Freitag, 17. Dezember 2021

Erleuchtung

 

Bevor wir uns, o festlich gestimmte Lesehäschen, in die Feiertage vertschüssen, bleibt es uns nicht erspart, zwei peinliche Fragen auf den Seziertisch zu hieven. Die erste betrifft The Raven, Edgar Allan Poes mit Recht berühmtes Gruselstück. Wie natürlich alle parat haben, sitzt das (Obacht, Prüfungsstoff!) lyrische Ich nachts in seiner Kammer und versinkt in düsterem Grübeln. Da klopft ein Rabe ans Fenster, findet Einlass, flattert auf eine Pallasbüste, die oberhalb der Zimmertür hängt, und ist von dort nicht mehr wegzubringen.

Darin steckt viel Wahrheit, weil ja allseits bekannt ist, dass Vögel gern auf Standbildern sitzen, um sich dortselbst zu erleichtern. Schlimmer als die vermutlich stattfindende Entleerung des Geflügels ist aber, dass die Lampe dessen Schatten auf den Boden wirft und die Seele des Ichs in diesem Schatten gefangen bleibt. Böse Sache, aber nun zur Frage: Wo zum Geier oder besser: zum Raben hängt die Lampe?

Denn der Rabe sitzt ja auf der Büste oberhalb der Tür, und sein Schatten fällt auf den Fußboden. Damit der Rabe sich zwischen Lampe und Schatten befindet, muss die Lichtquelle nicht etwa an der Decke hängen, sondern an der Wand direkt oberhalb der Büste.

Ich fürchte, da hat es Poe mit der dichterischen Freiheit ein bisschen übertrieben. Dorthin hängt doch niemand eine Lampe!

Wo die Lampe ist, fragt sich bisweilen auch, wer etwas von der Identitätspolitik mitkriegt. Denn es gibt einen Max Czollek, der sich einen Namen damit gemacht hat, dass er publizistisch harte jüdische Positionen bezieht, nicht ohne sich dabei auf seine Identität als Jude zu berufen. Allerdings ist Max Czollek kein Jude nach den meistenteils anerkannten Regeln, wonach sich das Judentum über die mütterliche Seite vererbt, sondern ein sogenannter Vaterjude, da er einen jüdischen Vater, aber keine solche Mutter hat. Noch allerdingserer ist er aber, wie nun bekannt wurde, auch kein Vaterjude, sondern er hat einen jüdischen Großvater, ist also das, was die Nazis einen Vierteljuden nannten.

Das ist für all jene ein Problem, die Max Czollek gut finden, aber seine jüdische Identität als Voraussetzung für seine publizistischen Positionen sehen. Dieser ideologischen Nuss nahm sich eine Knackerin namens Jana Hensel kürzlich in der ZEIT an, zumal sie sich selbst als „Anhängerin der Identitätspolitik“ outet. Auf ungefähr einer Seite (und die ZEIT hat bekanntlich große Seiten) schwurbelt sie sich durch die Problematik, von der doch in Wahrheit nichts übrig bleibt als dieses: Man kann natürlich der Ansicht sein, dass Max Czollek ungeachtet seiner Herkunft wichtige, richtige oder zumindest diskussionswürdige Positionen vertritt. Wenn man aber identitätspolitisch überzeugt ist, dann darf man dieser Ansicht nur sein, wenn einem Max Czollek als Jude gilt. Und das ist genau dann der Fall, wenn man sich die Sicht der Nazis zu eigen macht.  Deshalb wünsche ich mir vom Christkind einen entschiedenen Mangel an Identitätspolitik.

Schönes Wochenende!

 


Freitag, 10. Dezember 2021

Der Felber lallt selber

 

Erstens einmal, o teure Lesehäschen, gilt es einen guten Rat des Zweckdichterbalgs zu beherzigen: Wer ein langes Gedicht auswendig lernt, lernt dabei auch etwas über sich selber. Vor allem darüber, wie man am klügsten vorgeht, um sich Neues anzueignen. Außerdem tut es nicht weh, sich die Bürgschaft, das Lied von der Glocke oder Poes Raben ins Langzeitgedächtnis zu räumen. Nebenbei gelingt damit ein Gesprächseinstieg mindestens so shmoov wie mit Themen vom Kaliber Wetter (bis Anfang 2020) respektive Corona (seit Anfang 2020). Bonus: Man redet nicht über Corona.

Des weiteren soll man nicht nur Gedichte auswendig lernen, sondern auch sorgfältig rechnen. So hat Altkanzler Kurz einst nicht damit gerechnet, dass man ihm einmal draufkommen würde, weshalb der unschuldige Konstantin nun als Vorwand dafür dienen muss, dass Papa sich aus der Politik zurückzieht. Weiterhinvizekanzler Kogler seinerseits rechnet mit extrem vielen deutschen Nachbarn, wenn er im ZEIT-Interview erklärt, dass Österreich sieben Milliarden Euro für den Klimaschutz ausgibt, was so viel sei, wie wenn Deutschland 500 Milliarden ausgibt. Leider hat er nicht dazugesagt, was er als Vergleichsgröße herangezogen hat, denn eine halbe Milliarde Einwohner hat Deutschland jedenfalls nicht.

Dies einerseits.

Andererseits ist Rechnen stark überbewertet, wie das Beispiel von Christian Felber zeigt. Der Gute war hieramts schon vor Jahren zu Gast, weil er in einem Interview erklärte, dass schöne Männer ein gutes Verhältnis zu ihren Füßen hätten und dass der Kommerzfußball zu stark vom Ergebnis dominiert sei (vermutlich im Unterschied zur Liebesbäckerei, zur Neigungsgruppe Fahrradbau oder der Ich-tanz-dir-einen-Haarschnitt-WG, wo jeweils eher wurscht ist, was dabei herauskommt, Hauptsache, alle haben einander dabei lieb).

Dieser Felber selber hat vor einem Weilchen die 30 Gründe veröffentlicht, deretwegen er sich nicht impfen lässt. Ich spare mir den Link und gebe euch stattdessen das Executive Summary. Spoiler: Die sogenannten 30 Gründe sind in Wahrheit nur drei, nämlich erstens: Felber ist schlecht im Lesen (hierher gehören Gründe wie „ich ernähre mich gesund und tanze viel imWald“, denn wenn er lesen könnte, wüsste er mittlerweile, dass eine robuste Konstitution nicht vor einer Ansteckung und schon gar nicht vor einem schweren Verlauf oder long Covid schützt).

Zweitens: Felber ist schlecht im Rechnen, weshalb er ungefähr jede Statistik fehldeutet, die ihm unterkommt. Dass er zum Beispiel auf das hier schon besprochene Simpsons-Paradoxon hereinfällt, ist quasi ein Ghörtsich für einen wie ihn.

Drittens: Felber bleibt er selber. Als Grund für seine Impfverweigerung führt er deshalb auch an, dass mehr an Medikamenten gegen Covid geforscht gehört. Anders gesagt: „Ich kaufe mir kein Fahrrad, weil Trittroller effizienter sein könnten.“ Und natürlich, das ist ganz wichtig: Er lässt sich nicht impfen, weil die Pharmakonzerne an den Impfstoffen Geld verdienen. Ein gestandener „Gemeinwohl-Ökonom“ nutzt und konsumiert ja nur Leistungen und Produkte, die von den Urhebern und Herstellern um Gottes Lohn bereitgestellt werden. Christian Felber selbst nimmt für einen Vortrag 2.000 Euro, wenn er sie bekommt – „lassen Sie uns gerne sprechen, was möglich ist“, heißt es auf seiner Website. Da ich stark bezweifle, dass dieser Satz im Wittgensteinschen Sinne gemeint ist und noch stärker befürchte, dass er besagen soll: „Gerne bespreche ich mit Ihnen, welches Honorar Sie sich leisten können“ – deshalb also würde ich persönlich keinen Vortrag von jemandem buchen, der offensichtlich nicht nur im Lesen und Rechnen, sondern auch im Schreiben und Sprechen noch Luft nach oben hat.

Schönes Wochenende!

 


Freitag, 3. Dezember 2021

Privatentscheidung


 

Die Witze, o vielgeliebte Lesehäschen, über das Abtreten des Erlöserkanzlers macht bitte jeder selber. So lustig ist die Arroganz, mit der unser Altbasti uns verkauft, es sei ja ganz selbstverständlich, dass man nach stattgehabter Fortpflanzung erst einmal eine Runde „Zeit mit der Familie“ verbringt anstatt zu hackeln, weil es sich halt sonst nicht ausgeht, aucht nicht, noch auch die Geschwindigkeit, mit der die zweite Republik auf italienische Taktung (fünf Kanzlerwechsel in vier Jahren) zusteuert. Für das Argument, es sei Zeit zum Aufhören, wenn man für seine Tätigkeit nicht mehr „brenne“, wird vielleicht so manche Regaleinräumerin, so mancher Paketbote bestenfalls ein Alzerl Verständnis aufbringen.

Fragen wir uns stattdessen, wie wir weitertun. Nicht selten hört man mahnende Stimmen, die vor einer Spaltung der Gesellschaft warnen, die uns drohe, sollte, anstatt weiterhin „Impfangebote“ zu machen, die anscheinend keine Sau interessieren, obrigkeitlicherseits der Impfdruck erhöht werden. Zuletzt stand so etwas in irgendeinem Schweizer Medium, glaube ich. Man kann dem nur zustimmen: Es ist keineswegs erstrebenswert, die Gesellschaft zu spalten. Bedauerlich ist aber, dass die Spaltung nur im Bereich des Impfens abgelehnt wird, während wir sie sonst vollrohr okay zu finden scheinen. Es hat sich bisher noch niemand darüber beschwert, dass man einen Führerschein braucht, um auf öffentlichen Straßen zu fahren, obgleich dies bei näherem Hinsehen eine nicht weniger schreiende Ungerechtigkeit darstellt als jene, die durch eine Zweigeplus-Regelung im Bereich des Einzelhandels entstünde. Wie kommen die Führerscheininhaber denn dazu, für sich das Privileg des Fahrzeuglenkens in Anspruch zu nehmen? Ist die Entscheidung für oder wider die Führerscheinprüfung nicht eine zutiefst private, von welcher die Teilhabe an grundlegenden Kulturtechniken wie dem Autofahren unbeeinträchtigt bleiben sollte?

Noch mehr Spaltungspotenzial wohnt dem Strafrecht inne, das mir nichts, dir nichts die Gesellschaft in solche spaltet, die im Häfen sitzen, und solche, die sich noch auf freiem Fuß befinden. Auch hier schweigen die Mahner unverständlicherweise. Aber die Sache beginnt ja schon bei den Kleinsten, nämlich im wortwörtlichen Sinne. Bereits auf dem Rummelplatz wird beinhart gespalten in solche, die schon hinreichend aufgeschossen sind, um mit der Hochschaubahn zu fahren, und solche, die, weil vorerst zu kurz geraten, nur neidisch zuschauen dürfen, sorry, erst ab einmeterzwanzig. Sollten wir nicht gerade die Schwächsten der Gesellschaft davor schützen, schon im zartesten Alter solchermaßen abgespalten zu werden?

Wahrscheinlich nicht. Wahrscheinlich gibt es gute Gründe dafür, dass man manches nur unter bestimmten Voraussetzungen darf.

Bestimmt gibt es auch gute Gründe dafür, die Impfrate anders als durch Zwang steigern zu wollen. Die Vermeidung einer „Spaltung der Gesellschaft“ ist aber eher kein solcher Grund, weil wir halt täglich ganz gut damit leben, dass die Gesellschaft gespalten ist in solche, solche und noch andere. So lange man sich deswegen nicht den Schädel einschlägt, ist das kein Problem. Schönes Wochenende!

Freitag, 26. November 2021

Die Antwort ist Dieter

 

Das Zappen, o vielgeliebte Lesehäschen, ist ja der Fußball unter den Zeitvertreiben. Dieser ist in hohem Maße geeignet, die passiven Teilnehmer, also die Zuschauer, so unglücklich zu machen wie das Golfspiel die aktiven. Man kann ungezählte Stunden damit verbringen, den Herrschaften auf dem Rasen dabei zuzusehen, wie sie entschieden zu gut dafür bezahlt werden, entschieden zu wenig auf die Reihe zu kriegen. Aber manchmal ist das Glück dir hold, und du siehst das Finale der Champions League 1999.

So ähnlich ist es auch mit dem Zappen. Nur zu oft hantelst du dich von Werbepause zu Werbepause und endest früher oder später bei gotv oder, aus lauter Verzweiflung, bei HGTV. Für die Nichteingeweihten: HG steht für „house & garden“. Dementsprechend besteht das Programm zu einem Drittel aus der Dokumentation von atemberaubend aufwendigen und unschönen Gartenumgestaltungen. Im zweiten Drittel sehen wir sogenannte „Flipper“, das sind Menschen, die heruntergekommene Häuser möglichst billig kaufen, die Mängel möglichst rasch kaschieren (merke: eine Tapete kostet weniger als eine Mauertrockenlegung) und sie dann möglichst teuer weiterverkaufen. Man fragt sich jedesmal, warum diese Verbrecher sich bei ihrem Tun filmen lassen.

Im letzten Drittel beobachtet man Menschen (meist Paare) dabei, wie ihnen aalglatte Maklerinnen und Makler Häuser unterjubeln, die vermutlich durch die Hände obgedachter Flipper gegangen sind. Trotzdem hat man selten Mitleid mit den Kaufwilligen, weil es sich meist um epochal unsympathische Müßiggänger handelt, die ein Haus im Zweifelsfall immer danach bewerten, ob die Garage groß genug für ihre zahlreichen benzinbetriebenen Spielzeuge ist, und niemals danach, ob es genügend Platz für die Bücherregale bietet.

So also ist Zappen, und man könnte nun meinen, es habe sich angesichts flächendeckend verfügbaren Streamings als Kulturtechnik erledigt.

Doch weit gefehlt. Wer den nötigen langen Atem hat, dem schenkt auch das Privatfernsehen bisweilen einen CL-1999-Moment, und man hat dann für sich eine Frage geklärt, von der man bis dahin gar nicht wusste, dass sie existierte, nämlich: ob Thomas Anders oder Dieter Bohlen der Erträglichere von Modern Talking sei. Die Antwort lieferte das Zappen eurem Ergebenen gestern abend. Die Geschichte geht so, und wenn es nicht ganz so war, ist sie gut erfunden: Es begab sich, dass diese Inkarnation des eiskalt kalkulierten Discopop in eine Samstagabendshow des französischen Fernsehens geladen wurde, und zwar nicht in in irgendeine, sondern in Champs Élysées, damals das Traumschiff unter den französischen TV-Shows.

Es begab sich weiter, dass Nora, das legendär zickige Ehegespons von Thomas Anders, sich von irgendjemandem schief angesehen fühlte, worauf das minderbemittelte Paar sich, hihi, vertragsbrüchig vom Acker machte und Dieter Bohlen aber schon sehr dumm dastehen ließ, der sich nun mit einem empörten französischen Fernsehproduzenten herumschlagen durfte, dessen Live Act sich eine halbe Stunde vor Sendungsbeginn in Luft aufgelöst hatte.

So weit, so gut, doch es zählt nicht zu den zweifellos vielen Fehlern Bohlens, dass er sich leicht geschlagen gäbe. Tatsächlich gelang es ihm, Modern Talking zwei Jahre später erneut als Showeinlage in Champs Élysées unterzubringen. Wieder ging es nach Paris, wieder war es nicht mehr lange hin zur Sendung, und wieder waren Thomas und seine Doofe verschwunden. Was also tat der Poptitan? Er suchte einen Hansel, der halbwegs singen konnte und Thomas einigermaßen ähnlich sah. Und zog die Sache durch, um fortan nie wieder in Frankreich aufzutreten. Wie das aussah, kann man, dem Internet sei dank, heute noch sehen. Schönes Wochenende!

Freitag, 19. November 2021

Für mindestens 18-Jährige

 

Leider, o teure und zweifellos flächendeckend immunisierte Lesehäschen, kam der Rat eures Ergebenen, wie man die Impfrate durch wohlerwogene Gamification eventuell steigern könnte, zu spät. Man sieht an den aktuellen Ereignissen, dass in der türkisen Volkspartei die christlichen Elemente stärker sind, als man dachte. Heißt es doch im Matthäusevangelium:

Denkt nicht, ich sei gekommen, um Frieden auf die Erde zu bringen. Ich bin nicht gekommen, um Frieden zu bringen, sondern das Schwert. Denn ich bin gekommen, um den Sohn mit seinem Vater zu entzweien und die Tochter mit ihrer Mutter und die Schwiegertochter mit ihrer Schwiegermutter; und die Hausgenossen eines Menschen werden seine Feinde sein. Hier ist offensichtlich von den immer häufigeren Konflikten die Rede, die Familien in Impfwillige und Ungeimpfte spalten. Indem die Regierung diesen durch eine Informationspolitik Vorschub geleistet hat, die darauf ausging, jede Seite gegenüber der anderen lächerlich zu machen, hat sie also nicht mehr als gut christlich gehandelt. Dass die Kluft im Land nur noch durch einen Lockdown zu schließen ist – was soll’s. Ist nicht der erste, wird nicht der letzte sein.

Die nächste Frage ist nun, wie diese gesellschaftliche Realität sich im Deutschen abbilden lässt. Denn wenn der Genderstern recht ist, so kann es nur billig sein, auch sprachlich das Trennende über das Verbindende zu stellen. Deshalb: Weg mit dem Bindestrich! War er einst eine willkommene Prothese für Leute, die ihren Lesern nicht zutrauten, mehrsilbige Wörter zu verarbeiten, sodass aus der Marketingkonferenz im Handumdrehen eine mundgerechtere Marketing-Konferenz wurde, so ist er nun ein lästiges Überbleibsel aus einer Zeit, als man noch dachte, es sei wünschenswert, Dinge zusammenzubringen. Wer wagt es, endlich zu trennen, was auseinandergehört?

Antwort: Ein lang geschätzter Kunde eures vielgeprüften Zweckdichters. Dort gibt es weiterhin Wörter mit Bindestrichen und Produktnamen ohne solche, weil es halt viel cooler ist, einen Business Schraubenzieher zu ergreifen als einen Business-Schraubenzieher. Nichts ist aufgeräumter als die Leere, und horror vacui sowieso total 1975, als man noch alles mit Blumenmustern anräumen zu müssen glaubte. Heute dagegegen: skandinavische Schlichtheit. Doch wie wir wissen, gibt es nicht nur Rule 34: There’s porn of it. Es gibt auch too much of a good thing, beziehungsweise in diesem Fall too wenig of a thing, das notwendig wäre. Bei eigenen Produktnamen darf sich ja jeder aussuchen, ob er die mit Bindestrich, Doppelpunkt oder Heftpflaster schreibt. Wenn aber ein Whiskyhersteller seinen „12jährigen“ Stoff anpreist, ist das schon falsch, weil Buchstaben und Zahlen nicht so einfach zusammenpassen, das ist wie Lego und Fischertechnik, da brauchst du einen Bindestrichadapter.  Spricht er gar vom „12 jährigen“, dann stellen sich zart die Haare auf. Wollte er uns nicht mitteilen, die Plörre sei zwölf Jahre alt? Warum dürfen die 12 und die Jahre dann nichts miteinander zu tun haben? Auch eine „ph neutrale“ Seife ist eine orthographische Sauerei, da nützen alle Tenside nichts, das wird nicht mehr sauber. Beziehungsweise eben schon: Die Wörtervereinigung ist so jugendfrei, dass sie praktisch gar nicht stattfindet. Wenn zwei Wörter sich schon so fest liebhaben, dass sie ein neues machen, darf man das auch ruhig sehen. Deshalb, o meine Teuren, her mit dem Bindestrich, damit die Wörter sich wieder zusammenferkeln können, als gäbe es kein Morgen, dafür ph-neutral, 70-jährig und Cr6-frei.

Schönen Lockdown und schönes Wochenende!

 

Freitag, 5. November 2021

Schadenfreude

 

Es ist, o teure Lesehäschen, im Großen und Ganzen so wie vor einem Jahr. Man hört daher immer öfter, dass es niederschwelligerer (oder niedrigerschwelliger?) Impfangebote bedürfe. Denn wer mit offenen Ohren durch die Stadt und übers Land geht, höre angeblich allüberall ein Raunen, das bei größeren Menschenansammlungen auch in ein Tosen übergehen könne: „Macht uns niederschwellige Impfangebote! Dann gehen wir hin, versprochen!“

 

Euer Ergebener ist da ein bisschen skeptisch. Vielleicht ist es daher ebenso lohnend, den gegenteiligen Weg zu beschreiten. Betrachten wir nämlich den Billigflug. Er kostet fast so wenig wie die Impfung, ist jedem zugänglich, der einen Puls hat, und sein Ausgang ist noch wesentlich zweifelhafter.  Trotzdem drängen sich vor den Schaltern die Massen, dass es nur so eine Art hat, während es im Impfcontainer zugeht, wie in der Tante Jolesch das Entrée in ein Nachtlokal beschrieben wird, in dem aber auch gar nix los ist: Der Kellner lädt Gläser auf ein Tablett, der Pianist beginnt eine schwungvolle Nummer, der Eintänzer wirbelt mit der Eintänzerin übers Parkett – kurz, das Personal entwickelt eine Betriebsamkeit, dass Torberg angesichts der Szene dieses Bonmot von Egon Friedell überliefert: „Ich möcht wetten, die Abortfrau sitzt am Häusl und kackt.“

Was macht den Billigflug so viel attraktiver als die Impfung? Der große Unterschied liegt darin, dass der lächerliche Ticketpreis nur der Anfang ist und man dann zahlreichen Versuchen ausweichen muss, extra zu löhnen. Mehr Gepäck braucht man oder nicht, aber dann kommt der Rest: Zusatzversicherung? Nein, danke. Nebeneinandersitzen gegen Aufpreis, obwohl man die Tickets zusammen gebucht hat? Nein, danke. Online-Check-in? Ja, denn die andernfalls erhobene Deppensteuer beträgt ein Mehrfaches des Ticketpreises. Online-Check-in in der App? Nein, denn das funktioniert nicht. Online-Check-in auf der Website? Ja, aber die hier erhältliche Bordkarte gilt nur, wenn man sie ausdruckt, andernfalls Deppensteuer. Deshalb zuerst Online-Check-in auf der Website, dann in der App anmelden, wo nun plötzlich die Bordkarten erscheinen.

Bei einer bekannt niederträchtigen Piratenlinie, deren Name sich auf „reihert mehr“ reimt, läuft das genau so, und euer Ergebener hatte kürzlich gleich zweimal Gelegenheit, Gestrandeten zu helfen, die die Deppensteuer erlegen hätten müssen, dazu aber mangels funktionierenden Plastikgeldes nicht imstande waren.

Kurz: Ein Billigflug heißt zwar so. Er ist es aber nur, wenn man sich hinreichend geschickt anstellt. Warum das super ist, erklärt uns die Spieltheorie, die in beinahe zulässiger Verkürzung darauf hinausläuft, dass der Mensch ein noch größeres Gfrast ist, als man sich eh schon gedacht hat, indem sich als wahr erweist, dass die Schadenfreude tatsächlich der Freuden reinste ist: Wenn es uns gut geht, finden wir das zwar ganz okay. Noch wohler fühlen wir uns aber, wenn es uns selber so einigermaßen, dem Nebenmenschen aber deutlich mieser geht.

Ich empfehle daher, das Impfangebot versuchsweise mit versteckten Dornen zu versehen. Ohne Online-Terminvereinbarung geht gar nix. E-Mail-Bestätigung Fehlanzeige. „Ein*e Mitarbeiter*in wird sich bei Ihnen melden“ – not. Öffnungszeiten 9–11:30 und 14–16.30 Uhr, und zwar Mo–Do. Kein Impfpass dabei? Zwanzig Liegestütz!

Wer da zum Stich kommt, der darf sich tatsächlich etwas darauf einbilden und, noch wichtiger, mit höhnisch gerecktem Finger auf die andern zeigen. Probieren wir es. Und schönes Wochenende!

Freitag, 22. Oktober 2021

Tierjahre

 

Heute, o vielgeliebte Lesehäschen, hat euer Zweckdichterhund Geburtstag. Daran, dass so etwas eine Rolle spielt, erkennt man, dass wir immer noch in ziemlich luxuriösen Zeiten leben.

Der gute Kerl wird nach dem üblichen Umrechnungsschema 91, was man ihm nicht ansehen würde. Freilich wissen wir auch, dass an dem üblichen Umrechnungsschema deutlich weniger dran ist als an der Umrechnung von Inseratenschaltungen in Berichterstattung, weil ja Hund nicht gleich Hund ist. Je größer, desto kürzer, so lautet die Faustregel, weil nämlich gerade die kleinsten Hunde besonders große Chancen haben, lange in diesem Jammertal zu verweilen, während sich zum Beispiel eine Dogge mit acht Jahren eher keine Langspielplatte mehr kaufen sollte. Es kommt also auf die Rasse an, sodass das Geburtstagskind eher so beim Äquvalent von 75 bis 80 Jahren halten dürfte.

Rätselhaft ist, warum man ständig von Hundejahren, aber viel seltener von Kaninchen- oder Papageienjahren hört. Selbst Katzenjahre sind deutlich weniger verbreitet als Hundejahre. Das Internet behauptet diesbezüglich, dass die ersten beiden Katzenjahre je zwölf Menschenjahren entsprechen, die weiteren je vier. Daraus folgt, dass eine mir bekannte Nachbarskatze 108 Jahre alt wurde. Bei Hamstern oder Kampffischen wäre eher in Monaten zu rechnen, aber das weiß man ja, wenn man sich darauf einlässt.

Anders liegt der Fall bei Riesenschildkröten oder Tiefseefischen, bei denen vom Ei bis zur Geschlechtsreife schon einmal ein halbes Jahrhundert vorüberziehen kann. Diese rechnen ihrerseits ein Menschenjahr für mindestens zwei Schildkrötenjahre.

Neben den Hundejahren erfreuen sich auch die Maikäfer- und Mäusejahre einer gewissen Bekanntheit. Heuer war zum Beispiel ein ganz ausgezeichnetes Mäusejahr, nämlich für die Füchse. Nächstes Jahr wird dann, so haben wir es in Bio gelernt, ein umso schlechteres Mäusejahr, weil gegen Ende der Saison die Mäusenahrung schon recht knapp wurde, wie an den hier und da herumliegenden Kadavern erkenntlich. Die Maikäfer sollen, so das Internet, alle vier Jahre besondes zahlreich herumschwirren, weil sie vier Jahre für die Entwicklung brauchen. So ganz leuchtet das aber nicht ein. Es gibt ja jedes Jahr Maikäfer, die sich dann fröhlich bekäfern, sodass vier Jahre später ihr Nachwuchs den Onkel Fritz erschrecken kann. Warum eine dieser vier Maikäferkohorten größer sein soll als die anderen, beantworten die Interwebsen nicht. Noch anders liegt der Fall bei den Primzahlzikaden, die alle dreizehn oder siebzehn Jahre in tatsächlich beeindruckenden Massen auftreten, dazwischen aber überhaupt nicht. Zikadenauskenner vermuten, dass die lange Entwicklungsdauer über eine Primzahl von Jahren dazu diene, Parasiten auszuweichen. Diese müssten sich entweder ebenso lange Zeit lassen, um der Zikaden habhaft zu werden, oder jedes Jahr eine Generation einschieben, die dann eine andere Beute brauchte. Sowohl 13 als auch 17 sind übrigens Mirpzahlen, weil wieder eine Primzahl herauskommt, wenn man sie rückwärts schreibt.

Damit hätten wir den heutigen Bildungsauftrag aber wirklich übererfüllt und können in ein hoffentlich schönes Wochenende rauschen.

 

Freitag, 15. Oktober 2021

Das Lesen ist ein langer, ruhiger Fluss

 

Es ist so weit, o teure Lesehäschen: Die Genderisation frisst ihre Kinder. Einerseits werden immer noch gerne die Mitglieder zu Mitglieder*innen korrigiert, woraus man vielleicht schließen sollte, dass die Genderisation ihre Kinder*innen frisst, weil einfach jedes -er sein Sternchen braucht. Andererseits kommen die ersten Klagen. Es ist ja hieramts seit Jahren bekannt, dass es mit Satzzeichen so eine Sache ist. Besonders der Gedankenstrich und der Doppelpunkt brennen vielen in den Augen, denn was ein ordentlicher Text ist, bei dem soll man nimmer innehalten und etwa gar einen Gedanken fassen wollen, man soll nur immer weitersausen. Der Doppelpunkt ist solchen Geistern, was die Verbotspyramide auf den Rolltreppen der Wiener Linien: Zwischen den Rolltreppen befindet sich eine nur allzu verlockende Rutsche. Damit die Kinder*innen nicht auf blöde Ideen kommen und dann einen haftungsverdächtigen Sprungrekord aufstellen, sind diese Eben-doch-nicht-Rutschen mit faustgroßen Pyramiden bewehrt. Deshalb ist es in den U-Bahn-Stationen Essig mit der großen Rutschsause. Das wirkt zwar spaßhemmend, hat aber den Vorteil, dass man dort kaum je Menschen mit eingeschränktem Urteilsvermögen und gebrochenen Knochen herumliegen sieht.

So ähnlich ist es auch mit den Doppelpunkten und Gedankenstrichen. Manchmal hat es durchaus etwas für sich, wenn der vielzitierte Lesefluss nicht in einem überregulierten Betonbett dahinschießt, sondern auch einmal einen Mäanderhaken schlagen darf. Leider regiert in so manchem Marketingstübchen aber noch der Geist der Wildbachverbauung in den 70er-Jahren (damals bekannt als „die Wildbach“), als jedes noch so kleine Rinnsal mit reichlich glatten Steinen eingehegt wurde, auf dass es rascher zu Tale schieße.

Nun stellt sich in besagten Stübchen die Schwierigkeit, dass man zwar Satzzeichen blöd finden darf, aber Gendersternchen nun einmal sein müssen, umsomehr, wenn man als Unternehmen die Installation von Sternchentoiletten hartnäckig verweigert. Irgendwo muss man schließlich zeigen, dass man weiß, was die Stunde geschlagen hat, und wie schon einmal angemerkt: Ein Sternchen ist deutlich preisgünstiger als eine Installateurspartiestunde. Wenn dann in drei Zeilen ein Sternchen, ein Strichelchen und ein Doppelpünktchen zusammenfinden, ist es laut Feedback Zeit wofür?

Genau: fürs Optimieren.

Aus dem Marketingstübchen nebenan wurden zeitgleich Zweifel angemeldet angesichts der Behauptung, dass „ein Unternehmen seine Stärken“ inszeniere. Natürlich nicht hinsichtlich der Stärken. Vielmehr stellte sich die Frage, ob es sich um seine oder ihre Stärken handle. Letzteres erforderte freilich die Erfindung der Unternehmenin oder vielmehr des*der Unternehmen*in, der*die seine*ihre Stärken nach Gusto ins Rampenlicht stellt.

Oder lieber doch nicht, weil das grammatische Genus halt ist, wie es ist und man einem Neutrum keine Keimdrüsen andichten muss.

An die Kund*innenkarteninhaber*innen hingegen, einen selten graziösen Tausendfüßler von einem Wort, sollten wir uns hingegen vorerst gewöhnen. Schönes Wochenende!

Freitag, 8. Oktober 2021

Im Vorfeld

 

Aus gegebenem Anlass, darf ich euch, o vielgeliebte Lesehäschen, daran erinnern, dass der erste Beistrich in diesem Satz, den ihr natürlich nicht gesetzt hättet, dort auch tatsächlich nichts verloren hat. Nämlich jener nach „Anlass“. Trotzdem unterläuft er vielen so oft, dass er sogar einen eigenen Namen bekommen hat: Er ist als Vorfeldkomma bekannt, und obwohl es so früh auftaucht, besteht dessen hervorstechendstes Merkmal in seiner Gemeinsamkeit mit dem letzten Getränk: Das Leben wäre besser, wenn man es bleiben lassen hätte.

Das Vorfeldkomma heißt so, weil es gern gesetzt wird, um das Vorfeld des Satzes vom Rest abzugrenzen. Im standarmäßigen deutschen Hauptsatz ist das Vorfeld das, was vor dem Verb kommt.

Im Beispiel ist das Verb darf. Davor steht eine sogenannte adverbiale Bestimmung. Das ist eine Zusatzinfo darüber, wie, wann, wo oder unter welchen sonstigen interessanten Umständen das geschehen ist, was im Satz geschieht. Adverbiale Bestimmungen erkennt man außerdem an dem, was sie nicht haben: nämlich ein finites Verb. Jaja, kommt sofort: Ein finites Verb ist so ungefähr ein Verb, das nicht im Infinitiv steht, und der Infinitiv heißt so, weil er eben in-finit ist. Freilich gibt es nicht nur adverbiale Bestimmungen, sondern auch Adverbialsätze. Die einen kriegen keinen Beistrich, die anderen sehr wohl. So nötig wie ein Maurer ein Bierglas braucht dieser Satz einen Beistrich.

So nötig, wie gar mancher abends ein Bier braucht, braucht dieser Satz hingegen gleich zwei Beistriche. Denn „wie gar mancher abends ein Bier braucht“ ist ein Nebensatz, der sich mit dem finiten Verb braucht herausgeputzt hat.

Das Vorfeldkomma ist also gern genommen, aber völlig überflüssig. Damit bildet es das grammatische Gegenteil zum sogenannten Day-2-Test. Wer nämlich aus einem ansonsten halbwegs okayen Coronaland nach England einreist, muss innerhalb von zwei Tagen einen PCR-Test absolvieren. Das läuft aber nicht so wie in Wien, wo man gurgelt, in ein Röhrchen spuckt und die Geschichte beim BILLA einwirft. Denn in England gibt es keinen BILLA. Vielmehr muss man im Vorfeld der Einreise den Test buchen und bezahlen und erhält dann eine Buchungsnummer, die man auf dem Formular einträgt, ohne welches man sowieso nicht einreisen darf. Das magische Wort ist hier „buchen“. Denn es gibt zahlreiche Testing Facilities mit zahlreichen Websites. Ihnen allen ist gemein, dass sie Tests in einem Preisfenster von ungefähr zwei bis ungefähr zweihundert Pfund anbieten (ja, pro Nase). Ihnen allen ist weiters gemein, dass die Online-Buchungssysteme sich auf dem Stand von 1995 befanden, als es strenggenommen noch keine gab. Man klickt, man trägt ein, man bucht. Und dann erhält man die Rückmeldung, dass sich ein Mitarbeiter rühren und einem mitteilen werde, ob der gewünschte Termin tatsächlich verfügbar sei. Offensichtliche hat die britische Politik hier zur Freude aller Laborbetreiber einen sogenannten seller’s market geschaffen, indem jeder Einreisende eine Testbuchung braucht, und wenn man ihn lange genug hinhält, muss er halt den für 200 buchen oder daheimbleiben.

Der Unterschied zwischen einer Reise ins heutige England und einer in die Sowjetunion scheint mir vorrangig darin zu bestehen, dass man sich in der Sowjetunion durch die Verteilung von Dollars oder Camelzigaretten behelfen konnte. Die englischen Behörden schützen ihre Mitarbeiter hingegen vor solchen Versuchungen, indem sie Telefonsysteme errichten, in denen Auskunftsuchende stundenlang 2 drücken können, ohne jemals etwas Hilfreicheres zu erfahren als die Tatsache, dass es im Telefonsystem des National Health Service einen eigenen Menüpunkt für „Beschwerden über das National Health Service“ gibt.

Wie und wann kontrolliert wird, ob man den Test auch tatsächlich gemacht hat, konnte euer Ergebener übrigens bisher nicht eruieren. Schönes Wochenende!

Freitag, 1. Oktober 2021

Vorvergangen

 

Schulen, o geliebte Lesehäschen, tun manchmal seltsame Dinge. Allerdings nicht so seltsame Dinge wie Schulen in den USA. Wie die meisten hier herum hatte auch der Zweckdichter einst eine kleine Liebesaffäre mit jenem Land, das so viel früher so viel zivilisierter und cooler war als der hiesige Waldrand. Mittlerweile muss man sich aber schon fragen. Zum Beispiel fuhr letztes Jahr im März, als die Pandemie noch jung und verwegen war, eine 16-Jährige aus Wisconsin auf Schulausflug nach Disneyworld. Dort holte sie sich Covid und postete darüber auf Facebook. Worauf die Schule ihr den Sheriff schickte, der sie aufforderte, die Postings zu löschen, weil ja nicht erwiesen war, dass sie tatsächlich Covid hatte. (Damals war das mit dem Testen noch nicht so einfach.). Zur Ehre des Landes sei gesagt, dass der Bundesrichter dem Teenager recht gegeben hat, mit der schönen Begründung, das Recht auf freie Meinungsäußerung sei keine Einstellung in einem Computerspiel, die man nach Belieben ein- und ausschalten könne.

Weiters ist die Frage, ob sich Amyiah (so heißt die junge Frau) angesteckt hatte und dann in Quarantäne geschickt wurde, oder ob sie sich ansteckte und dann in Quarantäne geschickt wurde.

Wer Latein gelernt hat, kennt das als consecutio temporum, auch bekannt als Zeitenfolge. Jetzt und hier geht es um die sinnvolle Abfolge von Präteritum (auch Imperfekt oder Mitvergangenheit) und Plusquamperfekt. Ist ja auch logisch: Wenn etwas einst zuerst geschehen ist, sodass danach etwas anderes geschehen musste oder konnte, soll das seinen sprachlichen Niederschlag finden. Um diese Vorzeitigkeit (für Klugscheißer: Anteriorität) auszudrücken, gibt es das Plusquamperfekt, das nicht umsonst auch „Vorvergangenheit“ heißt.

Die Frage ist aber, ob die Welt ordentlich ist oder nicht. Vielleicht geschehen die Dinge ja einfach so, das nennt man dann Kontingenz: Ich stand auf, kochte Kaffee, trank ihn und hustete ins Telefon. Das Aufstehen passiert einem halt irgendwann, weil man keine Lust mehr hat, im Bett herumzuflacken.

Oder alles steuert auf ein Ziel zu:

Er war aufgestanden, nun kochte er Kaffee. Er trank ihn und hustete dann ins Telefon.

Hier ist das Aufstehen die Voraussetzung dafür, dass der Rest vonstatten gehen kann. Aus einer Abfolge von Ereignissen wird eine Geschichte. Kann man machen, muss aber nicht.

Manchmal ist es auch wurscht:

James Bond hatte abgedankt, die 007-Nummer ging auf eine Frau über.

James Bond dankte ab, 007 war nun eine Frau.

Man muss kein alter weißer Mann sein, um zu erkennen, dass das höchstens ein netter Gag ist, weil das weiße Altmännertum der Bondfigur von vornherein eingeschrieben ist. Nicht einmal das überaus woke Zweckdichterbalg hält das Geringste davon, aus Bond eventuell eine Frau zu machen, weil das dann sicher eine nette Geschichte werden kann, aber halt keine Bondgeschichte. 007 ist ein arroganter Sack mit Hoden. Schönes Wochenende!

Freitag, 17. September 2021

Heimlichkeiten

 

Bevor wir, o bereiste Lesehäschen, die versprochenen Feedbacke (Feedbäcker?) kritisch beschnuppern, müssen wir uns der Frage stellen, ob Tschechien in Europa angekommen ist. Wer nämlich vorigen Donnerstag von Tabor nach Linz fahren wollte, konnte sich natürlich einfach ins Auto setzen. Aber kann das Auto in unseren Zeiten immer die Antwort sein? Natürlich nicht. Man nimmt also den Zug. Dabei hat man die Wahl zwischen der Website der ÖBB und jener der CD (also der tschechischen Staatsbahn). Die CD bot erfreulicherweise mehrere Direktverbindungen, die ÖBB leider nicht. Die aufgelegte Lösung für Optimisten wäre es natürlich gewesen, Tickets bei CD zu kaufen. Realisten schauten bei den ÖBB ins Kleingedruckte und erfuhren, dass die fraglichen Züge erst eine Woche später wieder verkehren sollten.

Wir wissen daher, dass Tschechien sehr wohl zu Europa gehört, jedoch nicht in unserem Multiversum. Deshalb Vorsicht bei der Reisebuchung!

Nun vorwärts an die Feedbackfront. Zum Beispiel hatte euer Ergebener mitzuteilen, dass ein SMS drei Komma fünfunddreißig Cent kostet, ein Monat aber drei Euro und fünfzig Cent. Kundenseitig tat sich die Frage auf, warum einmal „Komma“ und einmal „und“ gesagt wurde, obgleich „und“ als schöner empfunden wurde.

Antwort: Weil es in unserem Währungssystem nichts Kleineres als den Cent gibt, danke der Nachfrage.

Manchmal schauen Kunden auch ganz genau hin. Der gelieferte Satz lautete ungefähr: Das Kuvert eignet sich für den Versand von Ausweisen und der zugehörigen Unterlagen. Der Kunde warf die Frage auf, ob es denn nicht heißen müsse: … für den Versand von Ausweisen und den zugehörigen Unterlagen.

Tatsächlich, warum nicht? Nun denn: Weil der Versand standardmäßig mit dem Genitiv abgeht – der Versand der Ware, der Versand meines Gepäcks und so weiter. Wenn aber das Versandgut kein Attribut oder Artikelwort dabei hat, wird es schwierig. Denn das Deutsche kennt für Substantive keinen reinen Genitiv. Schickt dir dein Opa zum Beispiel selbstgeimkerten Honig, dann ist das der Versand köstlichen Honigs. Der „Versand Honigs“ ohne köstlichen geht sich aber nicht aus. Deshalb polstert man den Honig für den Versand mit einem „von“, damit grammatisch nichts zu Bruch geht. Schickt dein Opa, weil er nett ist, aber außerdem noch zwei selbstgedrechselte Honiquirle mit, dann brauchen die, weil unzerbrechlich, kein von-Polster. Das „von“ kann sich ganz auf den Honig konzentrieren, der Genitiv der Quirle ist mit Hilfe seines Attributs klar: Versand von Honig und gedrechselter Quirle. Andernfalls hast du nämlich den „Versand von den gedrechselten Quirlen“ vor dir, und da hilft aller Honig nichts.

Was haben wir noch? Eine Seelenverwandtschaft zum ZDF. Bekanntlich wurden dort Bären gegendert, unter denen sich laut Berichterstattung viele „Veganer:innen“ finden, damit sich die nichtbinären Ursiden nicht auf den Schlips getreten fühlen. So auch bei uns. Euer Zweckdichter lud die werten Leser*innen ein, für Ihre Favoriten zu stimmen. Als Ersatz für „Favoriten“ wünschte man sich darauf „ein anderes genderneutrales Wort“. Abgesehen davon, dass hier ein Beistrich fehlt, denn wenn „Favoriten“ genderneutral wäre, wäre ja schon alles in trockenen Tüchern – abgesehen davon also handelte es sich bei den zu kürenden Favoriten um Flugblätter, über deren geheimes Leben man hiermit spekulieren darf. Tja. Schönes Wochenende!

 

 

Freitag, 10. September 2021

Nachrechnen

 

Das Zweitbeste am Internet, o vielgeliebte Lesehäschen, ist ja, dass man sich ungescheut und ohne irgendwelche Repressalien befürchten zu müssen über Dinge verbreiten darf, von denen man echt nicht den geringsten Tau hat. Für eine Weile kann daraus sogar eine Karriere werden, man darf es halt mit den Doofheiten nicht gar zu sehr übertreiben. Sprich: Man muss schauen, dass man Gwyneth Paltrow bleibt und nicht Attila Hildmann wird.

Dies nutzt euer Ergebener knallhart aus, um euch auch diese Woche alte Hüte aus der Statistik näherzubringen, obgleich mich aber schon gar nichts dazu qualifiziert bis auf die Tatsache, dass ich die Logindaten für diesen Blog habe und ihr nicht.

Heute also: das Impfen. Eine Impfung ist eine wunderbare Sache, da beißt die Maus keinen Faden ab. An den Pocken zu krepieren ist ja weiß Gott kein Wellnesswochenende. Die Frage ist natürlich, ob die Impfung auch tut, was sie soll. In Israel hat man sich diesbezüglich wohl große Hoffnungen gemacht, die nun zerschmettert scheinen. Müssen wir doch lesen, dass, keine Ahnung, 60 Prozent der Corona-Spitalspatienten bereits geimpft sind. Impfdurchbrüche galore! Dann doch lieber gleich Lockdown!

Die Mathematik aber, die in der Unterstufe öfters Watschen kassiert hat, weil sie nach dem Läuten noch aufgezeigt und gefragt hat, ob Herr Fesser gar vergessen habe, eine Hausübung zu geben, die Mathematik erweist sich auch hier als Besserwisserin. Womit wir es hier nämlich zu tun haben, ist das sogenannte Simpsons-Paradoxon, das den einzigen Fall darstellen dürfte, in der etwas Wichtiges nicht mit der gleichnamigen Serie zu tun hat, weil das Paradoxon nämlich nach dem Mathematiker Edward Hugh Simpson (Hakerl beim Bildungsauftrag) benannt ist.

Und nun?

Aufgepasst, meine Teuren. Die einen von euch waren vorgestern beim Wirten, die andern, ihr kleinen Schluckspechte, gestern.Vorgestern wart ihr zu neunt, und zwar der Geri und acht Frauen. Die ganze Runde schluckte einen Spritzwein nach dem andern, nur die Julia blieb beim Bier.

Daher tranken von den Männern vorgestern null Prozent Bier, von den Frauen 12,5 %.

Gestern ward ihr nur zu fünft, nämlich der Andi, der Sepp und der Hannes mit der Heidi und der Alice. Andi und Sepp sind bekanntlich von der Sprühweinfraktion, genau wie die Heidi. Hannes und Alice dagegen Bier. Gestern tranken also von den Männern 33,33 % Bier, von den Frauen 50 %.

Insgesamt waren aber vier Typen und zehn Mädels unterwegs. Von den vier Typen trank einer Bier, also 25 %. Und von den zehn Mädels zwei, macht 20 %. Das, meine Lieben ist das Simpsons-Paradoxon: An jedem einzelnen Abend war der Bieranteil bei den Frauen höher, insgesamt aber bei den Männern.

So ähnlich ist es auch in Israel, weil man halt aufpassen muss, welche Teile der Bevölkerung man betrachtet. Die meisten Ungeimpften sind jung, ob sie Covid haben oder nicht. Die meisten schweren Fälle sind alt, ob sie geimpft sind oder nicht. Wenn man sich nur die schweren Fälle anschaut, wird man deshalb verhältnismäßig viele Geimpfte finden. Das ändert nichts daran, dass auch in Israel Ungeimpfte dreimal so wahrscheinlich schwer an Covid erkranken. Ebenso ändert es nichts daran, dass die Impfung auch ältere Leute zu über 85 % vor schweren Erkrankungen schützt. 

Nächste Woche: Viele geile Feedbacks. Schönes Wochenende!

Freitag, 3. September 2021

Wahrscheinlich

 

Es werden, o teure Lesehäschen, dieser Tage wieder allerlei Zahlen gewälzt und zum Beispiel spekuliert, ob die Impfungen vielleicht doch nicht so wirksam sind, weil Israel. Da unter den Blinden nicht nur der Einäugige König ist, sondern derjenige immer noch als Hofrat durchgehen kann, der nicht extra dicke Fäustlinge anzieht, um sich zur Speisekammer zu tasten, will sich euer mathematisch weitestgehend supernackter (wie man einst im BZÖ gesagt hätte) Zweckdichter unterwinden, dies und jenes aus der Statistik zu begrabbeln.

Bekannt ist ja das Monty-Hall-Problem, aus dem wir alle lernen, dass Wahrscheinlichkeit nicht immer intuitiv zu begreifen ist (zumindest die unter uns, die zu dickköpfig sind, um jenes schon daran zu erkennen, dass wir nicht längst alle als Millionäre aus dem Casino spaziert sind): Du nimmst an einer Gameshow teil und schaffst es bis in die Endrunde, wo der Moderator (der namensgebende Monty Hall) dir drei Türen weist. Hinter zweien befindet sich je eine Ziege, hinter der dritten etwas Geileres (in der Originalversion ein Cadillac, aber wer will heute schon einen Cadillac). Du entscheidest dich für eine Tür, die vorerst noch geschlossen bleibt. Nun öffnet Monty eine der anderen beiden Türen. Eine Ziege meckert dich neugierig an. Monty fragt, ob du bei deiner Wahl bleibst oder zur noch verbleibenden Türe wechseln willst. Sollst du bleiben, sollst du wechseln oder ist es wurscht?

Die Intuition sagt dir, dass hinter deiner Tür immer noch das ist, was vorher dahinter war, unabhängig davon, ob irgendwelche Fernsehfuzzis irgendwelche anderen Türen öffnen oder nicht. Also denkst du dir, wozu wechseln, spielt eh keine größere Rolle als eine Stimme gegen Kurz beim ÖVP-Parteitag.

Die Wahrscheinlichkeitsrechnung weiß es aber besser. Denn die Einschätzung von Wahrscheinlichkeiten hängt von den verfügbaren Informationen ab, was zum Beispiel unser verehrter Ex-Vizekanzler bestätigen kann, der einst auf Ibiza wahrscheinlich weniger staatsgefährdenden Müll von sich gegeben hätte, hätte ihn jemand Glaubwürdigerer als Gudenus darüber informiert, dass echte Oligarchinnen saubere Zehennägel haben.

Deshalb schaut die Wahrscheinlichkeitsrechnung genau darauf, dass keine Wahrscheinlichkeitspartikel verloren gehen: Wenn man alle Wahrscheinlichkeiten zusammenzählt, muss irgendwo mit Sicherheit der Cadillac sein (oder was auch immer du begehrst).

In der Show von Monty Hall ist es nun so: Am Anfang wartet hinter jeder Tür dasselbe, nämlich die Wahrscheinlichkeiten für ein Drittel von einem Cadillac (oder, damit es um etwas geht, ein Drittel von einem 68er Camaro SS oder einer automatischen Breguet mit Repetierwerk) und zwei Drittel von einer Ziege. Auch hinter der Tür, die du auf gut Glück aussuchst.

Wenn Monty dir die Tür mit der Ziege zeigt, geschieht hinter deiner Tür tatsächlich nichts, da hat die Intuition schon recht: Dort sind immer noch ein Drittel vom Camaro und zwei Drittel von einer Ziege. Aus der offenen Tür spaziert aber eine ganze Ziege und fängt an, deine Taschen nach Fressbarem zu durchsuchen (Obacht, Ziegen sind da nicht immer wählerisch). Du weißt nun also nicht nur, wo zwei Drittel von einer Ziege sind, vor dir stehen auch weitere drei Drittel, aber nicht der geringste Camaro. Woraus sich logisch ergibt, dass die übrigen zwei Drittel des Camaro (oder der Breguet, gemeinsam mit dem letzten Ziegendrittel) nur hinter der dritten Tür sein können. Deshalb sollst du auf jeden Fall die Tür wechseln, es sei denn, du findest Ziegen richtig toll.

Nächste Woche: Mehr sonderbare Statistik, yay!

Schönes Wochenende!

Freitag, 27. August 2021

Ganz indirekt

 

O vielgeliebte Lesehäschen, der Sommer geht in Pause, wobei man sich regional uneinig ist, ob Kaisers Geburtstag (18. August) oder Maria Empfängnis (15. August) den Abschied einleitet. Weiters ist die Frage, ob eine indirekte Frage im Konjunktiv zu formulieren ist respektive sei.

Da haben wir schon den Salat. Stellst du die Frage direkt, dann ist alles klar wie Klärchen. „Kommst du mit zum Essen?“ „Schläfst du noch?“ „Bist du okay, Frank?“ Das fragt sich selbstverständlich im Indikativ, weil du ja wissen willst, was der Fall ist. 

Ebenso eindeutig liegt der Fall, wenn du mir erklärst, was Sebastian gefragt hat: „Sebastian fragt, ob Afghanistan eh ein sicheres Land sei.“ Hier brauchen wir den Konjunktiv (vorzugsweise Konjunktiv I), weil Sebastians ursprüngliche Frage in indirekter Rede wiedergegeben ist, und die indirekte Rede erkennt man am Konjunktiv, da beißt die  Maus keinen Faden ab.

Doch gibt es allzumal Fallstricke, warum nicht auch hier. Mir will nämlich scheinen, dass manche Fragen nur so tun, als seien sie indirekt. Wie etwa diese:

„Ich frage mich, ob man indirekte Fragen wirklich immer im Konjunktiv formulieren –“  tja. Muss oder müsse?

Formal liegt eine indirekte Frage vor, also schreiben wir müsse. Wie aber lautet die direkte Frage, die sich irgendwann verpuppt hat, auf dass aus dem Kokon später eine wunderschöne indirekte Frage schlüpfe? Bin ich wirklich irgendwann schlaflos gelegen und habe mich gefragt: „Muss man indirekte Fragen wirklich immer im Konjunktiv formulieren?“, um später von diesem Erlebnis zu berichten? Natürlich nicht, doch das wäre auch wurscht. Denn landesüblich sagt man ja nicht nur „ich habe mich gefragt, ob …“ sondern durchaus auch „ich frage mich, ob“.

Wenn ich mich jetzt frage, ob, dann referiere ich keine Frage, die ich mir irgendwann gestellt habe. Sondern ich berichte live aus meinem Gehirn – so fad kann live sein – was dort gerade abgeht. Man kann sich daher, finde ich, den Konjunktiv in diesem Fall getrost sparen. Wenn Robert Seeger erzählt, was am Ganslernhang los ist, japst er ja auch nicht: „Ich sehe aus unserer Kommentatorenkabine, dass Michael Matt sich gerade die Startnummer zurechtzupfe“, sondern dass jener sie zurechtzupft.

In Wahrheit ist die Sache natürlich komplizierter, weil standardsprachlich der Konjunktiv dran ist, wenn ich referiere, was ich gehört, jedoch der Indikativ, wenn ich referiere, was ich gesehen habe. Dies nicht etwa, weil die Sprache den Ohren weniger vertraute als den Augen, sondern weil man Gehörtes aus zweiter Hand empfängt: Ich habe gehört, du seist dem Alkohol verfallen, ich habe aber gesehen, dass du nur Wasser trinkst. Habe ich hingegen optisch wahrgenommen, dass du angeblich säufst, dann steht auch hier der Konjunktiv: Unsere Mutter schreibt mir, du trinkest gern einen über den Durst.

Im Falle von Mario Matt darf man aber dem eigenen Augenschein trauen, sodass selbst ein Sprachkünstler von Seegers Rang nicht auf die Idee käme, zurechtzupfe zu sagen.

Deshalb, o scharfsinnige Lesehäschen, gibt es zumindest einen Fall, in dem eine scheinbar indirekte Frage keinen Konjunktiv braucht. Schönes Wochenende!

Freitag, 6. August 2021

Echt jetzt

 

Meine lieben unterhaltungshungrigen Lesehäschen, die Zeiten werden immer besser. Dies beweist das Amazon Inclusion Playbook, eine Handreichung des Medienriesen für Film- und TV-Schaffende, die jenen unter anderem nahebringt, wie man als Herstellers eines Films oder einer Serie “the best people for the job” kriegt. Unter “Inclusive Casting” heißt es dort, man möge zunächst festzustellen, für welche Rollen Gender, Rasse, Ethnie, Religion, sexuelle Orientierung u.a. festgelegt sind. Demgegenüber gibt es Rollen, die „allen Genders, Ethnie, Fähigkeitsstufen“ etc. offenstehen. Was wohl heißen soll, dass dass die erstgenannten Rollen eben nicht allen offenstehen, sondern bestimmte Voraussetzungen für Gender, Rasse, Ethnie, Religion, sexuelle Orientierung, körperliche Beeinträchtigung und so weiter der Schauspieler mitbringen. Das spielende Personal ist nun mit diesen Parametern in Einklang zu bringen, sodass wir als Zuschauer sicher sein können, dass uns kein X für ein U und keine Wald-und-Wiesen-Hete für ganz was anderes vorgemacht wird.

Das ist höchst erfreulich weil uns dank dieser Richtlinien künftig Peinlichkeiten wie Elephant Man, My Left Foot, Accused, Philadelphia, Forrest Gump oder Rain Man  – um nur eine zufällige Auswahl unangenehmer Machwerke zu nennen – erspart bleiben, die wir uns in weniger erleuchteten Zeiten einbrocken konnten, obgleich John Hurt nicht an Elephantiasis leidet, Daniel-Day Lewis nicht gelähmt ist, Jodie Foster nicht hetero, Tom Hanks nicht schwul und genauso wenig Autist wie Dustin Hoffman. Von Kinkerlitzchen wie Neil Patrick Harris, der, obwohl schwul, einen Hetero, und Eric Stonestreet, der, obwohl Hetero, einen Schwulen spielt, wollen wir gar nicht reden. Gut, dass wir das hinter uns haben!

Die schlechte Nachricht ist, dass wir anscheinend auf halbem Wege stehen bleiben, nämlich bei der Schauspielerei. War es hier schon peinlich genug, immer wieder Menschen dabei zuzusehen, wie sie vorgaben, etwas zu sein, das sie nicht waren, so sind wir wohl auf einem kulturellen Auge blind, wenn wir anderen Kunstschaffenden weiterhin alles durchgehen lassen. Zwar bestehen wir nun darauf, dass zum Beispiel nur Transpersonen die Geschichte von Transpersonen erzählen dürfen (worüber bekanntlich Halle Berry voriges Jahr im Wege des Shitstorms belehrt wurde). Doch was ist mit jenen Heerscharen gewissenloser Schreiberlinge, die auf zigtausenden Seiten Geschichten ausbreiten, die nicht die ihren sind? Selbst heute noch mangelt es nicht an Menschen, die zum Beispiel über Inuit schreiben, ohne welche zu sein, über Serienkiller, ohne das entsprechende Gen zu besitzen, und so weiter. So geht das nicht!

Das Ideal der Literatur muss vielmehr Karl Ove Knausgård sein, der bekanntlich ausschließlich über sich und sein Leben schreibt. Mordgeschichten wollen wir in Zukunft nur noch von ausgewiesenen Mördern erzählt bekommen, Geschichten politischer Unterdrückung ausschließlich von Unterdrückten und Unterdrückern, et cetera. Man ist schließlich, da hilft alles nix, nur mit sich selber identisch, und wer sich künftig erfrecht, die von Amazon so löblich postulierte Einheit des Künstlers mit seinem Werk aufbrechen zu wollen, der wird schon sehen, was er davon hat.

Und selbst das wird irgendwann noch zu wenig sein, weil ein Bild bekanntlich mehr sagt als tausend Worte und daher „eine Geschichte erzählt“. Wer in der Kunstgeschichte nachschaut, wo jemand eine andere als seine eigene Geschichte zu Markte trägt, findet sich in einem target-rich environment wieder. Da darf man nicht zimperlich sein und vielmehr ganz oben anfangen, damit Stümpereien wie die Mona Lisa oder Las Meniñas endlich als jene unappetitlichen Schmieragen alter weißer Männer agnosziert werden, die sie immer schon waren. Die Zukunft wird endlich authentisch. Schönes Wochenende!