Bevor wir uns, o festlich gestimmte Lesehäschen, in die Feiertage vertschüssen, bleibt es uns nicht erspart, zwei peinliche Fragen auf den Seziertisch zu hieven. Die erste betrifft The Raven, Edgar Allan Poes mit Recht berühmtes Gruselstück. Wie natürlich alle parat haben, sitzt das (Obacht, Prüfungsstoff!) lyrische Ich nachts in seiner Kammer und versinkt in düsterem Grübeln. Da klopft ein Rabe ans Fenster, findet Einlass, flattert auf eine Pallasbüste, die oberhalb der Zimmertür hängt, und ist von dort nicht mehr wegzubringen.
Darin steckt viel Wahrheit, weil ja allseits bekannt ist, dass Vögel gern auf Standbildern sitzen, um sich dortselbst zu erleichtern. Schlimmer als die vermutlich stattfindende Entleerung des Geflügels ist aber, dass die Lampe dessen Schatten auf den Boden wirft und die Seele des Ichs in diesem Schatten gefangen bleibt. Böse Sache, aber nun zur Frage: Wo zum Geier oder besser: zum Raben hängt die Lampe?
Denn der Rabe sitzt ja auf der Büste oberhalb der Tür, und sein Schatten fällt auf den Fußboden. Damit der Rabe sich zwischen Lampe und Schatten befindet, muss die Lichtquelle nicht etwa an der Decke hängen, sondern an der Wand direkt oberhalb der Büste.
Ich fürchte, da hat es Poe mit der dichterischen Freiheit ein bisschen übertrieben. Dorthin hängt doch niemand eine Lampe!
Wo die Lampe ist, fragt sich bisweilen auch, wer etwas von der Identitätspolitik mitkriegt. Denn es gibt einen Max Czollek, der sich einen Namen damit gemacht hat, dass er publizistisch harte jüdische Positionen bezieht, nicht ohne sich dabei auf seine Identität als Jude zu berufen. Allerdings ist Max Czollek kein Jude nach den meistenteils anerkannten Regeln, wonach sich das Judentum über die mütterliche Seite vererbt, sondern ein sogenannter Vaterjude, da er einen jüdischen Vater, aber keine solche Mutter hat. Noch allerdingserer ist er aber, wie nun bekannt wurde, auch kein Vaterjude, sondern er hat einen jüdischen Großvater, ist also das, was die Nazis einen Vierteljuden nannten.
Das ist für all jene ein Problem, die Max Czollek gut finden, aber seine jüdische Identität als Voraussetzung für seine publizistischen Positionen sehen. Dieser ideologischen Nuss nahm sich eine Knackerin namens Jana Hensel kürzlich in der ZEIT an, zumal sie sich selbst als „Anhängerin der Identitätspolitik“ outet. Auf ungefähr einer Seite (und die ZEIT hat bekanntlich große Seiten) schwurbelt sie sich durch die Problematik, von der doch in Wahrheit nichts übrig bleibt als dieses: Man kann natürlich der Ansicht sein, dass Max Czollek ungeachtet seiner Herkunft wichtige, richtige oder zumindest diskussionswürdige Positionen vertritt. Wenn man aber identitätspolitisch überzeugt ist, dann darf man dieser Ansicht nur sein, wenn einem Max Czollek als Jude gilt. Und das ist genau dann der Fall, wenn man sich die Sicht der Nazis zu eigen macht. Deshalb wünsche ich mir vom Christkind einen entschiedenen Mangel an Identitätspolitik.
Schönes Wochenende!