Freitag, 16. Dezember 2022

Zahltag

 

Wir haben, o meine betuchten Lesehäschen, vor drei Wochen etwas ungebührlich unter den Tisch fallen lassen: Am 25. November war Katharinentag und damit Tag der Abrechnung. In verschiedenen Regionen hatten sich nämlich einst verschiedene Tage eingeschliffen, zu denen es üblich war, Dienstverträge auslaufen zu lassen, neue abzuschließen und auch Schulden zu begleichen. Wo euer Ergebener herstammt, war dies der Katharinentag. Nicht etwa, weil die heilige Katharina besonders viel mit Rechnungswesen am Hut gehabt hätte, obwohl da was dran ist: Sie soll nämlich eine Philosophin gewesen sein, die dem Heidenkaiser Maxentius und seinen besten Denkern die Überlegenheit des Christentums so überzeugend vordenken konnte, dass er sich keinen Rat mehr wusste, als sie einkerkern und hinrichten zu lassen. Jetzt aber Fun fact: Laut Wikipedia hat es eine solche Katharina nie gegeben. Ihre Legende basiert vermutlich auf dem Schicksal der nicht nur Philosophin, sondern auch Mathematikerin (daher also das Rechnungswesen) Hypatia von Alexandria, die von einem christlichen Mob getötet und zerstückelt wurde.

Wie auch immer: Am Katharinentag wurde deshalb abgerechnet, weil es der Tag einer örtlichen Kirchenpatronin war, sodass man sich bei den entsprechenden Festlichkeiten begegnete und abwickeln konnte, was abzuwickeln war. Dass das unterschiedlich erfreulich war, je nachdem, auf welcher Seite des Schuldenzaunes man stand, hat Franz Michael Felder poetisch verewigt:

 

Tag des Schreckens und der Trauer

dessen mancher arme Bauer

nur gedenkt mit Schreck und Schauer.

 

Und so weiter, denn:

Wehe, die Banknoten schwinden

und in Sackes tiefsten Gründen

ist kein Silber mehr zu finden.

 

Und dabei heizte der Mann nicht einmal mit Gas!

Auch euer Ergebener hat inzwischen den einschlägigen Brief seines Stromversorgers erhalten und findet sich also mit einer gut 80-prozentigen Tariferhöhung ab, aber was will man machen. Nur im Dunkeln und Kalten zu sitzen ist auf Dauer schon eine Daseinsform, aber nur für fiktive christliche Märtyrerinnen. Dabei hilft die hieramts in letzter Zeit schon gewürdigte Kranken- sorry, Gesundheitskasse auch nicht weiter. Die weigert sich standhaft, eine therapeutische Leistung mitzufinanzieren, obgleich sie nachweislich Erfolge bringt, weil sie „nicht von medizinischem Personal erbracht wird“. Also, wenn ich mit einer halbzerkauten Dattel in der Luftröhre blau anlaufend daliege, ist es mir wahrscheinlich wurscht, ob ein Dr. med. oder der nächstbeste Callcentermitarbeiter mir die rettende Kugelschreiberhülse in den Hals rammt, Hauptsache Sauerstoff. Aber wenn man, wie die Österreichische Gesundheitskasse, schon geschaffen wurde, um Milliarden zu sparen, und stattdessen hunderte Millionen gekostet hat, muss man sich wohl nach der Decke strecken. Schönes Wochenende!


Freitag, 2. Dezember 2022

Ganz anders

 

Heute, o überaus ordnungsliebende und gedächtnisstarke Lesehäschen, meldet sich euer Ergebener mit einem Anliegen in eigener Sache. Hat jemand mein Buch gesehen? Hier zeigt sich schon, wer liest und wer nur lesen kann. Den Ersteren ist klar, dass ich mehr als ein Buch besitze und dass „mein Buch“ jenes meint, das ich gerade lese. Beziehungsweise lesen würde, wenn ich es denn fände. Es klingt nämlich ganz nett, einen Zweitwohnsitz nutzen zu können, und ist es auch großteils. Jedoch geht damit viel Suchen einher, weil das Gewürz, das Küchengerät, das Werkzeug, das man gerade nötig brauchte, oder eben das Buch du jour am jeweils anderen Ort herumliegt, und zwar immer. Man kann sich darüber ärgern, man kann sich damit abfinden, oder man entscheidet sich für die einzig erfolgversprechende Lösung, indem man möglichst viel Glumpert doppelt kauft. Danke, willhaben! Bei Büchern ist das freilich nicht so prickelnd, wer will schon eine doppelte Bibliothek ansammeln.

Im Anlassfall ist die Sache besonders heikel, weil es sich um einen Teil einer Werkausgabe handelt, vier Bände im Schuber, und wenn da einer fehlt, wirkt das so charmant wie ein ausgeschlagener Vorderzahn.

Deshalb, ihr Teuren, falls euch Band 4 der ziemlich neuen Zsolnay-Werkausgabe von Mechtilde Lichnowsky unterkommt: Das ist eventuell meiner.

Natürlich könnt ihr das Buch, ehe ihr es mir wiederbringt, lesen. Ihr solltet sogar, denn bei etlichen Werken der Frau Lichnowsky läuft es einem kalt über den Rücken bei der Erkenntnis, dass jemand so großartig schreiben und dennoch so gründlich in Vergessenheit geraten kann. Lest An der Leine, lest Der Gärtner in der Wüste und lest ganz besonders Kindheit. Noch nie ist dem Zweckdichter etwas begegnet, das so selbstverständlich und unprätentiös daherkommt und sich dann beim näheren Hinschauen als nie Dagewesenes entpuppt. Hier warten Sprachbilder, die niemand zuvor gefunden hat, in einer fein gesponnenen und zugleich so kompromisslos entschlossenen Prosa, dass man nur immer weiterlesen will, sogar und gerade, wenn man erfährt, wie hundsgemein man nach heutigen Maßstäben als kleines adliges Mädchen im späten 19. Jahrhundert erzogen worden ist und wie selbstverständlich man doch zu einem Menschen aufwachsen konnte.

Das schönste Kompliment für Kindheit hat der nicht genug zu preisende Herr Z. gefunden, was niemanden verwundern wird, der ihn kennt. Darauf angesprochen, was er davon halte, erwiderte er, er gehe „wie auf Zehenspitzen“ durch den Text. Genauso ist es, meine Teuren: Man fürchtet geradezu, durch den Akt der Lektüre etwas in Unordnung zu bringen. In Hemingways Death in the Afternoon, seinem großen machismo-Gesang, gibt es irgendwo eine ziemlich schwülstige Stelle über einen Stierkämpfer, der so großartig ist, dass ihn zu töten ebenso verbrecherisch wäre wie die Federn am Halse eines Falken zu zerzausen, wenn man sie nie wieder in die Ordnung bringen könnte. So wie die Falkenfedern ist Lichnowskys Schreiben. Leset und werdet ein kleines bisschen glücklicher. Danach bringt mir bitte das Buch vorbei. Schönes Wochenende!


Freitag, 25. November 2022

Maul halten

Heute, liebe Lesehäschen, kommen wir nicht drumrum, da war doch was. Genau, die Fußball-WM, die sich tatsächlich manche anschauen, zumindest, bis es mit dem Advent so richtig losgeht, denn im Wettstreit der Lockungen von Punschstand und Ballkunst sieht euer Ergebener, was die österreichische Seele angeht, einen klaren Favoriten. Glücklicherweise, denn solange man noch hinschaut, sieht man eventuell nicht etwa eine sogenannte One-Love-Kapitänsbinde, sondern eine faule Ausrede für eine solche. Der Zweckdichter war zunächst mehr als geneigt, diese Binde für eine gute Sache zu halten. Denn wenn ein nicht so ganz heutiger Staat wie Katar sich für einen Haufen Schmier- und anderes Geld ein gigantisches TV-Spektakel holt, um sich zu einer echt bescheuerten Zeit auf der ganz großen Bühne besser darzustellen, als er ist, dann ist alles gut, was den PR-Gewinn am Ende geringer ausfallen lässt. So mein Kalkül.

Nach einer Diskussion mit dem Zweckdichterbalg bin ich da nicht mehr so sicher. Klar ist es löblich, den Kataris in ihre berechnete Suppe zu spucken. Die One-Love-Binde wäre aber so ziemlich der niedrigste moralische Verkehrsberuhigungshuppel, den man besteigen könnte, um dieses Ziel zu erreichen.

Denn euer Ergebener hat wenig Ahnung von Fußball. Aber es ist schon so, wie das Balg sagt: Da fahren gut bis sehr gut bis exzellent bis obszön bezahlte Spezialisten zur WM, obwohl sie alle schon seit Jahren ziemlich genau wissen konnten, unter welchen Umständen nicht nur die Vergabe zustande kam, sondern – viel schlimmer – unter welchen Umständen die Stadien errichtet wurden, in denen sie nun ihre hoch dotierten Kunststückchen aufführen.

Dort angekommen, kriegen sie plötzlich einen Moralischen und überlegen, ob sich der jeweilige Anführer die gedachte Binde umschnallen sollte. Diese ist ein Signal gegen eh alles, was der westliche Hipster nicht leiwand findet, nämlich, so Wikipedia, „gegen Ausgrenzung von LGBTQ+ Menschen [ohne den eigentlich nötigen Bindestrich, weil der nach dem + scheiße aussieht], aber auch gegen Rassismus und Antisemitismus“. Dagegen, Hackler wie Sklaven zu behandeln und reihenweise krepieren zu lassen, ist sie kein Signal. Ist sich halt nicht mehr ausgegangen.

Doch damit nicht genug: Die Fußballmillionäre haben sich dann doch gegen die Binde entschieden, weil die FIFA-Kumpane der Kataris nur allzu bereitwillig darauf hereingefallen sind und angefangen haben, wegen dem Schmarren mit gelben Karten zu wacheln.

Sie verzichten deshalb darauf, sich diese ziemlich billigen Moralpunkte zu holen, die man auch bekäme, wenn man einen Wiener Pensionisten zurechtwiese, der einem gleichgeschlechtlichen Paar hinterherpöbelt.

Stattdessen inszeniert sich zum Beispiel die Piefkeriege fotogerecht mit zugehaltenen Mündern. Dass die Herren damit weit beredter darüber Beschwerde führen, wie sie von der bösen Union aus bösem Verband und bösen Scheichs mundtot gemacht wurden als darüber, dass diese selbe Union eine ganze Menge Menschen ganz tot gemacht hat, scheint sie nicht zu kümmern. Was die Spieler da aufführen, beweist nur, dass das englische Sprichwort recht hat: You can’t have the cake and eat it. Man muss sich entscheiden, ob man moralisch am längeren Hebel sitzen oder bei der WM mitspielen will. Davon ausgenommen sind selbstverständlich die Iraner, die mit ihrer Weigerung, die Hymne zu singen, ein echtes Zeichen gegen ihr eigenes Regime gesetzt und dafür ein großes Risiko in Kauf genommen haben. Schönes Wochenende!



 

Freitag, 18. November 2022

Demut

 

Der Falter, o linkslinke Lesehäschen, ist ja eine nicht genug zu schätzende Institution im ansonsten eher mäßig diversen Biotop österreichischer Medien, wobei „Biotop“ hier durchaus so verstanden werden darf, wie es Jodok S., damals Mitschüler eures Ergebenen, im Biologieunterricht zirka 1987 auf den Punkt brachte: „A Biotop ischt a Dräckloh“, ein Biotop ist ein Dreckloch. Darin gedeihen bekanntlich Symbiosen, auf die man als Gebührenbeiträger gerne verzichtet hätte.

Jedoch hat auch der Falter noch Luft nach oben, zumindest, was die Qualität der Schreibe angeht. So kommt der Redakteurin innerhalb eines Artikels aus:

Der Beschuldigtenstatus der beiden […] Flüchtlinge […], er war jetzt offiziell.

Und auch: Schlafen, das konnte er dann zwei Wochen nicht.

Es ist ja nicht falsch, ein Satzglied so mit Komma hervorzuheben und dann einen Platzhalter nachzuschieben. Jedoch: Übertreiben, das soll man dabei bleibenlassen. Man erinnert sich dann wieder, warum es früher sogenannte Edelfedern gab. Eine Edelfeder war (meist) ein alter, weißer Mann, der von nichts wirklich Ahnung hatte. Das machte er dadurch wett, dass er sehr, sehr gut schreiben konnte. Zeitungen und Magazine ließen ihn tun, was er am besten konnte: Sie schickten Journalisten und Rechercheure hierhin und dahin, die Material zusammentrugen und ordneten, bis das Gerüst einer brauchbaren Story dalag. Dieses übergab man der Edelfeder, die daran ihre Magie wirkte und sich niemals dazu hinreißen ließ, ein hervorstechendes Stilmittel zweimal hintereinander zu verwenden. Ja, so war das damals.

Heute gibt es Vergleichbares noch für Amtsschimmelnostalgiker. Es war ja schon hie und da die Rede von Leckerbissen wie der Schulschwimmkanzlei oder den Schleifen, die einen das digitale Amt beschreiben lässt.

Wer aber seinen inneren Staatsbürger endlich wieder einmal so richtig gezüchtigt sehen will, weil man,  ein bisschen katholisch bleibt Österreich ja doch, schon etwas angestellt haben wird, der halte sich nicht mit Ämtern auf. Vielmehr begebe er sich stracks zur Österreichischen Gesundheitskasse, die, wir erinnern uns, aus diversen Krankenkassen zusammengestückelt wurde, um eine Milliarde Euro zu sparen und die stattdessen mehrere hundert Millionen Euro zusätzlicher Kosten verursacht hat.

Euer Ergebener nämlich tat desgleichen und rief den medizinischen Dienst an, weil Therapierechnungen des Zweckdichterbalgs abgelehnt worden waren, mit der Begründung, dass die Leistungen nicht von medizinischem Personal erbracht worden waren. Es ward ihm die Auskunft, er könne während der Öffnungszeiten ohne Termin vorbeischauen, um den Fall zu besprechen (immerhin interessant, weil die Therapieleistungen von medizinischem Personal nicht angeboten, jedoch von der behandelnden Ärztin empfohlen werden und nachweislich wirksam sind).

Dort angekommen, fragte ein „Schaltermitarbeiter“ (das ist jemand, der hinter einer Glasscheibe sitzt und Ankommende ausfratschelt, sich aber für etwas Besseres als einen Portier halten will), nach dem Begehr. Dies dargetan, beschied er euren Ergebenen, er möge sich trollen, weil die Leistung nicht übernommen werde. Als euer nicht mehr ganz so Ergebener darauf bestand, dass es ihm laut telefonischer Auskunft zustehe, die medizinische Frage mit jemandem vom medizinischen Dienst zu besprechen, verstieg sich die Schalteramöbe zu der Antwort: „Das tun Sie ja gerade.“

Mehr selbstherrlich frotzelnd präsentierte Amtsstubenherrlichkeit konnte man, o meine Teuren, selbst in den 70er Jahren von der österreichischen Bürokratie nicht erwarten. Bravo, und schönes Wochenende!

Freitag, 11. November 2022

Duell

 

Fasching, helau, oreore und überhaupt! Zwar dauert es noch ein Weilchen, bis die närrischen Tage so richtig in die Gänge kommen, aber spätestens dann zeigt sich in unseren Breiten, wer in der Stadt wohnt, weil die hemmungslose Einlassung auf fasnetliche Exzesse ja in Österreich, wie die eigenhändige Grabpflege, ein eminent ländliches Phänomen ist. In Deutschland ist das bekanntlich anders, da wird auch in dichter verbauten Gebieten saisonal die Sau rausgelassen.

Doch lustig ist das meist nur halb, wenn überhaupt. Also sprechen wir gleich über den Stoff großer Tragödien. Wir kennen ja die Geschichten von Macbeth und seiner Lady, von Othello und Jago, von Faust und Mephisto. Die größten Geister haben ihr Bestes gegeben, um die Katastrophen so recht fühlbar zu machen, die das Aufeinandertreffen konträrer Charaktere gebiert, wenn einer es gut meint und der andere vielleicht besser, vielleicht schlechter, aber jedenfalls auf moralisch tönernem Fundament.

Schade ist nur, dass sie bei der Auswahl geeigneter Protagonisten auf ihre Phantasie angewiesen waren und deshalb auf Paarungen verfielen, bei denen zwei einander halt nicht grün sind, aber ganz ehrlich, was ist das Schlimmste, das passieren kann, wenn ein Feldherr und sein Adjutant, ein Fürst und sein Berater sich in die Haare kriegen?  Hätten die Dichter das eine oder andere Bauprojekt angerissen, dann wären sie mit etwas Glück Zeugen eines Trauerspiels geworden, bei dem es auch im äußeren Ergebnis etwas auf dem Spiel steht und das wie kein anderes aus dem verseuchten Humus einer toxischen Beziehung zu wuchern vermag. Wir sprechen natürlich von jenem Grundkonflikt der condition humaine, der nicht nur ihre beiden Gegenspieler, sondern auch die umliegende Topographie nachhaltig in Mitleidenschaft zu ziehen vermag, jenem zwischen dem Polier und seinem Baggerfahrer.

Idealerweise wirkt dieses Paar in fruchtbarer Eintracht mit klar verteilten Rollen, wobei der Polier klare Anweisungen gibt, die der Baggerfahrer mit sanft, aber bestimmt geführter Schaufel treulich in die Wirklichkeit überführt, sodass Erde und Stein sich gerne der gestalterischen Absicht fügen.

Idealerweise.

Wenn du aber mittags den Blick vom Rechner hebst und dein Vorgarten aussieht wie Nordfrankreich nach der Somme-Schlacht, dann ahnst du, dass es zwischen den beiden nicht ganz so harmonisch läuft, wie es sollte. Die schlechte Nachricht lautet: Du hast zwar einen erstklassigen Platz Parkett Mitte. Aber mehr als zuschauen kannst du nicht. Genieße also, wenn auch unter Schaudern, wie das Drama sich entfaltet. Der Polier gibt, wie mit dir besprochen, Anweisungen. Der Baggerfahrer hat dazu seine eigene Meinung. Je nach Charakter widerspricht er oder grunzt zustimmend. Er kann sich beides leisten, denn am Ende sitzt er ja doch am längeren Hebel, beziehungsweise an den beiden einzigen Hebeln, die hier zählen, jenen, welche die Schaufel kontrollieren. Die Tragik liegt im Vis-a-vis von höherer Autorität des Poliers auf der einen Seite, die sich auf der anderen Seite der überlegenen Kraft des Baggers geschlagen geben muss. Es gibt, wie Adorno wusste, kein richtiges Leben im falschen. Und ein echter Polier ist erst, wer es geblieben ist, obgleich er diese Wahrheit auf einer Baustelle ertragen musste, die er mit den besten Absichten, aber einem schlechten Baggerfahrer betrat.

Die gute Nachricht: Der nächste Frühling kommt bestimmt, dann kann man da noch viel machen. Schönes Wochenende!

 

Freitag, 4. November 2022

Verzichtunmöglich

 

Angesichts dessen, o schwer zu verblüffende Lesehäschen, was heute alles möglich ist, dass man vor einem Jahr für ausgeschlossen gehalten hätte (Putin überfällt die Ukraine, Thomas Schmid packt aus, Sobotka sitzt einem Ausschuss nicht vor), ist es umso erstaunlicher, was das Suffix (für die Nichtlateiner: Wortanhängsel) -unmöglich vorlegt: Es breitet sich aus wie das Drüsige Springkraut, das deshalb so heißt, weil es seine Samen derart weit von sich zu schleudern vermag, dass jetzt kein doofer Pornowitz folgt, sondern dass es dadurch Straßen überwinden kann, um auf der anderen Seite weiterzuwuchern.

Vor sagen wir zehn, fünfzehn Jahren gab es dieses Suffix noch gar nicht, wenn sich euer Ergebener recht entsinnt. Und heute ist es allgegenwärtig:

Was man nicht in Worte fassen kann, ist sagunmöglich. Was man nicht derglengt, ist erreichunmöglich. Was jeglicher Unbill trotzt, ist kaputtunmöglich. Wem keine Waffe etwas anhaben kann, der ist verwundunmöglich, was ihn wahrscheinlich auch so ziemlich verwechselunmöglich macht. Was einem in die Augen springt wie zwei bunte Hunde mit leuchtstiftgelben Hahnenfedern im Hintern, das ist übersehunmöglich. Und so weiter.

 

Ist natürlich alles Blödsinn, meine Lieben. So weit ich sehe, gibt es genau ein Wort, dem irgendwer irgendwann ein -unmöglich angehängt hat, nämlich denk-. Rätselhaft bleibt, warum zum Geier er (oder sie oder xie) sich das unterlaufen hat lassen. Bis dahin war das Wort denkunmöglich nämlich schlicht undenkbar.

 

Vollrohr denkbar ist hingegen, dass man ins Kino geht, um sich einen sehenswerten Film reinzupfeifen. Deshalb gibt es heute kein Feedback der Woche, nur den diesbezüglichen Hinweis, dass es nicht gerissen ist, den bestimmten Artikel zum Namensbestandteil eines Produkts zu machen und dann dessen Deklination zu verbieten. Es ist mir ausdrückschwer, aber irgendwie strauchle ich bei Formulierungen wie Aufführungen im „Das Theater“. Ist wahrscheinlich ein Geburtsfehler.

Aber zurück zum Kino und damit zu einer gemeinen Filmempfehlung. Gemein deshalb, weil der Film erst im Dezember anläuft. Euer Ergebener hat es aber erstmals im Leben zur Viennale geschafft (nicht durch eigenes Arschhochkriegen, sondern dank einem vom Zweckdichterbalg in denselben verabreichten Tritt) und kann deshalb berichten, dass Women Talking überaus sehenswert ist, ja, ein Kinobesuch ist diesfalls nachgerade unverzichtbar. Es geschieht tatsächlich kaum etwas, als dass Frauen miteinander reden. Doch worüber und wie sie reden, das sollte man sich nicht entgehen lassen. Es sei denn, man ist hart woke drauf, denn in Sachen Diversität ist der Streifen (so sagte man früher, wenn man zu cool war, um einfach „Film“ zu sagen) so ziemlich margarita (margarita sein: kaum gebräuchliche Wendung, die besagen will, dass etwas oder jemand ebensowenig drauf hat wie die gleichnamige Minimalpizza).

 

Schönes Wochenende!

Freitag, 21. Oktober 2022

Kopf ab

 

Kürzlich, o eigenverantwortliche Lesehäschen, geriet euer Ergebener unvermutet in eine Diskussion über die Abtreibung, welches Thema dank Trumps höchstrichterlicher Hinterlassenschaft wieder gar unerquicklich aufgepoppt ist. Hierzulande gilt ja seit bald 50 Jahren die sogenannte Fristenlösung, die einen Schwangerschaftsabbruch in den ersten drei Monaten straffrei stellt.

Das ist natürlich erfreulich im Sinne der Selbstbestimmung der betroffenen Frauen (sofern das überkommene binäre Konstrukt der „Frau“ in einer zeitgemäßen Diskussion überhaupt noch eine Rolle spielen darf, vielleicht sprechen wir besser von „gebärfähigen Menschen“?). Ins Grübeln kommt man aber, wenn man erfährt, dass sich in Österreich pro Jahr zwischen 12 und 20 von 1.000 „Frauen“ zu dem Eingriff entschließen, was 20.000 bis fast 40.000 Abtreibungen jährlich ergibt. Das scheinen mir angesichts der flächendeckenden Verfügbarkeit bewährter Verhütungsmittel nicht wenige zu sein. Ich weiß ja nicht, wie ihr dazu steht, aber der Zweckdichter hofft, dass Föten aus dramatischeren Gründen dran glauben müssen als „wir waren 16 und irgendwie doof“. In Deutschland, das, ohne ins Detail gehen zu wollen, in vieler Hinsicht ähnlich zivilisiert ist, sind es mit 5,6 auf 1.000 Frauen nicht einmal halb so viele, wie es in Österreich (wo keine Statistik geführt wird) mindestens sind, und es wäre vermessen, daraus zu schließen, dass die Deutschen höchstens halb so oft Sex haben. 

Nun ist so eine Abtreibung wahrscheinlich immer eine traurige Angelegenheit und ebenso wahrscheinlich viel zu oft eine, deren Klärung an der Frau hängen bleibt (beziehungsweise, damit sich niemand auf das Phallussymbol getreten fühlt, dem gebärfähigen Teil jener Menschenkombination, die gemeinsam einen Dritten hervorgebracht hat). Wie lässt sich einerseits mehr deutscher Ernst in die Überlegung bringen und andererseits der samenproduzierende Teil der Erzeugerschaft stärker in die Entscheidungsfindung einbinden? Da es, darum brauchen wir nicht herumzureden, um Leben und Tod geht, ist vielleicht dies der Ort für radikale Gedanken, womit folgender Vorschlag zu erörtern wäre:

Erstens bleiben natürlich Abtreibungen bei unmündigen Müttern, nach Vergewaltigungen und bei schwangerschaftsbedingten medizinischen Komplikationen sowieso außer Diskussion.

Zweitens aber muss in allen anderen Fällen, in denen die Schwangere sich (zweifellos schweren Herzens) für einen Abbruch entscheidet, alles Menschenmögliche unternommen werden, des Vaters (bleiben wir bei diesem handlichen, wenn auch unzeitgemäßen Begriff) habhaft zu werden. Wenn man sich seiner Person versichert hat, darf die Mutter (was soll’s) ihre Entscheidung bestätigen oder, gerne in Absprache mit ihm, revidieren. Zieht sie die Abtreibung durch, dann wird er hingerichtet. 

Nur in Ausnahmefällen, wenn es wirklich unmöglich scheint, den Vater aufzutreiben, ist eine Abtreibung ohne Hinrichtung (oder einen der oben erwähnten Ausnahmegründe) statthaft.

Damit stiege die Wahrscheinlichkeit, dass selbst überdurchschnittlich bescheuerte Hodenträger es sich zweimal überlegen, bevor sie „eh aufpassen“; die Geschwängerten müssten nicht alleine klarkommen (und zwar idealerweise schon, bevor es soweit ist); und der Ernst der Lage wäre allen klar.

Ich will nicht ausschließen, dass diese Lösung übers Ziel hinausschießt. Wem fällt was Besseres ein? Schönes Wochenende!

Freitag, 14. Oktober 2022

Preise

 

Wir sind wieder einmal Nobel, o forschungsbegeisterte Lesehäschen! Das sorgt in der Umgebung eures Ergebenen für die eine oder andere Welle („ich hätte doch zusagen sollen, als mir der Zeilinger ein Diplomthema angeboten hat“), aber nicht nur dort. Denn die Nobelpreise sind zuwenig divers, blöd aber auch, weshalb sie in diversen Kommentaren umgehend in den Verdacht geraten, unzeitgemäß, übertreiben weiß und sonst noch was zu sein.

Bei solchen Auslassungen lässt der Zweckdichter gern die FIS-Kristallkugelgewinner der letzten zehn Jahre Revue passieren und muss feststellen, dass aktuell so genannte Persons of Color dort nicht massiv unterrepräsentiert, sondern überhaupt nicht vorhanden sind. Ganz zu schweigen davon, dass die Schiverbände sturheil am binären Geschlechterschema festhalten und den Männern die einen, den Frauen die anderen Kristallkugeln überreichen wollen, während alles dazwischen kugellos ausgeht. Schlimm ist das, und wenn man glaubt, es hätte etwas mit dem Wintersport und vielleicht mit einem bergverseuchten, schröcksnadelig vererbten Menschenbild zu tun, der betrachte im Vergleich dazu etwa den olympischen Marathon (der Männer), wo von den letzten zwölf Stockerplätzen elf an obgedachte Persons of Color gingen. Anders, aber auch nicht besser. Es ist hoch an der Zeit, dass das olympische Komitee in sich geht und vorurteilsfrei hinterfragt, ob Regeln, die eine bestimmte Menschengruppe offensichtlich derart bevorzugen, heute noch zeitgemäß sind.

Nun sollen es also im Vergleich dazu Wissenschaft und Literatur richten. Die Frage ist, ob man mit dieser Forderung eventuell vom Regen in die Traufe kommt. Denn wie man weiß, ist nur etwa jeder 500. Mensch Jude, aber so zirka jeder fünfte Nobelpreisträger. Wer also fordert, dass die Nobelpreise diverser werden müssen, fordert damit auch, dass sie weniger jüdisch werden, was man jetzt so oder so verstehen kann. Nachdem heuer schon die documenta in Sachen Antisemitismus etwas geleistet hat, was mit der amerikanischen Redewendung shat the bed am treffendsten umschrieben ist, würde ich mir als Nobelkomitee eine Weile überlegen, was da am gescheitesten ist. Wenigstens hat man mit der heurigen Preisträgerin für Literatur nicht nur eine Frau gekürt, sondern auch gleich eine Frau, die zum Beispiel im Sinne der Völkerverständigung gegen den israelisch-französischen Kulturaustausch eingetreten ist, weil das „whitewashing“ sei, wobei jetzt bitte jeder selber googlet, ob sie dabei den Gazastreifen oder vielleicht doch das Vichy-Regime im Kopf hatte.

Wo aber Diversität zum Selbstzweck wird, wächst das Achtsame auch, und zwar bisweilen, wo man es am wenigsten vermutet hätte. Früher nämlich konnte man ein Dokument schreibschützen, ehe man es weiterschickte. Der Empfänger konnte es dann öffnen und lesen, aber nicht verändern. Man hatte als Urheber die Wahl, von dieser Möglichkeit Gebrauch zu machen oder nicht. Nun gibt es anscheinend eine dritte Option, denn als euer Ergebener neulich ein Doc öffnen wollte, poppte in einem Dialog der Satz auf: „Dem Autor wäre es lieber, Sie würden dieses Dokument schreibgeschützt öffnen.“

Man hat dann als User die Wahl, ob man auf diese passiv-aggressive Fopperei eingeht oder ob man drauf pfeift und sich ein ganz kleines bisschen schlecht fühlt. Besorgt stimmt unsereinen die Tatsache, dass es offenbar so viele Leute gibt, die sich nicht entscheiden können, ob sie einen Schreibschutz verhängen wollen oder nicht, dass sie für diese Unentschlossenheit eine Softwarelösung nicht nur erwarten, sondern auch bekommen. Was das für Waffenlieferungen an die Ukraine heißt, bleibe dahingestellt. Schönes Wochenende!

Freitag, 7. Oktober 2022

Anschaffen

Wann, o achtsame Lesehäschen, habt ihr eigentlich zuletzt jemandem etwas befohlen? Ein „Komm!“ in Richtung Vierbeiner zählt nicht, und wenn der Zweckdichterhund ein auch nur entfernt aussagekräftiges Beispiel liefert, wäre es auch meist vergebene Liebesmüh, wobei jener zusätzlich zum generellen Beagletum mittlerweile auch noch die Ausrede der partiellen Taubheit geltend machen kann.

Habt ihr aber in letzter Zeit einem anderen Menschen etwas, wie in Ostösterreich üblich, angeschafft (während man früher auch weiter nordwestlich jemandem etwas zu schaffen, allerdings nicht anzuschaffen, pflegte)?

Dachte ich mir. Und ehrlich: Man merkt’s. Der Imperativ ist, knallhart gesagt, der Genitiv der 2020er-Jahre, dem der Dativ bekanntlich längst den Garaus gemacht hat. Liegt es daran, dass sich niemand mehr traut, vom anderen etwas zu fordern, während wir stattdessen nur fragen, ob es vielleicht ginge, dass, oder ob man so nett ist (nicht „sei“, das wäre zu korrekt), oder mal Zeit hätte und so weite?

Dafür spricht, dass die besonders klaren Befehlsformen ohne Schluss-e immer seltener zu werden scheinen. „Nenne mich bei meinem Lieblingspronomen“, nicht aber „nenn“, „ruf-e“ mich an, „geh-e zur Impfung“ – anscheinend brauchen wir das vokale Abschiedsstreicheln des E am Ende, damit wir uns nicht auf den Schlips getreten fühlen. Wirklich erforderlich ist es ja nur bei Verben, deren Stamm auf -eln oder -ern endet: Natürlich kann man nicht „samml“ sagen, sondern „sammle“ („sammel“ ginge freilich). Und Verben auf -d oder -t befehlen sich mit e einfach shmoover: rede mit mir und rate mir. Ansonsten aber käme man auch ohne E aus, und euer Ergebener ist davon überzeugt, dass einem Befehl ohne E mehr Überzeugungskraft innewohnt. Deshalb kommt auch niemand auf die Idee, dem Flocki komme! oder sitze! zuzurufen, weil dann jedem Hundianer sofort klar wäre, dass man es eh nicht so ernst meint.

Noch erstaunlicher ist die Geschwindigkeit, mit der die starken Imperative sich in Luft auflösen, da kann mancher Gletscher nicht mithalten. Ob die Postbusfirma mit der Aufforderung „bewerbe dich“ neue Lenker sucht oder der Fastfoodriese mit der Aufforderung „vergesse nicht“ an uns herantritt – je nun, man muss wohl froh sein, dass man, brächte man es denn übers Herz, immer noch etwas „befohlen“ hätte anstatt „befehlt“. Dass freilich selbst einer studierten AHS-Lehrerin ein „Lese genau!“ in roter Korrekturtinte aus dem Stift rinnt, kann man nur zurückspielen: Tun Sie desgleichen, und zwar im Duden, allwo man die Formen unregelmäßiger Verben jederzeit recherchieren kann.

Beziehungsweise: Sieh im Duden nach, geschätzte Lehrperson, und finde dort heraus, dass der Imperativ von „lesen“ weiterhin „lies“ lautet. Gehabt euch wohl und genießt das Wochenende!  

Freitag, 30. September 2022

Mittagstisch

 

Falls sich jemand fragt, wie das Fädenziehen beim Zweckdichterhund vonstatten gegangen ist: gar nicht. Der Operateur war anderweitig gebucht, die Fäden im Hundeinneren wurden aber resorbiert, sodass der hervorstehende Teil einfach abgefallen ist. Manchmal erledigen sich Dinge auch von selber.

Damit, geliebe Lesehäschen in Christo, zu einer anderen Frage: Wisst ihr, was es mit dem kommenden Montag auf sich hat? Beziehungsweise: was gestern für ein Tag war?

Es sei euch verraten: Gestern war Michaeli, also der Tag des Erzengels Michael, der bekanntlich Satan vom Himmel hinabstürzte. Das mit Satan ist jetzt aber nicht so wichtig., zumal das ohne viel Aufhebens vonstatten ging und ohne dass Intellektuelle Unterschriften dafür sammelten, dass Gottvater dem Teufel einen Teil der eroberten Gebiete dauerhaft überlasse.

Vielmehr müssen wir darüber reden, was es mit dem Montag nach Michaeli auf sich hat. Es ist der sogenannte Liachtbratlmontag. Dieser Brauch, so weiß ein Wikipedist zu berichten (Gendern ersparen wir uns auf Verdacht, weil Wikipedia ja größtenteils von hodenbehangenen Beiträgern bestückt wird), war einst weit verbreitet und noch vor hundert Jahren sogar in Wien nicht unbekannt. Heute kennt man ihn noch im Inneren Salzkammergut, und in Bad Ischl wird er so gründlich begangen, dass er sogar Weltkulturerbe geworden ist.

Früher nämlich stellte die Beleuchtung der Arbeitsräume für Betriebe einen nicht zu unterschätzenden Kostenfaktor da, weil man entweder teures Petroleum oder noch teureres Walöl (I shit you not) in die Lampen schüttete. Das war so ähnlich wie heute, wo alle angehaltenen Atems auf die Stromabrechnung warten, nur dass man es damals schon vorher gewusst hatte und eventuell mutige Männer in kleinen Boten große Meeressäuger dafür abschlachten mussten. Deshalb atmete der Meister auf, wenn entweder die Sonne so kräftig hereinschien, dass man keine Lampe brauchte, oder wenn es im Freien warm genug war, um die Belegschaft hinauszustampern, damit sie draußen beim Schein der Gelben Sau feinmechanische Arbeiten verrichtete.

Vor lauter Dankbarkeit investierte der Inhaber einen Teil des so Ersparten traditionell in ein mittägliches Bratenmahl, das eben am Liachtbratlmontag zu verzehren war, dem ersten Tag, an dem man zum Arbeiten wieder künstliche Beleuchtung brauchte.

Dieser schöne Brauch könnte eine zeitgemäße Wiederbelebung vertragen, wobei den Arbeitnehmern künftig ungeahnte Genüsse blühen dürften. Denn beim aktuellen Stand der Energiepreise wird sich der Chef geradezu lumpig vorkommen, wenn er seine Getreuen mit einem Braten abspeist. Mit Liachtausternmontagen und Liachtfiletsteakmontagen wird man nicht zu hoch kalkulieren. Zu klären bleibt einzig, ob auch in den Büroräumen der österreichischen Wasserkrafterzeuger im Sommer das Licht ausbleibt und ob die hereinrauschenden Übergewinne in die Montagsgestaltung einfließen, in welchem Fall einem Liachtfinediningmontag wohl nichts mehr im Wege steht. Mahlzeit und schönes Wochenende!

Freitag, 23. September 2022

Einfrieren

Mit der Wertschätzung kultureller Hervorbringungen ist es, meine lieben und stets aufnahmefähigen Lesehäschen, eventuell so eine Sache. Dass der Musikgeschmack von Ottilie Normalhörerin so ab 30 allmählich erstarrt, ist ja bekannt. Nur die wenigsten unter uns bleiben bis ins reife Alter von sagen wir 50 noch so interessiert und beweglich, dass sie die aktuellen Newcomer im Popbereich auf Spotify oder gar in den Plattenladen zu locken vermögen.

So weit, so gut. Doch was heißt das für andere Disziplinen? Die Frage stellt sich, weil euer Ergebener in letzter Zeit einerseits Eraserhead zum ersten und Night of the Hunter zum wiederholten Male sah, was beides rundum erfreuliche Erfahrungen waren.

Andererseits gab es auch Uncut Gems von den hochgelobten Safdie-Brüdern mit dem diesfalls ebenfalls hochgelobten Adam Sandler. Das fand euer Zweckdichter anstrengend, wenig lohnend und streckenweise schlicht unglaubwürdig.

Liegt das daran, dass man wie bei der Musik, so auch beim Film irgendwann steckenbleibt und sich sicherheitshalber nur noch Streifen reinpfeift, die die Probe der Zeit bereits bestanden haben? Oder ist es ein Zeichen, dass mancher Film, den heute viele super finden, an ebendieser Probe eventuell scheitern wird? Wer’s weiß, gewinnt ein handwarmes Dosenbier.

Ebenfalls erfreulich, aber vergessen, und zwar zu Unrecht: das Werk von Mechtilde Lichnowsky, das kürzlich bei Zsolnay wieder erschienen ist. Gut angelegte 60 Euro, wenn ihr mich fragt. Irritierend ist nur, dass die Gute immer wieder „nach vorwärts“ oder „nach rückwärts“ geht. Aber die Ausgabe ist chronologisch angelegt, vielleicht kommt sie also noch drauf, dass hier was doppelt moppelt. (Wer grade am Handy rumgedrückt hat, anstatt aufzupassen: Die beiden Wörter tragen die jeweilige Richtung schon in sich, weshalb man voll shmoov von einer Vorwärtsbewegung sprechen kann und nicht von einer Nachvorwärtsbewegung. Sie bedeuten also schon „nach vorne“ respektive „nach hinten“. Wer „nach vorwärts“ schaut, schaut deshalb „nach nach vorne“, und wer macht denn sowas.)

Noch etwas, das länger überdauert, als man gedacht hätte: Zwei Stiche am Bauch vom Zweckdichterhund. Der hatte nämlich ein dickes Lipom an der Brustseite. Weil es im Weg war, wurde es entfernt, die Narbe ist doppelt so lang wie die, durch die mein Blinddarm mich verlassen hat. Die meisten Stiche hat der Tierarzt (nicht der Operateur, der andere) entfernt. Aber bei den letzten beiden hat sich das Vieh dermaßen gebärdet, dass der Tierarzt gemeint hat, das könne man vielleicht in Eigenregie machen, wenn er schlafe.

Habt ihr schon einmal so fest geschlafen, dass ihr es nicht mitbekommen hättet, wenn jemand mit einer Nagelschere durch eine Fadenschlaufe in eurer Bauchdecke fährt, um die abzuknipsen?

Ich auch nicht.

Deshalb heute also wieder Besuch, nämlich beim Operateur. Der hat so viele helfende Hände in seiner Praxis, dass es gelingen wird, den Kerl ausreichend lange und stabil zu fixieren, damit er auch die letzten Spuren der OP loswird. Und dann: Schönes Wochenende!


 

Freitag, 16. September 2022

Jump


O strebsame Lesehäschen, ihr habt ja nie für die Schule, sondern stets nur für das Leben gelernt, wie sich das gehört. (Freilich habt ihr da wahrscheinlich auch fürs Leben gelernt, was mit leeren Schulmilchpackungen passiert, wenn man sie von Anfang Mai bis Ende Juni unter der Bank reifen lässt und warum man sich ducken sollte, wenn ein nasser Schwamm in deine Richtung fliegt.)

Aus gegebenem Anlass darf ich euch sagen: Wenn man sich dahinterklemmt, kann man der Schule sogar Lebenszeit abzwicken, die man dann eventuell nutzt, um noch ganz andere Sachen zu lernen (zum Beispiel, wie das ist, wenn man nach weniger als zwölf Jahren Schule maturiert). Man darf nämlich, so sieht es das Schulunterrichtsgesetz vor, Klassen überspringen, und zwar maximal eine jeweils in der Volksschule, Unter- und Oberstufe. Dies bietet sich an, wenn einem sehr fad ist oder wenn einem Leute, deren Gegenwart man in der angestammten Klasse schwer ausweichen kann, einem sehr auf den Senkel gehen. In letzterem Fall könnte man natürlich auch innerhalb eines Jahrgangs die Klasse wechseln, aber ehrlich, wenn man sich das schon antut mit Spind ausräumen, den richtigen Platz in neuer Hackordnung finden und so, dann kann dabei auch gleich ein Bonusjahr herausschauen, oder?

Das Zweckdichterbalg plant sich für die Nutzung seines dann eben schon erledigten zwölften Jahres von dem Buch My Year of Rest and Relaxation inspirieren zu lassen, dessen Erzählerin den vielversprechenden Versuch startet, ein Jahr möglichst vollständig zu verpennen (diesfalls natürlich mit entsprechender chemischer Unterstützung). Man wird sehen, ihr werdet auf dem Laufenden gehalten.

Das Procedere selbst ist von geradezu unösterreichischer Schlichtheit etwa im Vergleich zur Organisation eines Schwimmkurses für eine dritte Volksschulklasse: Man teilt dem Klassenvorstand sein Ansinnen per E-Mail mit, und „die Klassenkonferenz befindet“ bei nächster Gelegenheit darüber, also normalerweise zum Semesterende. Volkstümlich gesprochen: Die Lehrer der Klasse stimmen ab, was natürlich so etwas wie einen Wahlkampf möglich macht, also schau vielleicht, dass du es dir nicht mit allen verdirbst.

Nachdem deinem Antrag stattgegeben wurde, stehen in der Regel die Sommerferien an, danach ziehst du freudvoll und motiviert in die übernächste Klasse ein. Dort erwartet dich erstens die immer wieder, wenn auch meist etwas, zögernd, gestellte Frage, ob du wirklich so klug bist oder ob du dir nur ein Jahr Schule ersparen wolltest – hier empfiehlt sich Ehrlichkeit. Vorher aber ist die Frage, was du in den Sommerferien am gescheitesten anfängst. Du könntest natürlich einfach herumsumpern, den lieben Gott einen guten Mann sein lassen und abwarten, was passiert.

So wie du gestrickt bist, wirst du aber wohl eher pauken. Hier gilt es einen Fallstrick graziös zu überhüpfen. Denn du bist natürlich versucht, dir den Stoff des übersprungenen Jahres einzuverleiben, um dann problemlos mitzuhalten. Kann man machen, ist aber nur der zweitbeste Weg. Gerissener ist es, den Stoff des kommenden Jahres vorzulernen, mithin durch Kompetenz zu glänzen und den übersprungenen Stoff dann unter dem Jahr ganz entspannt allmählich aufzulesen.

Gutes Gelingen und schönes Wochenende!


Freitag, 9. September 2022

Doppelbelastung

 

Das war’s jetzt also, o monarchieverliebte Lesehäschen, nach 70 Jahren. Irgendwo verlautete, dass Tony Blair der erste Premier war, der schon unter der Regierung Elizabeth’ II. geboren wurde, was weniger dramatisch ist als die Tatsache, dass euer Ergebener noch studiert hat, als Blair Premierminister wurde.

Interessanter ist aber sowieso, dass wir anlässlich des royalen Ablebens wieder einmal mit der Nase auf die Existenz einer Sorte von, nunja, Journalisten gestoßen werden, bei denen man sich fragt, wovon die eigentlich leben, wenn gerade kein gekröntes Haupt ein Bankl gerissen hat: die Herrschaften von der Hofberichterstattung. Tatsächlich zahlt es sich anscheinend aus, die Öffentlichkeit über das Befinden von Leuten informieren, die nicht nur keiner der Leser kennt, sondern die auch längst nichts mehr zu sagen haben. Freilich, die Kardashians interessieren auch, also was soll’s.

Trotzdem kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die Expertinnen und Experten für Schlossbewohner es nicht so unbedingt mit dem Ganz-fertig-Denken haben. So gab sich euer Zweckdichter gestern eine Fernsehdoku über Elizabeth, in der wieder und wieder betont wurde, wie sehr die Verstorbene das Frauenbild der 50er Jahre wandelte, weil sie eine working mom war. Ungefähr eine Viertelstunde lang ging das so in Dauerschleife, und während zwar einmal erwähnt wurde, dass die Queen sich ihren Regierungsgeschäften widmen konnte, weil ihr Mann zuhause blieb und sich um die Kinder kümmerte, wurde keine Silbe darüber verloren, dass dies nichts mit der Realität der Millionen Frauen zu tun hatte, deren Bild dadurch gewandelt wurde, weil deren Männer bestenfalls mit amüsierter Verblüffung reagiert hätten, wäre das Ansinnen an sie herangetragen worden, sie sollten doch daheimbleiben und care work leisten.

Die Gute hat also das Bild der Frau vermutlich dahingehend gewandelt, dass man bis dahin ein Bild sah, wie die Frau auf dem Kinderbetreuungsstuhl saß, der Mann auf dem Brötchenverdienstuhl. Das Beispiel der Königin konfrontierte die Frauen mit der Erwartung, auf beiden Stühlen zugleich sitzen zu können, sodass jene unsanfte Landung vorprogrammiert war, deretwegen heute immer nach mehr Kinderbetreuung geschrien wird.

Zwar wurde bisweilen kritisch angemerkt, dass die Kinder halt schon wenig von der Mama hatten, dass der kleine Charles sie nur zweimal des Tages zu Gesicht bekam und sich dann mit einem Diener verabschieden musste. Da haben es die Bürgerlichen schon viel gemütlicher. Für euren Kolumnator genügt da ein Blick aus dem Fenster: Wenn gegen 7 Uhr früh die Dreijährigen aus dem Cayenne geladen und für die nächsten neun bis zehn Stunden in den Kindergarten verfrachtet werden, weil M & P beide auf dem Brötchenverdienstuhl sitzen, um den Cayenne und den Kindergarten zu finanzieren, müssen sie keinen Diener machen. Sie können, wenn sie wollen. Sie können auch heulen, wenn sie wollen. Aber Hauptsache, sie verschwinden im Kindergarten, mit oder ohne Diener bzw. Geheul.

So ist das mit dem Familienleben des gehobenen Bürgertums im Vergleich zu Königshäusern. Schönes Wochenende!

Freitag, 2. September 2022

Wahrheit

 

Geht es auch euch, ihr einst so unerschrockenen Lesehäschen, so, dass eure Neugierde allmählich der Vorsicht weicht?

Früher, so denkt man zumindest, war man (vielleicht jugendbedingt) eher bereit, für Erkenntnisgewinn ein bisschen was zu riskieren, und sei es nur die Erkenntnis, was passiert, wenn man fünf Herrengedecke (für Brave: ein Bier und ein Schnaps) hintereinander verzischt.

Wenn einem damals jemand anvertraut hätte, er kenne da wen, der glaube allen Ernstes, die Erde sei eine Scheibe, dann hätte man den doch gern kennenlernen wollen. Einfach, um zu erfahren, wie einer so drauf ist, der die gröberen naturwissenschaftlichen Fortschritte der letzten, puh, zweieinhalbtausend? Jahre lieber überspringt.

Heute geht es uns anders. Euer Ergebener hat letzten Monat gleich von zwei verschiedenen Freunden erfahren, dass sie jemanden kennen und so weiter. Will man mit demjenigen immer noch Bekanntschaft schließen? Wohl kaum. Lieber nicht anstreifen, man glaubt schließlich zu wissen, was einen da erwartet: eine Mischkulanz aus Scheibenlehre, Impfschadensklagen, Reichsbürgertum und Trumputinismus. Wie verlautet, haben die Flatearther sogar einmal ein Experiment veranstaltet, um ihre Theorie zu beweisen, mit Hilfe zweier weit voneinander entfernter Teams, die jeweils eine Säule mit einem Loch darin errichten mussten, durch welches das jeweils andere Loch ja sichtbar sein musste. Der Fehlschlag bewies, dass eines der Teams von Musk/Gates/Soros/demmilitärischindustriellenkomplex bestochen war.

Selbst den Flatearthern blieb es also nicht erspart, am eigenen Leibe zu erfahren, wie recht unser vielgeliebter Herr Innenminister allzumal hat. Dieser sprach ja neulich im Interview die geflügelten Worte: „Die Empirie, die Wissenschaft ist das eine, die Fakten sind das andere.“  Wer schon draufgekommen ist, dass dieses geistige Schwergewicht einst BWL studiert hat, ist gleich ein bisschen weniger verblüfft, besonders, falls er, wie euer Zweckdichter, schon die eine oder andere wirtschaftswissenschaftliche Arbeit zu lektorieren hatte. Restverwunderung bleibt lediglich ob der Tatsache, dass man im BWL-Studium nicht einmal zwingend mitbekommt, was „Empirie“ bedeutet.

Die Flatearther haben jedenfalls empirisch mitbekommen, dass ihre Wissenschaft mit den Fakten nur dann in eins zu bringen ist, wenn sie sich damit abfinden, Verräter in ihrer Mitte zu wissen.

Wir anderen hingegen, denen klar ist, dass „empirisch“ ein anderes Wort für „faktenbasiert“ ist, wir haben keine Verräter unter uns. Stattdessen ist uns ein innerer Schweinehund gewachsen, der uns davon abhält, die Flatearther, 9/11-Truther, Gatesimplantatverkünder und all die anderen Freaks aus der Nähe zu betrachten. Denn der Schweinehund hat Angst, dass die Freaks uns stalken, doxxen, hauen oder sonstwas könnten.

Doch gibt es einen Lichtblick. Mit dieser Einstellung kann unserer innerer Schweinehund immer noch Innenminister werden. Viel Glück dabei, und schönes Wochenende!