schärfste Messer in der Lade, nicht die hellste Birne am Luster, nicht die klarste Scheibe in der Duschkabinenabteilung ist. Weil der Herbst (hoffentlich) naht, bitte ich zum Erntehilfseinsatz: Es folgt eine kleine Blütenlese der Feedbackwoche. Ob hier große Stiefel gefischt, mächtige Böcke geschossen oder einfach Dummbrote gebacken wurden, das möge die Nachwelt entscheiden.
Zum Beispiel schrieb ich nichtsahnend keineswegs so (man will ja niemanden vor den Kopf stoßen), aber völlig strukturanalog:
Sie schätzen die verlässliche Versorgung mit Honig, Ihnen mundet aber auch eine Semmel mit Erdbeermarmelade. Können Sie dabei sparen und gleichzeitig zu einem gelungenen Frühstück beitragen?
Das Verdikt von Kundenseite lautete: „Ich finde zwei Fragen etwas viel.“ Es fragt sich nun, wo die zweite Frage sich versteckt. Die Antwort kann nur lauten: Die Feedbackurheberin wollte mit eurem Zweckdichter ein rekursives Sprachspiel anfangen. Die zweite Frage kann wohl nur die Frage danach sein, was die zweite Frage sei.
Man darf davon ausgehen, dass die Dame in der Mittagspause nicht lange suchen muss, um kongeniale Gesprächspartner zu finden. Denn eine Zeile für ein anderes Produkt desselben Unternehmens lautete ebenfalls nicht so, aber entsprechend:
Saugkraft 3000 – da ist Saugkraft selbstverständlich.
Wie hieramts schon mehrfach festgestellt, identifiziert man einen echten Werbekunden am zuverlässigsten dadurch, dass er das Stilmittel der Wiederholung stets als Fehler anstreicht. So auch hier: „Bitte Überschrift überarbeiten, damit keine Wortwiederholung entsteht“, scholl es aus dem Textwald zurück. Netterweise bekam euer Kolumnator ein Beispiel ohne Wortwiederholung mitgeliefert: Saugkraft 3000 bringt das Saugkraftwunder in Ihr Heim. Warum denn nicht gleich! kann man da nur ausrufen.
Wesentlich interessanter ist die Rüge, die mir von anderswo zuteil wurde: „Stolz kann man nicht ernten“ ward mir beschieden, gefolgt vom gefürchteten Doppelsmiley. Dieses ist Archäologinnen und Archäologen mit Hang zum Paranormalen aus der Sorte Inschriften vertraut, die man in Gewitternächten an den Mauern dunkler Kammern entziffert, in denen Skelette bestattet sind, bei denen man nur rätseln kann, wie das Ding lebendig ausgesehen hat. Das Doppelsmiley bedeutet soviel als Dein Arsch gehört mir.
Aber kann man Stolz wirklich nicht ernten? Ich bin unsicher. Immerhin kann man außer Kartoffeln auch Misstrauen ernten, Beifall, Zustimmung oder betretenes Schweigen. Warum also nicht Stolz? Darüber macht euch bitte ein paar Gedanken. Das Schuljahr ist noch lang, und das kommt alles zur Prüfung. Schönes Wochenende!